Die Koalition aus Union und SPD hat sich zwar kein großes Motto gegeben, sie nennt sich nicht „Fortschrittskoalition“ wie einst die Ampel. Etwas, das sie verbindet, hat sie dennoch: Union und SPD wollen das Land aus der Rezession holen. Das Ziel ist klar – die Frage ist, ob sich die Partner auch auf die Mittel einigen können, um es zu erreichen.
Mehr arbeiten, fordert die Union: Vor dem Koalitionsausschuss in dieser Woche wird die Debatte darüber weitergedreht, wie der Sozialstaat zukunftsfest gemacht werden soll. Die Union pocht darauf, Arbeit attraktiver zu machen: CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann sagte nun in einem Interview mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland am Wochenende: „Man hat manchmal den Eindruck, dass es nicht mehr um Work-Life-Balance geht, sondern um Life-Life-Balance.“ Die Kalauer beiseite, schlägt Linnemann vor, die Produktivität zu steigern. Er sieht Anreize wie die Aktivrente oder die Flexibilisierung der Wochenarbeitszeit, die auch im Koalitionsvertrag vorgesehen sind.
Lohnt sich das? Angesichts der Beträge für Steuern und Sozialabgaben verbirgt sich hinter dem Appell zur Mehrarbeit die Frage, wie attraktiv das überhaupt ist. Der Ökonom Moritz Schularick vom Institut für Weltwirtschaft in Kiel sagte dem Spiegel jüngst: Wer heute mit 25 Jahren in den Beruf starte, zahle zwar einen enormen Rentenbeitrag, ahne aber, dass er davon später kaum profitieren werde. „Wo ist da der Anreiz, mehr zu arbeiten?“, fragte Schularick.
Klingbeil, Kassenwart: Das Thema Sozialabgaben treibt auch Finanzminister Lars Klingbeil (SPD) um. „Steigende Sozialversicherungsbeiträge sind ein Problem. Für die Arbeitnehmer, weil sie weniger Geld in der Tasche haben, für Unternehmen, weil sie höhere Lohnkosten haben“, sagte Klingbeil der Bild am Sonntag. Der SPD-Chef plädiert daher dafür, die Beiträge zu stabilisieren. Und er fordert Strukturreformen, schließlich könne der Finanzminister nicht dauernd angerufen und nach mehr Geld gefragt werden, um die Beiträge zu den Sozialversicherungen stabil zu halten. Wie das genau gehen soll, sagte Klingbeil nicht. Er erwarte allerdings „von allen Verantwortlichen mehr Fantasie als Leistungskürzungen für Arbeitnehmer“, sagte der SPD-Chef.
Das Problem ist: Diese Fragen hat die Koalition erst einmal an Kommissionen ausgelagert. Auch Ökonom Schularick sieht darin „die große Lücke im Koalitionsvertrag“. Gesundheitsministerin Nina Warken (CDU) kündigte vergangene Woche zwar den baldigen Start einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe an, die sich mit einer Reform der Pflegeversicherung beschäftigen soll. Aber bis die Ergebnisse vorlegt und die letztendlich in Gesetze gegossen und in die Praxis umgesetzt werden, wird es dauern. So lange wird wohl kaum ein Weg an kurzfristigen Maßnahmen vorbeiführen.