Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben
Tiefgang

Warum die wirtschaftlichen Beziehungen zur USA schwierig werden – auch unter Kamala Harris

So umkämpft die Wahl in den USA ist, so eindeutig scheint die Stimmung in Europa: Die große Mehrheit hofft auf einen Sieg von Kamala Harris. Aber auch unter Harris würde die Zusammenarbeit mit den USA für Deutschland und Europa immer schwieriger werden.

1. Wirtschaftlich will Harris die US-Industrie stärken. Das geht auf Kosten deutscher Unternehmen, die bisher stark vom Export in die USA profitieren. Zudem könnten noch mehr Investitionen dorthin abgesogen werden.

2. Geopolitisch wird Harris den Fokus auf China und den Indopazifik ausrichten. Deutschland wird im Weißen Haus an Bedeutung verlieren und muss mehr Verantwortung übernehmen.

Wie auch Trump – und Joe Biden – will Harris die heimische Industrie stärken. Die geplanten Maßnahmen ähneln sich: niedrige Energiepreise, Steuernachlässe für US-Unternehmen und weniger Regulierung. Der Inflation Reduction Act (IRA) dürfte nur ein erster Vorgeschmack sein. In Europa ist er berüchtigt, weil Subventionen das Kapital für Investitionen in die USA locken.

Nicht nur unter Trump, auch unter einer US-Präsidentin Harris sind Zollerhöhungen zu erwarten – wenn auch auf weitaus niedrigerem Niveau und auch nicht auf alle Waren. Beobachter hoffen an dieser Stelle auf die wirtschaftliche Vernunft der Demokraten.

Denn Zollerhöhungen lassen unweigerlich auch die Verbraucherpreise in den USA steigen. Und die USA importieren viel. Im Jahr 2023 betrug das Handelsbilanzdefizit unfassbare 1,15 Billionen US-Dollar. Preissteigerungen durch höhere Zölle wären für viele US-Bürger nur schwer zu verkraften. Harris würde das sicherlich stärker mitberücksichtigen als Trump.

Höhere Zölle würden aber in jedem Fall deutsche Firmen hart treffen. Die USA sind Deutschlands wichtigster Handelspartner. Automobilkonzerne wie Mercedes und Porsche, die Pharmabranche um Roche und Merck, oder Maschinenbauer wie Voith oder Trumpf – sie alle profitieren kräftig von einem reibungslosen Warenaustausch mit den USA.

Auch 2023 exportierte Deutschland deutlich mehr Waren in die USA als umgekehrt. Der Saldo der Außenhandelsbilanz aus deutscher Sicht: plus 63,3 Milliarden Euro.

Finanzexperten rechnen damit, dass Harris eher zur Stabilisierung der internationalen Finanzmärkte beitragen werde. In einer aktuellen Analyse des ZEW Mannheim heißt es dementsprechend: Ein Harris-Wahlsieg wäre etwas vorteilhafter für das zukünftige Wirtschaftswachstum in Deutschland – im Vergleich zu einem Trump-Sieg. Euphorie hört sich anders an.

Handelsabkommen und Investitionen. Deshalb gilt es, die deutsche Wirtschaft zu schützen – egal ob Harris oder Trump gewinnen wird. Vor allem sollten Handelsbeziehungen mit anderen Ländern als den USA verstärkt werden. Wachstumsmärkte wie Indien, Vietnam oder Indonesien bieten sich an.

Die ZEW-Analyse fordert zudem eine Ankurbelung der inländischen Investitionen. China und die USA zeigen, wie sehr das die Wirtschaft stärkt. Das scheitert derzeit am Ampel-Streit.

Gleichgültig, wer ins Weiße Haus einzieht: Deutschland und Europa verlieren weiter an Bedeutung. Auch im Bereich Geopolitik wird es mit den USA deutlich komplizierter. Harris steht zwar für eine kooperative Außenpolitik – im klaren Unterschied zu den erratischen Alleingängen ihres Konkurrenten. Aber: Der US-Fokus verschiebt sich insgesamt auf den Indopazifik. China ist der neue Hauptkonkurrent. Diesem Wettstreit wird auch Harris zukünftig alle anderen außenpolitischen Themen und Regionen unterordnen.

Daraus ergibt sich aus Sicht außenpolitischer Beobachter: Deutschland muss mehr echte Verantwortung für seine militärische Sicherheit übernehmen. Auch unter Harris ist auf die USA nicht unbegrenzt Verlass. Kurzfristig gilt das für die Ukraine, langfristig für mehr konkrete Beiträge zur gemeinsamen Abschreckung innerhalb der Nato.

Das wäre auch ein wichtiger Beitrag zu einem guten transatlantischen Verhältnis, Stichwort „burden sharing“. Denn wenn man schon auf eine kooperative US-Präsidentin Harris hofft, müssen Deutschland und Europa auch selbst etwas zur erfolgreichen Partnerschaft beitragen. Michael Radunski