Und am Ende freut sich die AfD
Von einem hatte man in der Debatte um die vertagte Richterwahl bisher nichts gehört: Jens Spahn war still geblieben. Nun hat sich der Chef der Unionsfraktion mit einem Schreiben an die Abgeordneten von CDU und CSU zu Wort gemeldet. Es liegt SZ Dossier vor.
Spahn folgt darin im Wesentlichen der Argumentation des Kanzlers: Der vergangene Freitag sei für die Koalition „ein schwerer Tag“ gewesen, eine vertagte Richterwahl sei aber keine Staatskrise. Die Fraktionsführung habe die „grundlegenden und inhaltlich fundierten Bedenken“ gegen Frauke Brosius-Gersdorf unterschätzt, räumt er ein. Auch dass der Eindruck habe entstehen können, „ein Plagiatsverdacht wäre unser zentrales Bedenken, hätte nicht passieren dürfen“, schreibt Spahn.
Wie es nun weitergehen soll, lässt er offen. Er habe am Wochenende viele Gespräche geführt, intern und mit der SPD. Der geschäftsführende Fraktionsvorstand werde die Lage beraten. Zudem bestehe keine Dringlichkeit. Auch hier liegt Spahn auf Linie mit Friedrich Merz.
Weiter schreibt er, die Koalitionsfraktionen seien gegen die „Emotionalisierung und Polarisierung der Debatte“ nicht gut gewappnet gewesen. Diese sei aber, anders als sachliche Argumente, von außen gekommen.
Tatsächlich ist die gescheiterte Wahl bislang vor allem ein Erfolg für die AfD. Sie folgte weitgehend dem, was die Partei bei ihrer Fraktionsklausur vorvergangenes Wochenende im Bundestag strategisch durchdekliniert hatte: In einem Papier legte sie dar, wie sich der Graben zwischen Union und SPD vertiefen lässt – mit polarisierenden Kulturkampfthemen.
Das Ziel: eine Situation, in der sich, wie in den USA, zwei unversöhnliche Lager gegenüberstehen. Bereits Anfang Juli wetterten Abgeordnete wie Beatrix von Storch gegen Brosius-Gersdorf.
Spahn schreibt dazu: Die Union dürfe nicht zulassen, „dass der Einsatz für Lebensschutz als rechts oder gar rechtsextrem diffamiert wird.“ Der Schutz des menschlichen Lebens und der menschlichen Würde sei für die Union essenziell, „und ein Thema der gesellschaftlichen Mitte“. Was das aber konkret für die Wahl von Brosius-Gersdorf bedeutet, bleibt offen.
Die offenen Fragen beantworten derzeit andere. CSU-Chef Markus Söder legte der SPD nahe, die Kandidatin auszutauschen: Auf ihrer Bewerbung „liegt und lag kein Segen“.
Doch die SPD tut sich damit schwer. Ihr Fraktionschef Matthias Miersch plädierte im Interview mit der SZ dafür, „sachlich“ an die Gespräche mit der Union heranzugehen. Er verwies auf Brosius-Gersdorfs Anerkennung in der Fachwelt und darauf, dass ihre Stellungnahmen etwa zum Schwangerschaftsabbruch „völlig verkürzt dargestellt“ worden seien.
Gleichzeitig nahm er sich und seiner Partei fast jeden Spielraum, indem er sagte: „Wenn der rechte Mob damit durchkommt, machen wir einen Riesenfehler.“ Eine Argumentation, hinter die sich die SPD kaum mehr zurückziehen kann – es wäre gleichbedeutend mit einem Einknicken vor dem rechten Mob. Die Lage ist festgefahren und entspricht genau dem Szenario, das sich die AfD ausgemalt hat.
Doch Auswege sind denkbar: Mierschs Vorschlag eines Gesprächs zwischen der Union und Brosius-Gersdorf könnte einer sein. CDU und CSU könnten danach sagen, die Diskussion habe ihre Sicht verändert – sofern das der Fall wäre.
Der CSU-Innenpolitiker Michael Frieser begrüßte im Deutschlandfunk diesen Vorschlag: Die Staatsrechtlerin solle den Kontakt zu seiner Fraktion suchen. Ihre Positionen seien „schwierig, aber nicht unvermittelbar“.
Eine weitere Option: Schwarz-Rot wartet ab, bis die Frist zur Wahl abläuft und das Bundesverfassungsgericht selbst Kandidaten vorschlägt. So könnte die SPD sagen, sie habe Brosius-Gersdorf nicht fallengelassen – eine Einigung sei schlicht nicht möglich gewesen.