Wie sich der deutsche Mittelstand auf die US-Zölle vorbereitet
Am Freitag hatte Donald Trump zunächst mit Zöllen von 50 Prozent auf alle EU-Waren ab 1. Juni gedroht. Nach einem Telefonat mit EU-Kommissionspräsident Ursula von der Leyen Sonntagnacht hat er den Start zwar nochmal auf den 9. Juli verschoben. Aber die Unsicherheit bleibt. Exportabhängigen Unternehmen bleibt nichts anderes übrig, als sich auf diese Zeiten der kompletten Unsicherheit einzustellen.
Unternehmen wie der Tübinger Mittelständler Erbe Elektromedizin – 2100 Mitarbeiter, 450 Millionen Euro Jahresumsatz; für das laufende Jahr will Unternehmenschef Christian O. Erbe keine Prognose abgeben – zu unsicher sind die Umstände.
Der schwäbische Medizintechnikhersteller macht aktuell ein Drittel seines Umsatzes in den USA. „Wir sind verwundbar und müssen Risikominimierung betreiben“, sagt Erbe, der die Firma in fünfter Generation führt. Es gibt keine billige russische Energie mehr, keine US-Unterstützung bei der Verteidigung, und der chinesische Exportmarkt bricht weg: „Das kam doch alles eigentlich nicht überraschend. Es eskalierte nur sehr viel schneller als erwartet.“
Dabei ist Erbe Elektromedizin gar nicht so schlecht vorbereitet. Schon seit einigen Jahren arbeitet das Unternehmen an einer Local-for-Local-Strategie in den USA und in China. Je rund zehn Millionen Euro investiert das Unternehmen in den Ausbau der Produktion in den beiden Ländern.
Damit hat der Medizintechnikhersteller seine Schwerpunkte verschoben. In den vergangenen Jahren hatte Erbe massiv in der Heimat investiert: 90 Millionen Euro flossen in ein Produktions- und Entwicklungszentrum in Rangendingen, einer 5000-Einwohner-Gemeinde 30 Kilometer entfernt von der Zentrale. Sogar Betriebswohnungen baut Erbe dort – um Mitarbeitende anzulocken.
Künftig allerdings, da ist sich der Mittelständler sicher, werde der Schwerpunkt seiner Investitionen nicht mehr in Deutschland liegen. Das Unternehmen will weiter in Deutschland investieren, ja, aber gleichzeitig die Investitionen im Ausland hochfahren. „Statt 80 Prozent in Deutschland und 20 Prozent im Ausland werden sich die Investitionen zum Verhältnis 60:40 verschieben.“
Natürlich sei es teurer, Produktion im Ausland aufzubauen, „weil wir da jeweils bei null anfangen und nicht auf bestehende Infrastruktur aufsetzen“, sagt er. Das gehe auf die Marge. „Wir werden nicht mehr so profitabel sein, aber es geht nicht anders. Wir müssen das Risiko streuen.“
Für die aktuellen US-Kapriolen kam Erbes Strategie nicht mehr rechtzeitig. Die Produktion in den USA wird erst im Januar 2027 anlaufen. Auch in den USA mahlen bürokratische Mühlen. Medizintechnik-Produkte brauchen eine Reihe von Zulassungen, unterliegen der Regulierung der Food and Drug Administration (FDA). „Das ist Trumps Denkfehler“, sagt Erbe. „Er glaubt: Wenn er die Zölle hochzieht, werden die Firmen sofort in den USA fertigen.“ Aber das ginge auch dann nicht, wenn man das wollte.
In Shanghai wiederum stellt Erbe Elektromedizin seine Waren bereits vor Ort her. Anders gehe es nicht, sagt der Unternehmenschef, der sich auch als Präsident der IHK Reutlingen und als Vorstand des Ausschusses für Gesundheitswirtschaft im BDI engagiert: „Wenn unsere Produkte nicht chinesischen Ursprungs sind, sind wir von 80 Prozent des Marktes ausgeschlossen.“ Nur das Label „Made in China“ ermögliche dort den vollen Marktzugang.
Erbe hat schon den nächsten Produktionsstandort im Blick: Auf Sicht werde es notwendig werden, in Indien herzustellen, glaubt Erbe. Nicht nur, weil die Regierung in Neu-Delhi auch protektionistische Anstalten mache. Sondern auch wegen des Zugangs zu regionalen Absatzmärkten. Erbe hat unter südostasiatischen Kunden eine Umfrage gemacht: Während sie sich eindeutig gegen Erbe-Produkte „Manufactured in China“ aussprachen, würden sie bei „Manufactured in India“ durchaus zuschlagen. Dieses klare Ergebnis hat den Firmenchef selber überrascht.
Während Erbe selbst sich überlegt hat, wie er sein Unternehmen in diesen Zeiten aufstellen will, vermisst er eine solche Strategie bei der EU, deren neuer Verhandlungsvorschlag von Trump gerade so harsch zurückgewiesen wurde. „Wir brauchen Freihandelsabkommen, so schnell wie möglich“, fordert er. „Das wäre ein sehr scharfes Schwert.“ Insbesondere auf Mercosur setzt der Mittelständler – zurecht. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich die EU mit Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay bald auf die größte Freihandelszone der Welt einigt, ist in den letzten Monaten gestiegen.
Aber da soll es nicht aufhören. Neben bilateralen Abkommen hofft der Schwabe auf einen weiteren großen Wurf. Die EU sollte es Großbritannien nachmachen und darauf hinarbeiten, dem „Comprehensive and Progressive Agreement for Trans-Pacific Partnership“ CPTPP beizutreten, einem Abkommen zwischen Australien, Brunei, Kanada, Chile, Japan, Malaysia, Mexiko, Neuseeland, Peru, Singapur und Vietnam.
Auf solche Abkommen würde Erbe, das heute in 110 Ländern der Welt mit Töchtern oder Handelspartnern präsent ist, schnell reagieren können, sagt er – vor allem würde es schnell davon profitieren. Carolyn Braun
Diesen Text konnten Abonnentinnen und Abonnenten unseres Dossiers Geoökonomie bereits am Montag lesen.