Gute Nachrichten auf dem Heimatmarkt täuschen derzeit über die tatsächlichen Risiken für die deutschen Autobauer hinweg: Entscheidend für die Zukunft der deutschen Schlüsselindustrie ist und bleibt China. Und dort zeichnen sich beunruhigende Trends ab.
Chinas Autoblase: Das Problem liegt nicht nur im inzwischen hinlänglich bekannten Vorsprung der chinesischen Anbieter bei Elektroantrieb und smarter Mobilität. Sondern auch in der Frage, was mit den deutschen Anbietern geschieht, wenn in China eine massive Korrektur der Marktverzerrungen einsetzt.
Die chinesische Autoindustrie hat in den vergangenen Jahren absurd hohe Kapazitäten aufgebaut. Getrieben von staatlichen Subventionen und ambitionierten Zielen für die E-Mobilität produzieren über 100 Hersteller weit mehr Fahrzeuge, als der Markt und der Export aufnehmen können. Selbst Staatschef Xi Jinping beklagt den ruinösen Wettbewerb, der dadurch entsteht.
Neuwagen werden mit teils drastischen Rabatten verkauft, Autos fahren von der Fabrik ohne Umweg zu Gebrauchtwagenhändlern, um dort zu Schleuderpreisen abgestoßen zu werden. Der Preiskampf zwingt selbst Branchengrößen wie BYD zu Preissenkungen von bis zu 30 Prozent.
Wenn die Marktbereinigung einsetzt, droht eine Kettenreaktion. Experten warnen: Sollte die chinesische Autoblase platzen, könnten die Verkaufszahlen branchenweit um 20 bis 25 Prozent einbrechen. Die Folgen wären Werksschließungen, Massenentlassungen und eine Pleitewelle bei Zulieferern.
Schon jetzt warten viele Zulieferbetriebe monatelang auf ihr Geld. Ihre Forderungen belaufen sich auf rund 50 Milliarden Euro. Unter dem Preisdruck leidet sogar die Qualität der Fahrzeuge, da Hersteller und Zulieferer gezwungen sind, auch bei der Substanz an den Kosten zu sparen.
Die Folgen für die deutschen Hersteller: China ist weiterhin ihr größter Auslandsmarkt, schon allein wegen der starken Stellung der Deutschen im Restmarkt für Verbrenner. Die deutschen Autobauer sind auf Absatz, Partnerschaften und Rohstoffe aus China angewiesen. Viele internationale Zulieferketten haben ihren Anfang in China.
Gerade für VW, BMW und Mercedes-Benz wäre ein Nachfrageeinbruch in China ein Schock: Trotz sinkender Gewinne sichert das China-Geschäft auch weiterhin stabile Bilanzen. Zudem könnte eine Marktbereinigung in China dazu führen, dass nur die innovativsten Hersteller überleben. Volkswagen und die anderen Deutschen zählen derzeit nicht dazu. Der Verband der Deutschen Automobilindustrie (VDA) räumt ein: „Aktuell stehen die deutschen Hersteller – wie die anderer Länder auch – auf dem chinesischen Markt vor großen Herausforderungen und Veränderungen, vor allem durch die Transformation zur Elektromobilität“, sagte eine VDA-Sprecherin SZ Dossier.
Die Versäumnisse sind selbst verschuldet. Unabhängig von Chinas Überkapazitäten haben die Deutschen die Innovationskraft und Geschwindigkeit der chinesischen Konkurrenz lange unterschätzt. Während in Deutschland noch an traditionellen Geschäftsmodellen festgehalten wurde, investierte China in Batterietechnologie, Software und digitale Technologien.
Über 230 Milliarden US-Dollar flossen in China in den Aufbau einer schlagkräftigen Elektroautoindustrie. Deren E-Autos sind heute technologisch führend, insbesondere bei Software, Vernetzung und automatisierten Fahrfunktionen.
Chinas E-Auto-Boom überflügelt Europa. Bereits in diesem Jahr sind etwa 45 Prozent der in China neu zugelassenen Pkws sogenannte New Energy Vehicles (NEV). Dazu zählen sowohl Elektroautos als auch fortschrittliche Plug-in-Hybride. Chinesische Automobilmarken machen fast 70 Prozent des eigenen Marktes aus. Deutsche Modelle – etwa die ID-Reihe von Volkswagen – tauchen in den Verkaufsranglisten kaum noch auf.
Vor wenigen Jahren war VW dort noch der unangefochtene Marktführer gewesen. Doch die Zeiten haben sich geändert: Der chinesische Hersteller BYD hat VW mit einem Marktanteil von 16,2 Prozent überholt, während die Wolfsburger auf 12,1 Prozent zurückgefallen sind. Geely, ein weiterer chinesischer Anbieter, liegt mit 12 Prozent fast gleichauf.
Besonders alarmierend ist der Absturz im Segment der Elektromobilität: Hier kommt VW nur noch auf magere zwei Prozent Marktanteil, während BYD, Nio, Xpeng und andere den Markt dominieren.
VW plant eine Gegenoffensive. Zwar hat Volkswagen die Zeichen der Zeit erkannt und eine umfassende Produktoffensive angekündigt. Bis 2027 sollen in China 40 neue Modelle eingeführt werden, davon die Hälfte elektrisch. Ein Schwerpunkt liegt auf günstigen Einstiegsmodellen, darunter das erste Elektroauto der Marke Jetta für unter 10 000 Euro.
Zudem setzt VW auf technologische Partnerschaften, etwa mit XPeng, um Entwicklungszeiten zu verkürzen und die Softwarekompetenz zu stärken. Trotz dieser Anstrengungen bleibt der Rückstand im E-Auto-Segment erheblich. Erste Rückzugsgefechte gibt es bereits. Das Werk in Nanjing hat VW bereits schließen lassen, weitere der insgesamt 37, an denen Volkswagen in China beteiligt ist, könnten schon bald folgen.
Gelingt es deutschen Herstellern aber, mit kreativen, vernetzten und preislich konkurrenzfähigen Modellen zu überzeugen und sich im dynamischen Marktumfeld zu behaupten, könnten sie den rasanten Bedeutungsverlust zumindest abbremsen. So sieht es auch der VDA: Die deutsche Autoindustrie passe sich „seit Jahrzehnten immer wieder erfolgreich an die Weltmarktentwicklung an“ und werde auch in Zukunft auf ihre größten Stärken setzen: „besondere Produktqualität, höchste Sicherheit sowie Nachhaltigkeit.“
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