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Tiefgang

Schulden-Doppelwumms für Wirtschaft und Rüstung

Wenn das Kabinett heute früh zusammenkommt, wird unter Leitung von Kanzler Friedrich Merz (CDU) eine Art Doppelwumms beschlossen, um noch einmal die Terminologie seines Vorgängers Olaf Scholz (SPD) zu gebrauchen: Die Kreditaufnahme des Bundes steigt in den nächsten Jahren rasant, und im Gegenzug können sich Bau- und Rüstungsindustrie auf milliardenschwere neue Aufträge einstellen, zusätzlich zu den schon vorbereiteten Steuerentlastungen.

Gestern wurden die Kernzahlen für die Bundeshaushalte 2025 und 2026 sowie für die Finanzplanung bis 2029 veröffentlicht, die Minister Lars Klingbeil (SPD) heute im Kabinett und dann der Presse präsentiert. Nun ist schwarz auf weiß zu sehen, wie die Verfassungsänderungen mit den Ausnahmen von der Schuldenbremse umgesetzt werden. Dabei führt die Sonderregelung für Verteidigung und Sicherheit – für alle Ausgaben über 1,0 Prozent des Bruttoinlandsprodukts dürfen Schulden gemacht werden – zu deutliche mehr neuen Krediten als das neue Sondervermögen für Infrastruktur und Klimaschutz. Allerdings müssen die Zinsen für beides am Ende aus dem normalen Haushalt bezahlt werden.

Im vergangenen Jahr betrug die Nettokreditaufnahme im normalen Haushalt plus Kredite für das bisherige Bundeswehr-Sondervermögen 50,5 Milliarden Euro. In diesem Jahr sollen es schon 143,1 Milliarden Euro sein, davon entfallen 37,2 Milliarden auf das neue Infrastruktur-Sondervermögen. Wenn 2028 das alte Sondervermögen Bundeswehr (aus heutiger Sicht schlappe 100 Milliarden Euro) ausgeschöpft ist, gehen alle zusätzlichen Sicherheitsausgaben zu Lasten der Nettokreditaufnahme im normalen Haushalt. Bis 2029 soll die Aufnahme neuer Schulden für alle Töpfe auf rund 185 Milliarden Euro steigen, etwa vier Prozent des bis dahin erwarteten Bruttoinlandsprodukts.

Dieser Anstieg der Neuverschuldung sei zwar nicht schön, heißt es im Finanzministerium, aber nun einmal „für neues und stärkeres Wachstum“ und für die Stärkung der inneren und äußeren Sicherheit nötig. Rechnet man neue Schulden von Ländern und Gemeinden sowie mögliche Defizite der Sozialversicherungen hinzu, könnten daraus auch 4,5 bis 5 Prozent werden, also deutlich mehr als die berühmten drei Prozent aus dem Maastricht-Vertrag.

Tat sich Deutschland lange schwer, die Rüstungsausgaben auf die schon 2015 beschlossenen zwei Prozent des BIP zu erhöhen, sollen sie nach den erstmals 2024 erreichten 2,0 Prozent auf 2,4 Prozent in diesem Jahr und 3,5 Prozent in 2029 steigen. Damit würden die Forderungen der Nato schon fast erfüllt. Die wird morgen in Den Haag eine Aufstockung der reinen Verteidigungsausgaben gemäß dem neuen Anforderungsprofil auf 3,5 Prozent beschließen, plus 1,5 Prozent ergänzender Sicherheitsinvestitionen etwa in der Infrastruktur – fällig bis 2035.

Allein der Haushalt von Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) soll von 62,4 Milliarden Euro in diesem Jahr um rund 250 Prozent auf 152,8 Milliarden in 2029 steigen. Auf die „Bereichsausnahme“ Sicherheit entfallen außerdem Ausgaben für Zivilschutz, Geheimdienste und IT-Sicherheit (diese steigt von 4,4 Milliarden in 2025 auf 6,4 Milliarden in 2029) plus über acht Milliarden Euro pro Jahr für die Unterstützung der Ukraine.

Die Investitionen außerhalb des Militärs sollen ebenfalls stark steigen: von 74,5 Milliarden im vergangenen Jahr auf 123,6 im nächsten Jahr. Ein kleinerer Teil kommt jeweils aus dem aus CO₂-Abgaben gespeisten Klimafonds. Ausgaben aus dem neuen Infrastruktur-Sondervermögen wachsen schon 2026 auf über 50 Milliarden, im Gegenzug sinken die Investitionen im Kernhaushalt leicht.

Der klassische Teil der kommenden Haushalte muss die Mindereinnahmen aus dem „Investitionsbooster“ (Sonderabschreibungen und Senkung der Körperschaftsteuer), der Senkung der Stromsteuer und der Mehrwertsteuer in der Gastronomie sowie der höheren Pendlerpauschale verkraften. Dies alles sei in der Finanzplanung bis 2029 berücksichtigt, hieß es.

Aus diesen Mindereinnahmen sowie der steigenden Zinslast und der Pflicht, Kredite aus der Coronazeit und dem Bundeswehr-Sondervermögen zurückzuzahlen, ergibt sich für den Teil des Haushalts ohne Ausnahmeregelungen reichlich Sparbedarf. Schon in den vergangenen Wochen musste Klingbeil Regierungskreisen zufolge Ausgabewünsche seiner Kabinettskollegen in Höhe von rund 50 Milliarden Euro zurückweisen. Ein Leidtragender bei den Einsparungen ist die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit ärmeren Ländern.

Nach der für den Kernhaushalt zunächst weiter geltende Schuldenbremsen-Regelung sinkt die dort erlaubte Nettokreditaufnahme auf unter fünf Milliarden Euro. Zwar hat Klingbeil den noch offenen Einsparungsbedarf („globale Minderausgabe“) für dieses und nächstes Jahr auf einige wenige Milliarden reduziert, aber ab 2027 dürfte es wieder Probleme im zweistelligen Bereich geben.

Kleiner Hoffnungsschimmer: Die Regierung hat mit dem Netto-Wachstum von einem Prozent für 2026 gerechnet, wie es ihrer offiziellen Schätzung entspricht. Die meisten Wirtschaftsforschungsinstitute sind inzwischen optimistischer, was mehr Steuer- und Sozialversicherungseinnahmen bedeutet.