Um 10 Uhr am Samstagmorgen trifft sich die AfD zu ihrem Bundesparteitag im sächsischen Riesa. Die Polizei bereitet sich auf einen Großeinsatz vor, rechnet mit bis zu 10.000 Protestteilnehmern aus ganz Deutschland. Aktionsbündnisse wie „Widersetzen“ wollen den Parteitag verhindern, Delegierten den Zugang zur Halle versperren.
Die Vertreter der AfD wiederum reisen mit gehörig Selbstbewusstsein nach Riesa. Im ARD-Deutschlandtrend liegt die Partei bei 20 Prozent, eine aktuelle YouGov-Erhebung sieht sie gar bei 21 Prozent. Manch einen Parteifunktionär verleitet das dazu, noch größer zu träumen: Sein persönliches Wunschziel seien deutschlandweit 25 Prozent, sagt Bundesschatzmeister Carsten Hütter.
AfD-Chefin Alice Weidel, die in Riesa offiziell zur Kanzlerkandidatin gewählt werden soll, hat damit eine ehrgeizige Partei im Rücken. Und einen Wahlkampf vor der Brust, der sich um das Thema Wirtschaft dreht; das passt zur promovierten Ökonomin. Zusätzlich befeuern die Entwicklungen in Österreich, wo ein FPÖ-Kanzler zum Greifen nah ist, die Fantasien der AfD von einer bröckelnden Brandmauer. Und obendrein verschafft Tech-Milliardär Elon Musk der AfD-Chefin kurz vor dem Parteitag auch noch Aufmerksamkeit und Reichweite auf X. Die Ausgangslage für Weidel könnte kaum besser sein.
Das bedeutet auch: Die Fallhöhe für Weidel könnte kaum höher sein. Der Wahlkampf ist ihre Chance. Mit einem guten Ergebnis kann sie in der Partei nahezu unangreifbar werden, Beobachter halten gar eine „Weidelisierung“ der AfD für möglich. Die Messlatte? Kay Gottschalk, Mitglied im Bundesvorstand, formuliert es so: „Wenn wir jetzt nicht 20 Prozent einsacken, wann denn dann?“
Weidels Wahl ist unter Tagesordnungspunkt acht vorgesehen. Danach beginnt der ungemütlichere Teil des Parteitages: Beratung und Beschluss des Parteiprogramms. Heikel könnte es etwa beim Thema Schwangerschaftsabbrüche werden. Dazu heißt es im Leitantrag: Das Lebensrecht des ungeborenen Kindes stehe dem „Wunsch der Mutter auf Abtreibung diametral entgegen“. Schwangerschaftsabbrüche müssten „die absolute Ausnahme bleiben z.B. bei kriminologischer oder medizinischer Indikation“. Im Antragsbuch für den Parteitag finden sich nun gleich mehrere Anträge, die das rhetorisch entschärfen wollen.
Besonders spannend wird es, wenn es um die Jugendorganisation der Partei geht. Die will die AfD künftig enger an die Mutterpartei anbinden, auch um sie besser kontrollieren und im Notfall durchgreifen zu können. Dazu will die AfD die Junge Alternative (JA) von sich abkoppeln und eine neue Jugendorganisation gründen. Der sollen automatisch alle angehören, die unter 36 Jahre alt sind und – entscheidender Punkt – Mitglied der AfD sind. So will die Partei verhindern, dass junge Menschen zwar Teil der Nachwuchsorganisation, nicht aber der Partei sind und sich so deren Disziplin entziehen können.
Dazu muss in Riesa allerdings die Satzung geändert werden. Dafür ist eine Zweidrittelmehrheit nötig. Ob das gelingt, ist nicht ausgemacht. Gegner der Reform könnten versuchen, den Antrag gar nicht erst auf die Tagesordnung kommen zu lassen oder per Geschäftsordnungsantrag auf Nichtbefassung plädieren.
Ob das Gespräch mit Elon Musk Alice Weidel mit Rückenwind für Riesa und den Wahlkampf ausstattet, ist indes fraglich. Gut 75 Minuten sprachen die beiden über Energiepolitik, Migration, Bildung, Meinungsfreiheit und den Nahostkonflikt, lachten zusammen und Weidel freute sich, nicht unterbrochen zu werden.
Zeitweise hörten mehr als 200.000 Menschen zu. Sie hörten dabei auch, wie sich das Gespräch mit zunehmender Dauer im Absurden, bestenfalls Unpolitischen verlor: Weidel sagte, Hitler sei Kommunist gewesen, ließ sich von Musk dessen Mars-Pläne erklären und fragte ihn, ob er an Gott glaube.
Weidel hatte online die Tage heruntergezählt bis zu ihrem Gespräch mit dem Milliardär. Es war dann aber nicht Musk, der den Plausch beendete, sondern die AfD-Chefin selbst: „Ich weiß nicht, wie wir da noch weitermachen sollen“, sagte sie nach Musks Ausführungen zum Universum. „Diese Worte sind so schön.“ Reißleine. Auf der größtmöglichen Bühne. Tim Frehler