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Tiefgang

Queerbeauftragte Sophie Koch: „Ich will niemanden bekehren“

„Ich war der Auffassung, wir beenden diesen Kulturkampf und gehen jetzt zur Sachpolitik über“: Eigentlich wollte Sophie Koch in ihrem neuen Amt gleich in die Umsetzung kommen. Die 32-Jährige ist SPD-Landtagsabgeordnete in Sachsen und nun die neue Queerbeauftragte der Bundesregierung; oder wie der Titel korrekt lautet: Beauftragte der Bundesregierung für die Akzeptanz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt.

Sie hat den Posten angetreten, um die Belange der queeren Community sichtbarer zu machen und ihre Rechte zu stärken – und ultimativ über Artikel 3 auch in der Verfassung zu verankern.

Doch momentan ist sie vorrangig damit beschäftigt zu kritisieren, klarzustellen und zu mahnen, statt Diskurse über die Reform des Abstammungsrechts oder die Evaluierung des Selbstbestimmungsrechts anzustoßen. Spätestens seit sich Friedrich Merz mit der Aussage, das Parlament sei schließlich kein „Zirkuszelt“ in die Julia-Klöckner-Regenbogenfahnen-Debatte eingeschaltet hat, steht das Thema oben auf der Debatten-Tagesordnung.

Dabei ist die Frage, wie groß die Toleranz für geschlechtliche und sexuelle Vielfalt in Deutschland ist, durch den zunehmenden Hass und die Gewalt gegenüber queeren Menschen längst beantwortet: bei weitem nicht groß genug.

Jeden Tag gibt es neue Meldungen darüber, dass CSD-Umzüge aus Sicherheitsbedenken abgesagt oder umgeplant werden müssen, dass Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Paraden beleidigt, bedroht oder sogar angegriffen werden.

Ging der Blick vor einiger Zeit bewundernd nach Budapest, wo sich viele Tausend Menschen trotz drohender Repressionen durch die ungarische Staatsführung zur Pride-Parade versammelten, schaut man jetzt bedrückt nach Bautzen, Regensburg oder Pforzheim.

Kochs Büro als Bundesbeauftragte ist im Familienministerium angedockt, das von der Christdemokratin Karin Prien geführt wird. Ist das ein Problem? „In Karin Prien sehe ich eine Verbündete“, sagt Koch im Interview mit SZ Dossier.

Sie misst die konservative Bildungsministerin an deren öffentlichen Versicherung, dass sie nicht hinter das bereits Erreichte zurücktreten wolle. „Ich kaufe ihr das total ab.“ Sie glaube auch nicht, dass die Aussage von Bundestagspräsidentin Klöckner und Kanzler Merz Teil einer großen Strategie der Union zur Einschränkung der Rechte queerer Menschen seien.

Die Queerbeauftragte glaubt auch weiter an Priens gute Absichten, obwohl diese in ihrem Ministerium jüngst in altbewährter Unions-Manier das Gendern – zumindest in Teilen – verbietet. „Es ist ja nicht komplett verboten, es ist eingeschränkt und ich werde auch weiter gendergerechte Sprache verwenden“, so Koch.

Was sie aber ärgere: Dass dieser Vorstoß, genau wie das Verbot der CSD-Teilnahme der queeren Bundestagsgruppe, nicht vorher in einem Dialog mit den Beteiligten erörtert wurde. „Ich hätte zu den Themen gerne eigentlich ein Gespräch geführt.“ Dann hätte es bestimmt auch gute, kreative Lösungen gegeben.

Von wegen Brückenbauen: Es ist Koch, neben der Arbeit mit der Regierung und dem Parlament, um die Rechte der LGBTQ-Gemeinschaft weiter zu stärken und auszubauen, ein wichtiges Anliegen aufzuklären, zu sensibilisieren, Verständnis zu schaffen. „Ich will niemanden bekehren, im Idealfall will ich Menschen überzeugen, warum wir Gesetze ändern müssen.“

Und auch in der Gesellschaft für mehr Toleranz zu werben. Kochs eigene Erfahrung mit Seminaren für Polizistinnen und Polizisten in Sachsen habe ihr gezeigt, dass Vorurteile und Ablehnung oft aus Unwissenheit und auch Scham entstehen, berichtet sie. Der sachliche Austausch sei wichtig und eben nicht der Kulturkampf: „Es geht nicht mit ‚Ich schreie das und du antwortest das‘“, sagt die Queerbeauftragte.

Dass sie aus Sachsen kommt, sieht Koch als großen Vorteil für ihr Amt: „Es macht einen Unterschied, ob ich mich auf den Weg zum CSD in Köln oder Berlin mache, wo ich allein schon auf der Weg dahin mit 1000 Menschen unterwegs bin, oder ob ich den Zug nach Bautzen nehme. Da packe ich die Regenbogenfahne vielleicht weg, bis ich aussteige.“ Diese Perspektive zu kennen und einzubringen, sei ihr wichtig: Koch kennt das Gefühl, sich als queerer Mensch in der Öffentlichkeit unsicher zu fühlen und will das ändern.

Für sie gehört da auch die Änderung von Artikel 3 des Grundgesetzes dazu. Dort steht zwar, dass niemand wegen seines Geschlechtes benachteiligt werden darf, die sexuelle Vielfalt fehlt jedoch bislang. Eine Grundgesetzänderung ist ein großes Unterfangen; Koch freut sich deshalb, dass das Land Berlin eine entsprechende Bundesratsinitiative startet: „Ein schönes Signal ist auch, dass es ein CDU-geführtes Land ist, das die Initiative einbringt.“