Nordsee ist Windsee
Die stürmische Nordsee ist der ideale Ort für Europas künftige Energie-Resilienz. Dort planen und bauen die Anrainerstaaten – Deutschland, Großbritannien, Dänemark, Norwegen, die Niederlande und Belgien – riesige, miteinander vernetzte Offshore-Windparks.
Auf dem ersten Nordseegipfel 2022 im dänischen Esbjerg vereinbarten die Regierungschefs von vier Nordseeländern, darunter Deutschland, bis 2050 rund 150 Gigawatt Offshore-Windkraft im Meer zu installieren – das Dreifache der damaligen Weltkapazität. Schon 2022 versteigerten die Nordseeländer Lizenzen zum Bau von 25 GW Offshore-Wind. Die EU-Kommission unterstützt das Vorhaben als Teil ihres Green Deals.
Enorme Ambitionen: Auf den Gipfel in Esbjerg folgte 2023 ein zweiter im belgischen Ostende, an dem bereits neun Länder teilnahmen. „Europa muss allein schon aus Sicherheitsgründen unabhängiger werden beim Thema Energie“, sagt Stig Aagaard, Energieattaché der dänischen Botschaft in Berlin, SZ Dossier. „Der Ukraine-Krieg erzeugte viel Schwung für den Ausbau von Offshore-Windkraft, den wir aufrechterhalten müssen.“
Bei den deutschen Offshore-Wind-Auktionen 2023 und 2024 hatten Konzerne wie EnBW, Total Energies, BP oder RWE Milliarden für Gebiete weit draußen auf dem Meer geboten. 2024 ersteigerten EnBW und Total Energies von der Bundesnetzagentur Meeresgebiete 120 Kilometer nordwestlich von Helgoland für knapp zwei Milliarden Euro. 2023 hatten die Preise noch höher gelegen.
Zuletzt etwas ins Stocken geraten: Dänemark hatte nach den erfolgreichen deutschen Auktionen laut Aagaard sein eigenes Ausschreibungssystem angepasst, „weil wir gesehen haben, dass es gar nicht mehr so viel Förderung braucht.“ Fortan gab es keine Zuschüsse mehr, dafür zusätzliche Bedingungen, und der Staat wollte 20 Prozent an jedem Projekt halten. Das allerdings machte die Lizenzen unattraktiv. Null Gebote gab es bei der dänischen Auktion 2024, sodass Kopenhagen das Verfahren nun abermals nachbessert. Es sei klar geworden, „dass der Staat auch ein Risiko auf sich nehmen muss“, sagt Aagaard.
Parallel war zudem der Markt schwieriger geworden. Der dänische Energiekonzern Ørsted suspendierte im Mai den Bau des gewaltigen 2,4-Gigawatt-Windparks „Hornsea 4“ vor der britischen Küste. Ørsted nannte als Gründe gestiegene Kosten in der Lieferkette, höhere Kreditzinsen und Risiken bezüglich der Bauzeit. Offshore-Windanlagen sind teurer als Anlagen an Land, deren Neubau in Deutschland durch vereinfachte Regeln gerade wieder an Fahrt gewonnen hat.
Zielkonflikte nehmen zu. Ørsted und der norwegische Energiekonzern Equinor warnten kürzlich zudem vor sogenannten Wake-Verlusten – im konkreten Fall durch den geplanten Windpark „Outer Dowsing“ in der Nachbarschaft ihrer eigenen Anlagen in britischem Seegebiet. Wake-Verluste sind Strömungsverluste im Windschatten anderer Anlagen – sie gefährden die Wirtschaftlichkeit betroffener Windparks.
„Zwar setzen EU-Staaten auf ambitionierte Ausbauziele, doch fehlen vielfach klare Regeln zur Raumverteilung auf See“, erklärt das Fachmagazin Blackout News. Unkoordinierte Vorhaben könnten bestehende Projekte gefährden. Dabei könnte überschüssige Windenergie auf künstlichen Inseln in Wasserstoff umgewandelt werden.
Sorge vor chinesischen Komponenten: In Deutschland wiederum kritisieren Sicherheitsexperten, dass im Windpark „Waterkant“ vor Borkum 16 Turbinen des chinesischen Herstellers Ming Yang Smart Energy verbaut werden sollen. Sie warnen: Die Turbinen könnte China nutzen, um militärische Infrastruktur oder Bewegungen in der Nähe auszuspionieren. Ob das Folgen für das Projekt hat, ist unklar. Es ist mit 270 Megawatt eines der kleineren in dem Offshore-Plan.
Neuer Anlauf: Der vierte Nordseegipfel im Januar 2026 in Hamburg soll wieder Schwung in die Pläne bringen, ausgerichtet vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWE). Der Fokus liege darauf, eine „regional abgestimmte, seebeckenweite Planung und Finanzierung“ der geplanten Offshore-Kooperationsprojekte zu etablieren, sagte ein BMWE-Sprecher.
Die Projekte sollten schrittweise zu einem engmaschigen Stromnetz im gesamten Nordseebecken weiterentwickelt werden. „Dabei werden die Offshore-Windparks mit Strom-Interkonnektoren zwischen exportierenden und importierenden Staaten verbunden.“ Ein Interkonnektor ist eine Stromleitung, die über die Grenze zweier benachbarter Länder führt.
Die Ambitionen Dänemarks seien unverändert, betont Aagaard. „Wir wollen deutlich mehr Offshore-Wind bauen, als wir selbst benötigen.“ Das wolle Kopenhagen mit den Nachbarstaaten koordinieren, vor allem mit Deutschland. „Denn es ist für die Investoren in Dänemark nur dann attraktiv, wenn wir wissen, dass es dafür auch Abnehmer gibt.“
Chancen für die Küstenhäfen: Diese werden zu Hubs für die nötige Ausrüstung. Im dänischen Esbjerg hat sich eine ganze Gewerbestruktur um die Offshore-Windkraft gebildet – bis hin zu mit Windenergie betriebenen Datenzentren. Im niedersächsischen Cuxhaven wird derzeit der Hafen erweitert, um Kaianlagen für die nötigen Spezialschiffe und ihre schwere Fracht zu schaffen. 100 Millionen Euro steuert dazu der Bund bei.
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