Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben
Tiefgang

Wunsch trifft Wirklichkeit: Die SPD startet in ihre Erneuerung

Es werden drei Tage Dauerspagat: Von Freitag bis Sonntag will die SPD nach der Wahlniederlage ihren Erneuerungsprozess einläuten. Es sollen neue Linien und eine große Erzählung gefunden werden, mit der die Sozialdemokratie das Vertrauen der Wählerinnen und Wähler und auch der Mitglieder wiedergewinnen will.

Fast 20 Jahre nach dem Hamburger Programm von 2007 soll ein neues Parteiprogramm erarbeitet werden, der Anfang wird am Wochenende gemacht. Die SPD will sich als Partei der Arbeit reformieren, so steht es im Leitantrag und so proklamierte es die Parteispitze in den vergangenen Tagen. In Vorbereitung auf den Parteitag in Person des designierten Generalsekretärs Tim Klüssendorf – auf der Regierungsbank übernimmt dies Arbeitsministerin Bärbel Bas.

Doch hier ist die Krux: Die SPD ist in der schwarz-roten Regierung an die Kompromisse des Koalitionsvertrags gebunden. „Extrem schmerzhafte Kompromisse“, wie Klüssendorf gestern im Willy-Brandt-Haus betonte. Da geht nur so viel, schließlich hat sich die Koalition ebenso dazu verpflichtet, in Stille und ohne öffentlichen Streit ihre Arbeit zu verrichten, um die Fehler der Ampel nicht zu wiederholen.

Brav unter der Union arbeiten und Kompromisse umsetzen – da fragt sich, wie sich die gestutzte SPD aus der Profil- und Bedeutungslosigkeit kämpfen will. Nicht ohne Reibung zu erzeugen, das ist auch der Parteispitze klar. Es gehe darum zu differenzieren, was die Partei an Programmatik neu erarbeite und dem, was als Regierungsauftrag für die kommenden vier Jahre festgehalten sei, so Klüssendorf. „Wir müssen immer eine Balance zwischen den Zwängen des Koalitionsvertrags und dem freien Denken halten.“

Drei Themen, mit denen die Partei ihr Profil schärfen könnte:

Antifaschismus: Beim Thema Kampf gegen Rechts hat die Linke der ehemaligen Widerstandspartei SPD bei der Wahl gehörig den Rang abgelaufen. Jetzt treiben die Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten ein mögliches AfD-Verbotsverfahren voran. Nachdem sich in den vergangenen Tagen Parteiprominente wie der Vorsitzende Lars Klingbeil, Justizministerin Stefanie Hubig und Thüringens Innenminister Georg Maier dafür ausgesprochen haben, soll auf dem Parteitag ein Initiativantrag des Parteivorstandes verabschiedet werden.

„Wenn rechtsextreme Ideologie nicht nur auf der Straße, sondern auch in Parteien und Parlamenten Fuß fasst, wird politische Pluralität nicht gelebt, sondern gezielt missbraucht – von Kräften, die sich außerhalb unserer Verfassungsordnung stellen und darauf hinarbeiten, ebendiese Ordnung abzuschaffen“, heißt es in dem Antrag. Eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe soll Material für ein Feststellungsverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht sammeln. Sollte es zu einem Verbotsverfahren kommen, wäre das in der Tat ein Erfolg für die Partei – von dem sie allerdings erst spät profitieren würde: In der Regel dauern diese Prozesse mehrere Jahre.

Faire Löhne: Wenn es schon Verschärfungen in der Arbeitswelt geben muss, um die Wirtschaft zu retten, wie es die Union fordert (mehr und länger arbeiten), dann soll diese Arbeit aus Sicht der Arbeitervertreter wenigstens gut entlohnt werden. Die SPD verweist an dieser Stelle oft auf den Gewerkschafterbegriff „Tariftreuegesetz“, den sie in den Koalitionsvertrag hineinverhandelt hat: „Tariflöhne müssen wieder die Regel werden und dürfen nicht die Ausnahme bleiben“, steht da.

Und dann ist da noch der Mindestlohn. Als wäre es abgesprochen, verkündet die Mindestlohnkommission am Freitagmittag in der Bundespressekonferenz ihre Einschätzung dazu, wie hoch der Mindestlohn in Zukunft ausfallen sollte. Knapp zwei Stunden später spricht die Genossin und DGB-Vorsitzende Yasmin Fahimi ein Grußwort auf dem Parteitag. Eine Chance für die SPD, die Debatte in die gewünschte Richtung zu lenken.

Klüssendorf sagte gestern dazu: „Wenn das geeinte Ergebnis in die richtige Richtung geht, dann sind wir sehr zufrieden damit, auch wenn dann 14,92 statt 15 Euro dabei rauskommen.“ Die Partei hatte kurz nach der Konstituierung der Regierung für einen ersten Dissens mit der Union gesorgt, als sie proklamierte, der Mindestlohn von 15 Euro komme auf jeden Fall – und werde zur Not gesetzlich festgeschrieben. Im Sinne des geräuschlosen Regierens wird man dieses Versprechen nicht halten können. Aber sollte ein zumindest annäherndes Ergebnis am Ende der Mindestlohn-Gleichung stehen, kann die SPD dies als Erfolg ihres Einsatzes für die „hart arbeitenden Menschen“ (Klingbeil) verbuchen.

Linkes Spitzenpersonal: So pointiert wie der Linken um ihren Shootingstar Heidi Reichinnek wird es der SPD wohl nicht gelingen, über Persönlichkeiten ihr Profil zu schärfen. Aber mit der qua Ressort mächtigsten Frau in der Regierung – der parteilinken Bildungsaufsteigerin Bas – und dem ebenfalls linken Generalsekretär Klüssendorf ist Parteichef Klingbeil schon mal einen Schritt in diese Richtung gegangen.

Sie setzen regelmäßig ihre Themen und sind weniger belastet als der ewig aneckende Ralf Stegner oder die parteiintern abgesägte Saskia Esken. Komplettiert werden Bas und Klüssendorf vom Klingbeil-Vertrauten Matthias Miersch. Ebenfalls ein Parteilinker und nun als Fraktionschef an entscheidender Stelle.

Zwar ist Verteidigungsminister Boris Pistorius weiterhin der beliebteste Politiker Deutschlands, doch mit dem neuen Personaltableau an der Spitze der Partei könnte es der SPD gelingen, ihre Positionen immer wieder prominent zu platzieren. Auch das sind schließlich Ziele des Leitantrags: personelle Erneuerung und eine klarere Kommunikation über die eigene Politik. Der Plan steht also. Wie gut die Umsetzung klappt, wird sich spätestens bei den nächsten Landtagswahlen im Frühjahr 2026 zeigen.