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Tiefgang

Worauf Merz beim Koalitionsausschuss achten sollte

Heute trifft sich der Koalitionsausschuss in Berlin. Es ist das zweite Mal, dass das Gremium in der aktuellen Legislaturperiode zusammenkommt. Das Treffen wird nicht nur inhaltlich wichtige Entscheidungen bringen, sondern auch Aufschluss über den Regierungsstil des Bundeskanzlers geben.

Auf der materiellen Ebene wird es etwa um steuerfreie Überstunden gehen, jedenfalls hat Friedrich Merz das zuletzt in einem Video auf Instagram angekündigt. CSU-Chef Markus Söder dringt derweil darauf, dass die erweiterte Mütterrente nicht erst 2028, sondern früher ausbezahlt wird. Aller Voraussicht nach wird außerdem das Bürgergeld auf der Tagesordnung stehen. Und auch um die Arbeitsweise innerhalb der Koalition werde es gehen, sagte Merz gestern Abend im Gespräch mit Sandra Maischberger.

Im Mittelpunkt aber wird die Frage stehen, ob es den Beteiligten gelingt, einen Kompromiss im Streit um die Senkung der Stromsteuer zu erzielen. Friedrich Merz steht dabei vor einer komplexen Ausgangslage – aus mehreren Gründen.

Erstens: Wie bei den jüngsten Verhandlungen mit den Ministerpräsidenten über Kompensationen für den Investitionsbooster erhöhen vor allem Unionspolitiker öffentlich den Druck. Es sind Markus Söder, Hendrik Wüst und Jens Spahn, die lautstark darauf pochen, die Stromsteuer zügig für alle zu senken, nicht nur für das produzierende Gewerbe, Land- und Forstwirtschaft. Merz muss also auf die Vetospieler in den eigenen Reihen Rücksicht nehmen – keinem davon mangelt es an Selbstvertrauen oder eigenen Karriereambitionen.

Der Kanzler muss aber nicht nur darauf achten, was sich im eigenen Windschatten tut, er darf, zweitens, auch selbst nicht ins Schlingern geraten. Schließlich stellt sich bei diesem Thema die Frage, wie es um seine Glaubwürdigkeit und seine Führungsstärke bestellt ist. Verbraucher und Unternehmer in Deutschland sind in der Lage, den Koalitionsvertrag zu lesen. Darin steht, die Stromsteuer solle „für alle auf das europäische Mindestmaß“ gesenkt werden – und zwar als Sofortmaßnahme. Zu seiner Verteidigung kann sich der Kanzler allerdings ebenfalls auf den Koalitionsvertrag und den dort niedergeschriebenen Finanzierungsvorbehalt berufen.

Was er allerdings nicht kann, ist so zu tun, als hätte er keinen Anteil daran, dass es zu diesem Streit gekommen ist: SPD-Politiker haben darauf hingewiesen, der jüngste Kompromiss zur Stromsteuersenkung sei zwischen Finanz-, Wirtschaftsministerium und dem Kanzleramt ausgehandelt worden. Merz selbst hat seine Position öffentlich dargelegt, in dem er in einem Video in sozialen Medien sinngemäß sagte, mit Blick auf den Bundeshaushalt sei mehr nun einmal nicht drin.

Dritter Punkt der komplizierten Ausgangslage: Auf Seiten der SPD fehlt es sicherlich nicht an Fantasien, welches ihrer Lieblingsprojekte die Union aufgeben sollte, um die Stromsteuersenkung zu bezahlen: „Wer ehrlich Politik machen will, muss bei Forderungen nach Steuersenkungen auch Vorschläge zur Gegenfinanzierung machen“, sagte die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Wiebke Esdar. Außerdem erwarte sie vom Koalitionsausschuss, „dass auch der Union noch einmal deutlich wird, dass man zu gemeinsamen Beschlüssen anschließend auch öffentlich stehen muss“.

Der Koalitionsausschuss heute wird also neben dem inhaltlichen Ergebnis auch Anschauungsmaterial dafür liefern, wie der Kanzler Konflikte in Partei und Koalition beilegt, er wird zeigen, wie Friedrich Merz führt.

Der Politikwissenschaftler Karl-Rudolf Korte von der Universität Duisburg-Essen beobachtet bei Merz bislang einen Führungsstil, der dem „Inbegriff der Unbeeindrucktheit“, entspreche. Merz führe „klarer, direkter, markiger, kooperativer und professioneller als Scholz“, sagt Korte. Sein Stil sei „ordnungspolitisch angelegt, autoritativer und zentralisierter als bei den Vorgängern.“

Korte sieht aber nicht nur bei Merz persönlichem Stil Unterschiede zu dessen Vorgängern, sondern auch in der Art und Weise, wie der Kanzler unterschiedliche Gremien nutzt: Er agiere mit „neuen Kooperationsarenen“, sagt Korte: So schaffe er sich mit dem Nationalen Sicherheitsrat etwa neue Institutionen; bestehende wie den Koalitionsausschuss interpretiere Merz neu. Er nutze ihn „als Kooperationsarena, nicht zur Konfliktschlichtung, eher zur gemeinsamen Priorisierung“.

Die größte Schwäche hat Korte dabei ausgemacht, wie Fraktion und Partei „effizient mitgenommen oder beschäftigt“ würden. Das sei noch ausbaufähig. Nacharbeiten muss Merz also – siehe oben – bei den Vetospielern in den eigenen Reihen.

Auch eine bessere Glaubwürdigkeit müsse sich Merz weiter erarbeiten. Im Thema Stromsteuer sieht der Politikwissenschaftler daher „ein wichtiges Indiz, dass er die Kooperationsarenen noch besser vernetzen muss“. Sein Frühwarnsystem hätte dem Kanzler mitteilen müssen, dass es sich hier um ein wichtiges Koalitionsversprechen handle, sagt Korte.

Möglich also, dass der Streit und der Koalitionsausschuss für Merz genau zur richtigen Zeit kommen – um die Lehren aus seinen Fehlern zu ziehen.

Und wie geht die Sache aus? Korte erwartet, dass das Geld für die Entlastung der Stromkunden schon gefunden werden kann, in dem der eine Koalitionspartner dem anderen etwas gönne. Das habe auch im Zusammenspiel mit den Ländern funktioniert.

Gestern Nachmittag zeichnete sich dann ab, wie das in der Praxis aussehen könnte. Die Stromsteuer könnte für alle sinken, aber schrittweise, berichtete das Handelsblatt unter Berufung auf Koalitions- und Regierungskreise. Im Gespräch sei auch eine befristete Senkung der Steuer.

Dass sich Schwarz-Rot ähnlich streiten wird wie einst die Ampel, sieht Politikwissenschaftler Korte ohnehin nicht kommen, „unter keinen Umständen“, sagt er.