Es ist erst das zweite Mal, dass ein US-Präsident die höchste Auszeichnung der Bundesrepublik bekommt, die Sonderstufe des Großkreuzes des Bundesverdienstordens: Auch im Protokoll unter engen Freunden gibt es deutliche Abstufungen. Der erste war George Bush senior, für seine Verdienste um die deutsche Wiedervereinigung und Einheit.
Beim zweiten, Joe Biden, wird Steinmeier in seiner Rede darauf verweisen, dass der Geehrte die Hoffnung auf das transatlantische Bündnis erneuert habe. Die Formulierung legt schon nahe, dass es auch andere Zeiten gab und dass sie in Berlin Bidens Milde zu schätzen wissen.
Unabhängig vom Ausgang der Präsidentschaftswahl gilt: Bidens Besuch ist auch ein Abschied von der Pax Americana, vielleicht oder wahrscheinlich. Ein Abschied von der Selbstverständlichkeit, dass die USA Europa schon aus eigenem Interesse schützen und verteidigen. Ein Abschied von der Vorstellung, die USA, EU und Deutschland stünden wirtschaftlich unverbrüchlich mehr als Partner denn als Konkurrenten zusammen. Und das Ende der Gutmütigkeit gegenüber Deutschlands Tempo und Willen zur ordentlichen Ausstattung der Bundeswehr.
Die USA legen den Fokus zunehmend auf China – die vielleicht bald einzig ebenbürtige und dann andere Weltmacht. Europa, heißt das, wird sich um sich selbst kümmern müssen, ebenso wie der Rest Asiens, eigentlich der Rest der Welt. Weder Demokraten noch Republikaner verstehen, wieso das nicht längst eingesickert ist: Die Forderung nach höheren Verteidigungsausgaben hat Donald Trump nur robuster vorgetragen als Vorgänger und Nachfolger.
Der Bundeskanzler sieht in Joe Biden einen Freund und einen der wenigen aus der Runde der Staats- und Regierungschefs der Welt, vor denen er Respekt hat und den er für (halbwegs) ebenso schlau hält wie sich selbst. In den Kriegen in Nahost und in der Ukraine wollen sie heute Schulterschluss betreiben. Aber wenn Biden heute nach der Ehrung in Schloss Bellevue zum Abschiedsbesuch ins Kanzleramt kommt, ist es für beide dennoch mehr als ein letztes Treffen im Amt, ein Scharnier in eine neue Wirklichkeit.
Eine Annahme in US-Sicherheitskreisen lautet inzwischen: China könnte nicht nur Konkurrent, sondern Gegner werden. Militärisch eingeschlossen, wenn das Katastrophenrisiko Taiwan eintreten sollte. Allein deswegen will sich die USA nicht in eine Lage bringen, auch in einem anderen Konflikt militärisch involviert zu sein. Bidens Strategie war, die Ukraine so zu unterstützen, dass Russland nicht gewinnt, aber ohne sich selbst in den Krieg verwickeln zu lassen.
Der Bundeskanzler hat sie adaptiert – dumm nur, dass Amerika weit weg ist, dass Europa ein existenzielles Interesse daran hat, dass Russland nicht weiter auf Raubzug geht, und dass die europäischen Alliierten heute kaum in der Lage sind, die US-Aufgaben zu stemmen – von der Abschreckung bis zur Integration verschiedener Fähigkeiten in militärische Großverbände.
Auch wirtschaftlich hat die Neuausrichtung der US-Politik Auswirkungen auf Europa und Deutschland. In drei Schlagworten sieht das Eingehen auf China so aus: Die USA fördern Investitionen im eigenen Land, bringen Partner auf Linie und suchen den Wettbewerb mit China – der Systeme, aber auch der Volkswirtschaften. Trump lässt – in dem wenigen, was man programmatisch über seine Außenpolitik weiß – keine Zweifel daran aufkommen, dass von ihm in der Hinsicht kein Bruch zu erwarten ist.
Damit wird Europa weiter unter Druck geraten, auch die eigene Außenwirtschaftspolitik robuster zu gestalten, erwartete ein EU-Diplomat diese Woche im Gespräch. Wir werden noch öfter in die Lage kommen, dass die USA Entscheidungen verlangen: mit uns oder gegen uns, so die Erwartung in Brüssel.
Bei Zöllen auf chinesische Elektroautos zeigte sich für Berlin, wohin diese Reise geht. Deutschland hat sich für gute Beziehungen mit China entschieden, damit auch für freien Handel und Offenheit – eine Mehrheit in Europa aber für einen härteren Kurs hin wenigstens in Richtung Protektionismus – mit dem Ziel, die eigene Industrie vor dem Wettbewerb zu schützen.
Dass sich die größte Volkswirtschaft der EU schwertut, sich da durchzusetzen, ist einerseits kein gutes Zeichen für Scholz’ Standing bei den Partnern, andererseits selbst verursacht, da sie in der Uneinigkeit der Koalitionäre über den richtigen Kurs begründet liegt.
Natürlich macht es einen Unterschied, ob Trump oder Kamala Harris die Wahl gewinnt. Im Umfang der Unterstützung der Ukraine vor allem. Im Ton, im Wohlwollen gegenüber alten Freunden. Im Stil und in der Art, ans Ziel zu kommen: Trump schließt Deals, Harris schmiedet Allianzen – beides hat einen Preis.