Hinreißen lassen wollte Lindner sich gestern im ZDF nicht, als ihn Moderator Wulf Schmiese wiederholt fragte, ob sein Papier die Aufkündigung der Ampel sei. Ein Bekenntnis zur Regierung gab er aber auch nicht. „Die anderen sollen doch erstmal Vorschläge machen“, forderte Lindner. Insofern überraschend, als es in den vergangenen Wochen nicht an Papieren, Zwischenrufen, Statements mangelte. Deutschland brauche eine Richtungsentscheidung, sagte Lindner. Die Bürgerinnen und Bürger könnten sich darauf verlassen, dass diese Situation „schnellstmöglich“ geklärt werde.
Das ist mal eine Ansage: Geklärt wurde seit Anbeginn der Ampel nichts dergleichen.
Bleibt die Frage: Wer hat das Papier an die Presse gegeben? Die FDP glaubt an das Bundeswirtschaftsministerium, einzig die Interpretation, wie bösartig die Durchstecherei gemeint war, ist unterschiedlich. Die Grünen wiederum finden, das Papier eigne sich kaum als interne Arbeitsgrundlage. „Bei Papieren, die für den internen Gebrauch gedacht sind, lässt man die länglichen Ausführungen darüber, wie doof und ideologisch die Politik der Koalitionspartner ist, normalerweise weg“, schrieb Noch-Grünen-Chefin Ricarda Lang auf X. Lindner sagte im ZDF, er sei „jetzt auch erleichtert“, dass das Papier die Öffentlichkeit erreicht habe.
Die FDP sieht Grund zur Debatte: „Ich finde es sinnvoll, dass wir zum ersten Mal seit Langem über die unterschiedlichen Herangehensweisen an das Wirtschaftssystem diskutieren“, sagte FDP-Fraktionsvize Lukas Köhler SZ Dossier. Grüne und SPD fühlen sich durch das Papier brüskiert, SPD-Chefin Saskia Esken sagte bereits, keiner der Punkte sei zu verwirklichen. Lindner aber hat die Kürzungsforderungen bei Sozialstaat und Klimaschutz zum offiziellen Teil der Verhandlungen um den Haushalt gemacht.
Liberale würden Lindner folgen: Die FDP würde Lindner im Falle eines Exits in großen Teilen folgen, daran besteht wenig Zweifel. Für einen Verbleib in der Ampel kämpft sehr spät FDP-Verkehrsminister Volker Wissing, in einem Gastbeitrag für die Frankfurter Allgemeine Zeitung schrieb er, er sei sich sicher, die Ampel könne weiterhin zu guten Lösungen kommen. Mit der Haltung ist er nicht nur in der FDP ziemlich allein. Wenn sich die FDP heute zu den Gremiensitzungen trifft, dürfte das deutlich werden. Viele wollen, dass Forderungen aus dem Lindner-Papier tatsächlich umgesetzt werden.
Welche Rolle spielt der Haushalt? Am 14. November soll die Bereinigungssitzung stattfinden, ob es so kommt? Wer weiß. Wenn es den politischen Willen zur Einigung gibt, haben die Haushälter Dennis Rohde (SPD), Sven-Christian Kindler (Grüne) und Otto Fricke (FDP) keinen Zweifel daran gelassen, dass sie gelingen könnte. „Das würde man hinbekommen, wenn das Bundesfinanzministerium daran arbeiten würde, aber das tut es nicht. Gäbe es daran Interesse, könnte über gangbare Wege diskutiert werden“, sagte ein Grünen-Abgeordneter SZ Dossier.