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Hybride Kriegführung: Deutschland im russischen Fokus

Russland überzieht die EU-Staaten mit hybriden Angriffen – und die Europäer haben bisher keine Antwort darauf. Dabei warnen die baltischen und skandinavischen Staaten schon länger vor diesen Grauzonentaktiken und haben bereits Erfahrung mit möglichen Reaktionen. Die Sabotageakte sorgen nicht nur für Unsicherheit in den Gesellschaften, sondern gefährden auch kritische Infrastruktur in der Ostsee und an Land.

Putins Speerspitze. Nun wächst auch in Deutschland allmählich das Bewusstsein für diese Gefahr. Deutsche Nachrichtendienste wie der BND warnten im Oktober in einer Anhörung des Parlamentarischen Kontrollgremiums vor der wachsenden Bedrohung durch Putins Russland.

Russische Geheimdienste agierten als Speerspitze im hybriden Kampf gegen den Westen, sagte BND-Präsident Bruno Kahl, „mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln, ohne rechtliche Beschränkungen und ohne jegliche Skrupel“.

Vorfälle häufen sich auch in Deutschland. Vergangene Woche beschloss das Bundeskabinett daher eine Änderung des Luftsicherheitsgesetzes. Wenn der Bundestag es beschlossen hat, darf die Bundeswehr künftig „unkooperative Drohnen“ nahe kritischer Infrastruktur abwehren und notfalls sogar abschießen.

Drohnenflüge sind über militärischen Liegenschaften und anderen neuralgischen Punkten in Deutschland verboten. Dennoch wurden vor einigen Tagen über zwei Militäranlagen in Bayern sowie über dem Chemiepark im nordrhein-westfälischen Marl Drohnen gesichtet. Die Polizei ermittelt in beiden Fällen wegen des Verdachts der Agententätigkeit zu Sabotagezwecken.

Zu den Methoden hybrider Kriegführung in Deutschland und Europa gehören:

1. Sabotageakte gegen kritische Infrastruktur an Land wie Militärstützpunkte, Bahnlinien oder die Wasserversorgung.

2. Illegale Erkundungsflüge mit Drohnen über kritischer Infrastruktur, mit dem Ziel späterer Sabotageakte: 2024 waren mehrmals schnell fliegende Drohnen nahe des LNG-Terminals Brunsbüttel entdeckt worden, deren Piloten unbekannt blieben.

3. Absichtliches Durchtrennen von Unterseekabeln oder Pipelines sowie Spionageaktivitäten durch russische Schiffe in der Nähe von Infrastruktur wie Windparks: Zuletzt setzte Finnland einen Tanker der russischen Schattenflotte fest, weil er ein Untersee-Stromkabel durchtrennt hatte.

4. Aggressivität im Luftraum, etwa durch riskante Flugmanöver russischer Kampfjets entlang der Nato-Grenzen im Ostseeraum: Vor gut einer Woche bedrohte eine russische Luftverteidigungsanlage ein französisches Aufklärungsflugzeug über der Ostsee.

5. Brandstiftung etwa in Lagern für Ukraine-Hilfsgüter, Rüstungsfabriken oder populären Shoppingmalls – zum Beispiel in Großbritannien und Polen. Nach dem Brand bei der Rüstungsfirma Diehl (Hersteller des an die Ukraine gelieferten Luftabwehrsystems Iris-T) vom Juni 2024 in Berlin gibt es Verdachtsmomente gegen russische Agenten, das Ermittlungsergebnis steht noch aus.

6. Desinformationskampagnen und politische Einflussnahme – etwa durch Fake-News, Trolle, Hacks oder gezielte Beeinflussung politischer und wirtschaftlicher Eliten, auch mit Geld (etwa für die AfD).

7. Attentate: Im Sommer flog ein offenbar von Russland geplanter Mordanschlag gegen den Chef des Rüstungskonzerns Rheinmetall, Armin Papperger, auf. Polens Ministerpräsident Donald Tusk warf Russland vergangene Woche vor, Terrorakte gegen internationale Airlines zu planen.

8. Gezielter Vandalismus – was bisher vor allem im Baltikum zu beobachten ist.

Großes Dunkelfeld: Zwar gelingen Polizei und Staatsschutz immer wieder Ermittlungserfolge, wie im Fall Papperger. Zwei Deutschrussen wurden zudem von einem Anschlag auf einen US-Militärstützpunkt abgehalten. Doch meist bleiben die Täter im Dunklen.

In der Bundeswehr-Luftwaffenkaserne in Köln-Wahn etwa versuchten Unbekannte um den Jahreswechsel herum, in die Trinkwasseraufbereitungsanlage einzudringen und einen Funkmast zu besteigen. Auch hier ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen Sabotageverdachts.

Mehr Befugnisse für die Spionageabwehr. Die deutschen Nachrichtendienste bräuchten deutlich mehr operative Freiheiten, fordert BND-Präsident Kahl. Die Dienste müssten ihre Erkenntnisse rascher an Polizei und Staatsanwaltschaften geben dürfen, dafür plädiert auch der CDU-Sicherheitspolitiker Roderich Kiesewetter.

Zudem müssten die Dienste auch ohne richterlichen Beschluss IP-Adressen speichern sowie in Chats wie auf Whatsapp, Telegram oder Signal ermitteln dürfen, sagte Kiesewetter im Gespräch mit SZ Dossier. „Das ist entscheidend, damit wir nicht mehr so stark von ausländischen Nachrichtendiensten abhängig sind.“ Immer wieder konnten Ermittler nur aufgrund von Hinweisen befreundeter Dienste zugreifen.

„Shaping the Battlefield“: Das sei Moskaus Taktik, sagte Kiesewetter. „Russland testet aus, wie weit sie gehen können.“ Mit der hybriden Kriegführung und Sabotage „bereiten sie das Informationsfeld und ein potenzielles Gefechtsfeld im Bereich Wirtschaft, im Bereich kritischer Infrastrukturen vor“.

Spionage verschaffe den russischen Diensten ein Lagebild. Deutschland müsse daher unter anderem so schnell wie möglich das Gesetz zum Schutz wichtiger Infrastruktur (Kritis-Dachgesetz) erlassen und eine leistungsfähige zivile und militärische Reserve aufbauen. Christiane Kühl

Dieser Text erschien zuerst in unserem Dossier Geoökonomie.