von Valerie Höhne, Tim Frehler, Gabriel Rinaldi und Bastian Mühling
Diese Meldung stammt aus dem folgenden Briefing des Dossiers Platz der Republik:
Ohne Anne Brorhilker wüssten in Deutschland wohl weniger Menschen, was Cum-Ex-Geschäfte sind. Bis April war sie die bekannteste Staatsanwältin in dem Bereich. Dann wechselte sie im Juni von der Staatsanwaltschaft Köln als Co-Geschäftsführerin zur NGO „Finanzwende“. Gut situierte Täter träfen oft auf eine „schwach aufgestellte Justiz“, sagte sie. Die Finanzwende lobbyiert gegen den Einfluss der Finanzbranche auf die Politik.
„Übel an der Wurzel packen“: Sie glaubt, dass sie bei der Finanzwende mehr erreichen kann, als bei der Staatsanwaltschaft. „Ich will das Übel an der Wurzel packen. Ich will darauf hinwirken, dass sich deutschlandweit die Strukturen in der Justiz verändern. Diese Defizite bei der Bekämpfung von Wirtschaftskriminalität sind extrem sozialschädlich“, sagte sie meiner Kollegin Meike Schreiber. Die Schäden durch Cum-Ex-Geschäfte, bei denen sich Finanzmarktakteure durch mehrfache Steuerrückerstattungen Geld erschlichen, beliefen sich auf rund zehn Milliarden Euro. Cum-Ex-Geschäfte seien noch immer nicht gestoppt, hierdurch fehlten dem Fiskus rund 30 Milliarden Euro. Es sei „demokratiegefährdend“, wenn Bürger das Gefühl hätten, Wirtschaftskriminalität werde anders bestraft.
Die Gründe: Brorhilker sieht die Ursachen dafür vor allem in der Organisation von Behörden. Es fehle Personal, gebe ein „Zuständigkeitswirrwarr“, auch wegen Doppelstrukturen zwischen Ländern und Bundesbehörden. Finanzpolitische Themen würden von Juristen, gerade auch von großen Anwaltskanzleien, die Banken verteidigen, oft mit einer „Aura der Komplexität“ umgeben, nach dem Motto: Haltet euch raus, davon versteht ihr ja nichts.
Kampf gegen Steuerkriminalität zentralisieren: Noch hängt das Finanzkriminalitätsbekämpfungsgesetz im Bundestag. Doch schon bald soll eine neue Behörde geschaffen werden, die sich ausschließlich damit beschäftigt. Dafür sei aber eigentlich „auch das Bundeskriminalamt zuständig“, sagte Brorhilker. Diese „Dopplung von Zuständigkeiten könnte in der Praxis Ermittlungen eher behindern“. Sie bedauert, dass nicht auch der Bereich Steuerkriminalität aufgenommen worden sei. „Dabei wäre eine bundesweit zentrale Stelle zur Bekämpfung von organisierter Steuerkriminalität dringend erforderlich“, sagte sie. So aber bleibt vorerst für die Aufklärung von Steuerskandalen im gesamten Bundesgebiet die Staatsanwaltschaft Köln zuständig – ihr alter Arbeitgeber.