Peking und Brüssel: Was trennt, was eint
Ursula von der Leyen brachte es am Donnerstag in Peking treffend auf den Punkt. Die EU-Kommissionspräsidentin forderte auf dem China-EU-Gipfel eine grundlegende Neuausrichtung der Beziehungen. „Wir haben einen Wendepunkt erreicht“, sagte sie zu Chinas Partei- und Staatschef Xi Jinping.
Xi wiederum merkte an: „Die Herausforderungen, vor denen Europa derzeit steht, kommen nicht aus China.“ Die EU solle „richtige strategische Entscheidungen“ treffen – eine kaum verhohlene Kritik an der zunehmend reservierten Haltung der EU gegenüber China.
Die Analysen sind zutreffend. Doch die konkreten Ergebnisse des Gipfels fallen eher dürftig aus.
Wichtigstes Ergebnis: Ein neuer „Exportversorgungsmechanismus“ soll Europas Sorgen hinsichtlich chinesischer Lieferungen Seltener Erden ausräumen. „Bei Engpässen kann dieser verbesserte Mechanismus zur Unterstützung der Lieferkette das Problem sofort prüfen und lösen“, sagte von der Leyen. Wie genau das ablaufen soll, wurde jedoch nicht bekannt.
Ansonsten bekennen sich beide Seiten wortreich zu Dialog und Kooperation. Beim Klimaschutz will man weiter zusammenarbeiten. In der EU-Abschlusserklärung wird vor allem die Notwendigkeit gemeinsamer Anstrengungen für globale Stabilität betont – auch das ist kaum mehr als ein klassischer Formelkompromiss.
Misstrauen und Beharren: Und so verdeutlicht der China-EU-Gipfel am Donnerstag in Peking das Dilemma, in dem beide Seiten derzeit stecken. Die wechselseitige wirtschaftliche Abhängigkeit kollidiert zunehmend mit geopolitischen Differenzen und grundlegenden Wertekonflikten.
Dabei zwingen die neuen US-Zölle sowohl China als auch die EU, eigene Strategien zur Absicherung ihrer Wirtschaftsinteressen zu entwickeln. Das schafft einerseits Chancen für mehr Kooperation – aber andererseits auch neue Konkurrenzsituationen.
Oberwasser durch Zoll-Einigung mit Trump: „China ist aus den Verhandlungen mit den USA gut rausgekommen und zeigt am Donnerstag in Peking deshalb deutlich weniger Kompromissbereitschaft gegenüber Brüssel“, urteilt Tim Rühlig vom European Union Institute for Security Studies im Gespräch mit SZ Dossier.
So verweigere Chinas Führung inzwischen die von Brüssel vorgeschlagenen Preisvereinbarung für E-Autos sowie einen Mechanismus zur Überwachung von Handelsumlenkungen. Dabei geht es um chinesische Exporte, die wegen der US-Zölle nun vermehrt nach Europa geschickt werden.
Suche nach Gemeinsamkeiten: Dazu bot sich am Donnerstagabend bei einem CEO-Roundtable von 60 europäischen und chinesischen Firmenchefs die Gelegenheit. Von der Leyen und der chinesische Ministerpräsident Li Qiang sollten auch teilnehmen, heißt es in der Erklärung der europäischen Handelskammer in China (EUCCC). Das Ziel wurde klar formuliert: Europa und China sollten Bereiche identifizieren, in denen „eine Zusammenarbeit noch möglich und notwendig ist“.
Ähnlich sieht es Wang Zichen, Direktor für Internationale Beziehungen beim Pekinger Thinktank Center for China and Globalization (CCG). Im Gespräch mit SZ Dossier empfiehlt er eine „Stärkung und Ausweitung der vorhandenen Gemeinsamkeiten“. Wang nennt etwa Klimaschutz, Tourismus oder den zwischenmenschlichen Austausch. Er spricht sich für eine getrennte Behandlung verschiedener Themenkomplexe aus – damit die Probleme in den Beziehungen „nicht auf ansonsten neutrale oder positive Kooperationsbereiche übergreifen“.
Fortschritte durch Mindestanforderungen: Tim Rühlig hingegen hält wenig von abgetrennten „Wohlfühlthemen“. Er sagt: „Allzu oft verfallen europäische und chinesische Staats- und Regierungschefs in Maximalpositionen und schließen dann Vereinbarungen in weniger strategischen Bereichen wie Klimaschutz oder Landwirtschaft.“
Stattdessen empfiehlt der China-Experte: „Die EU sollte klare Mindestbedingungen für eine vertiefte Zusammenarbeit formulieren, um dann auch in strategisch wichtigen Bereichen Fortschritte zu erzielen.“ Nach Rühligs Ansicht wären damit selbst bei den drei größten Problemen Kompromisse denkbar.
1.Transparenz bei kritischen Rohstoffen: China könnte durch mehrjährige Exportlizenzen für bestimmte Rohstoffe Europas Planungssicherheit erhöhen. Peking würde sich damit gewissermaßen selbst den Hebel nehmen, die Lizenzen kurzfristig als politisches Druckmittel einzusetzen. Laut Rühlig ist es gemäß chinesischem Recht möglich, europäischen Firmen Exportgenehmigungen für bis zu drei Jahre über hohe Mengen an Seltenen Erden auszustellen.
2. Chinas hohe Industriekapazitäten: Ein Thema ohne schnelle Lösung, bei dem sich aber beide Seiten bewegen. Die EU hat ihre Bedenken inzwischen auf klar abgegrenzte Branchen fokussiert, wie Autos und Chemie. Gleichzeitig hat Peking seine Haltung verändert – vom Leugnen und Verteidigen hin zum Anerkennen vorhandener Überkapazitäten.
3. Krieg Russlands in der Ukraine: Auch wenn ein Bruch Chinas mit Russland unrealistisch ist, wäre eine chinesische Zurückhaltung bei der Lieferung von Dual-Use-Gütern an Moskau ein gangbarer Kompromiss.
Und so wird der China-EU-Gipfel kaum als großes Jubiläum zu 50 Jahren gemeinsamer Beziehungen in die Geschichte eingehen. Aber die Dringlichkeit, zumindest kleine gemeinsame Lösungen zu finden, ist – auch angesichts der aktuellen US-Politik – größer denn je.
Eine Version dieses Textes konnten Abonnentinnen und Abonnenten unseresDossiers Geoökonomiebereits am Donnerstagabend lesen.