Chatten mit den Wahlprogrammen
Wäre es nicht praktisch, wenn man die politischen Positionen der Parteien im Wahlkampf mithilfe Künstlicher Intelligenz vergleichen könnte? Eine Gruppe junger Studenten und Doktoranden hat mit „wahl.chat“ ein Online-Tool gebaut, eine Mischung aus Wahl-o-Mat und Chat GPT, das genau diesen Vorgang ermöglicht.
Der KI-Assistent ist seit Anfang Januar verfügbar. Wie das Team SZ Dossier mitteilte, liege man derzeit bei täglich 7000 und insgesamt rund 90 000 Nutzerinnen und Nutzern. Spätestens zum Wochenende hin rechnen die Studenten mit 100 000 Besucherinnen und Besuchern. „Es fragen Leute, die sich nicht so gut auskennen und auch Menschen in Parteien, mit denen wir gesprochen haben“, sagte Mitgründer Robin Frasch im Gespräch mit SZ Dossier.
„Die nutzen das, um ihr eigenes Wahlprogramm besser zu verstehen, auch im Wahlkampf.“ Es gebe viele Nutzer, die täglich zurückkommen und immer detailliertere Gespräche mit dem Bot führen. Am meisten gechattet werde zu den Themen Migration, Rentensystem, Wirtschaftsreform und Schuldenbremse, soziale Ungleichheit, steigende Lebenskosten; die Reihenfolge sage nichts über die Häufigkeit aus. „Außerdem werden auch häufig die zentralen Ziele einer Partei erfragt“, sagte Frasch.
Das Team besteht aus fünf jungen Münchnern, die derzeit in Cambridge an sogenannten Large Language Models (LLM) und Künstlicher Intelligenz (KI) forschen – und jetzt in Vollzeit an ihrem Projekt arbeiten. „Wir haben uns schon vor dem Projekt in der Mittagspause viel zum Thema Politik unterhalten“, erzählte Frasch. Ihr Anliegen: Wie geht es weiter mit den Wahlen und der politischen Situation in ihrem Heimatland?
„Da kam uns dann irgendwann der Gedanke, dass wir den Wahl-o-Mat vielleicht ein bisschen besser machen können, weil wir in unserer Forschung auch viel mit KI und Fragebögen arbeiten“, sagte Frasch. Dadurch sei Anfang November die Idee zu „wahl.chat“ entstanden, im Dezember sei es dann richtig losgegangen. Das Tool sei schließlich innerhalb eines Monats entstanden: Anfang Januar wurde es veröffentlicht (SZ Dossier berichtete).
„Wir wollen unseren kleinen Teil für die Demokratie beitragen“, sagte Frasch. „Dazu kann man sagen, dass wir alle politisch interessiert sind und die gleichen Problematiken gesehen haben, wenn man sich auf Eigeninitiative informieren will“, ergänzte Mitgründer Michel Schimpf. Persönliche Fragen könne man etwa beim Wahl-o-Mat nicht stellen, viele von den Fragen hätten kaum Überschneidungen mit eigenen Anliegen.
Gebaut haben die Studenten schließlich einen KI-Assistenten, der einen Chat mit den Wahlprogrammen der unterschiedlichen Parteien erlaubt. Es ist also möglich, detailliertere Fragen zu stellen als jene, die im Wahl-o-Mat oder ähnlichen Tools verwendet werden. Die Informationen holt sich das Tool dann ausschließlich aus den Programmen der Parteien und beantwortet so die Fragen.
Technisch läuft das so ab: „wahl.chat“ nutzt zunächst ein KI-System, das auf GPT-4o von OpenAI basiert. Gefüttert wurde es zuvor mit den Wahlprogrammen von derzeit acht Parteien. „Was wir dann praktisch machen: Wir nehmen eine Anfrage des Nutzers, schauen dahingehend in den Wahlprogrammen von der jeweiligen Partei nach den relevanten Stellen und verwenden diese Ausschnitte dann zur Generierung einer Antwort“, sagte Schimpf.
Die Gründer haben dem Modell Richtlinien gegeben, was die Formulierung der Antwort und die Informationen angeht, die für die Antwort verwendet werden dürfen. Zudem werden nach jedem Abschnitt die genauen Stellen aus den Programmen verlinkt, um eine weitergehende Lektüre zu ermöglichen. Es sind auch Vergleiche von bis zu drei Parteien möglich. Zudem erlaubt das Tool, einen ersten Überblick über das Abstimmungsverhalten der Parteien zu bestimmten Themen zu bekommen. Dazu nutzt es die Datenbank des Deutschen Bundestags.
Die genauen Quellen haben die Studenten auf ihrer Seite angegeben, es sind vor allem die Wahlprogramme und hier und da eine programmatische Parteitagsrede oder Materialien der Bundeswahlleiterin. „Wir wollen auch noch kleinere Parteien integrieren, warten aber noch darauf, dass die offiziellen Wahlprogramme integriert werden“, sagte Schimpf.
Ihr Projekt soll nur der Anfang sein. „Grundsätzlich wollen wir mal irgendwann die ganze Partei abbilden und da ist das Wahlprogramm ja nur ein kleiner Teil davon“, sagte Frasch. Die Grundidee sei, dass man den Menschen langfristig einen direkteren Draht zur Politik geben könne. „Da wir aktuell im Hinblick auf die Bundestagswahl arbeiten, fokussieren wir uns aktuell noch auf die Wahlprogramme und wollen deswegen auch klarmachen, dass die Antworten momentan auf Basis der Wahlprogramme kommen“, sagte er.
Fehler seien möglich, es gebe nie eine hundertprozentige Garantie. Dennoch habe das Team alle möglichen Methoden eingebaut, um diese zu verhindern. So müssen die Antworten neutral formuliert sein, wertende Adjektive sind blockiert. Zudem darf das Tool keine Wahlempfehlung geben. „Die ungewöhnlichste Anfrage, die wir bis jetzt gesehen haben, war, dass es eine Person geschafft hat, sich ein Rezept für eine Kartoffelsuppe generieren zu lassen“, sagte Frasch.
Das Modell sei recht teuer, koste 250 Euro am Tag, das Projekt bekomme aber schon einige Spenden. „Das sind knapp 30 Prozent, die wir damit decken können, der Rest kommt von uns oder Freunden und Familie“, sagte Schimpf. „Wir versuchen, bis zur Bundestagswahl irgendwie zu überleben, das Ganze zu finanzieren und möglichst viele Leute zu erreichen, um unseren Beitrag zu leisten“, sagte Frasch. „Danach machen wir uns Gedanken, wie man das für zukünftige Wahlen oder allgemein politische Bildung nutzen kann.“ Gabriel Rinaldi