Wer Menschen für Klimaschutz gewinnen will, muss ihnen bezahlbare, verlässliche Energie liefern – davon ist die britische Regierung überzeugt. Energiepolitik ist Hebel, nicht Beiwerk. „Letztlich wollen alle Erschwinglichkeit und Verlässlichkeit in ihrer Energie“, sagt Rachel Kyte, Klimasonderbeauftragte der britischen Regierung, im Gespräch mit SZ Dossier. „Wenn wir das mit sauberer Energie hinbekommen, gibt es keine Opposition zu Netto-Null.“
Deshalb hat die Labour-Regierung von Premierminister Keir Starmer nach ihrem Amtsantritt den Fokus auf die Transformation des Energiesystems gelegt. „Konkret bedeutet das: Erneuerbare Energien vorantreiben, aber auch dafür zu sorgen, dass das Energienetz zuverlässig ist und die Effizienz und Effektivität maximiert wird“, sagt Kyte. Technisches Wissen könne auch exportiert werden. Einen weiteren Schwerpunkt der Klimapolitik sieht Kyte auch in der Kreislaufwirtschaft, mehr dazu in unserem Dossier Nachhaltigkeit.
Mit der Wiederwahl von Donald Trump ist die Unsicherheit zurück. Schon in seiner ersten Amtszeit hatte Trump den Ausstieg aus dem Pariser Klimaabkommen eingeleitet und klimapolitische Maßnahmen zurückgefahren. Nun befürchten viele Regierungen, dass die USA erneut eine bremsende Rolle einnehmen könnten.
Besonders für europäische Länder wie Großbritannien und Deutschland wächst damit der Druck, internationale Partnerschaften zu stärken und eigene klimapolitische Führungsrollen auszubauen. In London beobachtet man genau, wie sich Deutschland unter der neuen Bundesregierung positioniert – auch, um gemeinsam ein Gegengewicht zur US-amerikanischen Klimapolitik zu schaffen. Es ist eines der aktuellen Projekte britischer Diplomatie, hierfür politischen Willen in Berlin zu organisieren.
„Mit der neuen Regierung würde ich erwarten, dass die deutsch-britische Partnerschaft von grundlegender Bedeutung sein könnte, um die internationalen Ambitionen zusammenzuhalten“, sagt Kyte. Es gebe eine ganze Reihe von Themen mit ähnlichen Positionen: „Klima und Sicherheit etwa, bei denen Deutschland traditionell ein wichtiger Anstifter war. Ich würde erwarten, dass wir in diesem Bereich mehr zusammenarbeiten.“
Sie nannte auch die Klimafinanzierung und die Bedeutung von Wäldern. Die klimapolitische Bedeutung Deutschlands innerhalb der EU könne nicht überbewertet werden.
Die Klimaziele in London sind eng mit der Energiepolitik verknüpft – das britische Ziel für diesen Sektor ist ambitioniert: Bis 2030 soll zu 95 Prozent saubere Energie erzeugt werden. Dafür will die Regierung auf Wasserstoff und Geothermie setzen, aber auch auf Kernenergie und CO₂-Speicherung.
Erneuerbare Energien seien „die billigste und sauberste Art, um die Wirtschaft wachsen zu lassen“. Hierin sieht Kyte einen Weg, auch große Schwellenländer zu überzeugen: „Wenn Sie in die großen Länder mit mittlerem Einkommen gehen, hängen unsere Sicherheit und unser Wohlbefinden vollständig von ihrem Erfolg ab.“ Wenn etwa Indien, Indonesien oder Brasilien die Transformation nicht vollziehen, werde das Auswirkungen auf die Weltwirtschaft haben.
Auch Bürgerinnen und Bürgern müsse man klarmachen, dass eine grüne Wirtschaft nicht im Widerspruch zu Wohlstand stehe. Sie sieht es als Fehler an, „dass wir versucht haben, die Diskussion in den Köpfen der Menschen zu gewinnen“. Politik müsse erklären: So senken wir Ihre Rechnung. So bleibt Ihr Alltag sicher.
Auf die Frage, welche Herausforderungen am meisten unterschätzt würden, nennt Kyte das Thema Gesundheit. „Die Leute haben immer gesagt, wir hatten schon immer Hitzewellen, aber wenn die Temperatur in der Nacht nicht mehr unter 20 Grad sinkt, belastet das vor allem Babys und ältere Menschen.“ Hier liege die Verantwortung häufig bei lokalen Behörden. „Wir können die Temperatur in der Stadt senken, indem wir Bäume pflanzen und begrünte Dächer haben. Das ist einfacher und wichtiger als ineffiziente Klimaanlagen, die den Energiebedarf steigen lassen.“
Die Geschwindigkeit, mit der sich das Klima verändere und die Auswirkungen spürbar würden, sei ein systemisches Problem für den Gesundheitssektor. „Es geht um übertragbare Krankheiten, aber auch die Infrastruktur selbst – etwa darum, Krankenhäuser hitzeresistent zu machen.“ Darüber hinaus sei Kühlung eine globale soziale Frage, da sich nicht jeder nachhaltige Kühlung leisten könne, fossile Systeme aber die Erderwärmung befeuern. Der Wettlauf um Klimaanlagen sei daher bereits heute einer der Haupttreiber des Energiebedarfs.