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Raus auf die Marktplätze! Oder lieber nicht?

Ein kurzer Blick in den Terminkalender der AfD in Thüringen, auf eine Woche Mitte Juni. Da war am Montagvormittag Infostand der Bundestagsfraktion in Ilmenau, am Dienstagvormittag in Arnstadt. Am Abend lud die Landesgruppe der Bundestagsfraktion Bürgerinnen und Bürger zum Dialog nach Döllstädt ein. Am Samstag stieg dann das große Sommerfest des Kreisverbandes Greiz, unter anderem mit Björn Höcke als Redner.

Wahlkampf ist in Thüringen gerade keiner, die AfD tingelt trotzdem übers Land und inszeniert eine heile Welt. Für das Kinderfest in Weida Mitte Mai warb sie mit Hüpfburg, Kinderschminken und Ponyreiten. „Für das leibliche Wohl ist gesorgt.“ Solche Veranstaltungen hat die Thüringer AfD auch vergangenes Jahr im Landtagswahlkampf organisiert. Sie gibt sich dort nahbar und harmlos – Politik zum Anfassen, dazu eine Bratwurst. Serviert wird die in Thüringen allerdings von einer Partei, die gesichert rechtsextrem ist.

Die AfD baut sich auf diesem Weg das Image einer Partei auf, die vor Ort ist, die sich kümmert, die ansprechbar ist. Auch in anderen Parteien haben sie das registriert. Dort wird nun ebenfalls darüber nachgedacht, vor Ort sichtbarer zu sein. Thüringens Innenminister Georg Maier (SPD) sagte der FAZ kürzlich, die Präsenz spiele in seinen Überlegungen zum Umgang mit der AfD eine große Rolle. Seinem Landesvorstand habe er gesagt, die SPD müsse mehr in Sichtbarkeit investieren, „quasi fünf Jahre lang Wahlkampf führen“.

Bei den Grünen haben die Parteivorsitzenden Franziska Brantner und Felix Banaszak die Devise „mehr Gespräch“ ausgegeben. „Unser Küchentisch ist die Eckkneipe, ist der Marktplatz, das Weinfest und die Betriebsversammlung“, schrieben sie kürzlich in einem Gastbeitrag in der FAS.

Hinfahren und sichtbar sein – das ist auch ein Teil des Plans, mit dem die Grünen im Osten wieder zu Kräften kommen wollen. Im Antrag des Bundesvorstandes für den Länderrat, den kleinen Parteitag im April, hieß es: Der Bundesvorstand werde „ab diesem Frühsommer die Präsenz vor Ort in ostdeutschen Kreisverbänden zu einem Schwerpunkt machen“.

Parteichefin Brantner reiste also vergangene Woche durch Sachsen-Anhalt, als Teil ihrer Sommertour. Sie sprach mit einem Erdbeerbauer im Saalekreis, besuchte unter anderem das Stadtlabor, das die Innenstadt von Lutherstadt Wittenberg beleben soll, und sie lud zum „Feierabend mit Franziska“ in Dessau.

Die Thüringer Grünen-Politikerin Madeleine Henfling hat Zweifel, ob diese Präsenzstrategie das Allheilmittel sein kann, um der AfD zu begegnen: Natürlich sei es wichtig, dass die Leute sehen, dass man da ist und ansprechbar, sagt sie. „Aber wenn die Strategie lautet: Wir machen es so wie die AfD und schlagen an vielen Orten auf, dann wird das nicht funktionieren“, sagt Henfling. „Wenn ich ein grünes Sommerfest mache, dann kommen 20 Leute und die kenne ich alle.“

Henfling war bei der Landtagswahl im vergangenen Jahr Spitzenkandidatin ihrer Partei, der Wahlkampf sei nicht immer vergnügungssteuerpflichtig gewesen, sagt sie. „Man muss sich klarmachen, dass viele Leute bei uns im Osten gar nicht über Politik sprechen wollen, schon gar nicht mit Grünen.“ Das müsse man bedenken. „Sonst sitzt man allein in der Eckkneipe“, sagt sie. „Wenn es überhaupt noch eine gibt.“

Ihrer Ansicht nach muss es also zuerst darum gehen, das Problem des Vertrauensverlusts in demokratische Parteien anzugehen. „Solange wir als das Feindbild einer westdeutschen Verbotspartei markiert werden, haben unsere Leute vor Ort gar keine Chance.“

Und wie geht man das an? Henfling sagt, es brauche eine „Alltagstauglichkeit“ der Politik: „Viele Leute haben das Gefühl, wir diskutieren seit Wochen über Regenbogen- und Deutschlandflaggen.“ Auf der abstrakten Ebene sei das wichtig. „Aber wir erklären den Menschen viel zu wenig, warum wir das eigentlich machen.“ Bei den Leuten komme nur an: „Die diskutieren über Fahnen.“

Dabei interessierten sich viele eher dafür, „dass die Innenstädte sterben und die Infrastruktur nicht funktioniert“, sagt sie. Es wäre ihrer Ansicht nach also erst einmal ein wichtiger Schritt, „dass man Menschen nicht abspricht, dass sie sich an irgendeiner Stelle Sorgen machen und dass man die aufgreifen kann, ohne populistisch zu sein“.

Ändern müsse sich dabei auch die Art und Weise, wie auch in ihrer Partei über Politik gesprochen wird, da dürfe nicht mehr alles glattgebügelt werden, sagt Henfling. „Und wir als Grüne müssen uns von diesem Politik-Sprech befreien, mit dem wir in den letzten Jahren versucht haben, jeden Kompromiss für das Beste zu verkaufen, was wir je gemacht haben.“

Letztlich, sagt Madeleine Henfling, „erreichen wir nicht das Herz der Leute.“ Vieles in ihrer Partei sei zu kopflastig. Aber bevor man sich keine Gedanken darüber gemacht habe, woran das liegt und wie man das ändern könne, brauche man sich nicht auf die Marktplätze zu stellen.

„Und jetzt zu sagen, wir erhöhen im Osten die Präsenz und es kommen mehr Menschen aus der Parteispitze. Das wird nicht funktionieren“, sagt sie.