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Briefing

Platz der Republik,

Ein wenig Wachstums-Optimismus

Guten Morgen. Es geht ein wenig aufwärts, sagen jedenfalls die deutschen Wirtschaftsinstitute. Gleich vier Stück erhöhten gestern ihre Prognose für das nächste Jahr, das Ifo-Institut etwa rechnet mit einem Wirtschaftswachstum von 1,5 statt 0,8 Prozent. Die Prognosen reichen nun von 1,6 bis 1,1 Prozent, mit der Stagnation sei Schluss. Selbst für 2025 wird nach einem besser als erwartet gelaufenen ersten Quartal etwas Wachstum erwartet, die offizielle Regierungsprognose liegt dagegen bei 0,0.

Voraussetzung ist aber, dass die neue Regierung ihre Ankündigungen auch wahrmacht, von gezielten Steuersenkungen bis zum Bürokratieabbau. Erst gestern hat die Industrieländerorganisation OECD einen ganzen Katalog mit Vorschlägen präsentiert. Kanzler Friedrich Merz kann also einigermaßen selbstbewusst zum G7-Gipfel nach Kanada fliegen, bei dem sich die internationalen Krisenthemen nur so stapeln.

An Selbstbewusstsein mangelt es bekanntlich auch Vizekanzler Lars Klingbeil nicht. Das vor allem von Ex-Größen der SPD unterzeichnete Friedens-„Manifest“ sei nicht gegen ihn persönlich gerichtet, sagte der Parteichef. Halt ein Meinungsbeitrag, den er nicht teile. Lass die nur reden, wir handeln, so kann man auch die Reise des Genossen Boris Pistorius nach Kyiv interpretieren. Gemeinsam und von Deutschland bezahlt werde man neue Waffen bauen, auch Langstreckenwaffen, verkündeten Pistorius und der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskij.

Willkommen am Platz der Republik.

1.

Eine Verpflichtung junger Männer zum Wehrdienst würde die Personalprobleme der Bundeswehr nach Ansicht der Grünen-Politikerin Sara Nanni eher verschärfen als lösen. „60 000 zusätzliche Soldat:innen wird man nicht mit Wehrdienstleistenden erreichen, egal ob diese freiwillig kommen oder verpflichtet werden“, sagte die verteidigungspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion SZ Dossier. Es sei wichtiger, die Zahl der Abgänge aus der Bundeswehr zu reduzieren, indem der Dienst attraktiver werde. „Die sicherheitspolitische Lage ist so akut, dass sich die Bundeswehr auf das konzentrieren sollte, was frühzeitig einen Effekt hätte“, so Nanni.

Frage der Gleichbehandlung: Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) will zunächst die Wehrerfassung wieder einführen und den freiwilligen Wehrdienst fördern, um auf 15 000 bis 20 000 Freiwillige pro Jahr zu kommen. „Diese Verdoppelung der Kapazität wird schon aufwendig genug“, sagte Nanni. Pistorius’ Idee, auch eine Rechtsgrundlage für eine Verpflichtung junger Männer zu schaffen, klinge zwar erst einmal sinnvoll, so die Politikerin. Aber das in der Verfassung verankerte Recht auf Kriegsdienstverweigerung bleibe bestehen: „Würden Verweigerer dann einen Ersatzdienst machen müssen – und was heißt das für die Zehntausenden, die gar nicht erst verpflichtet wurden?“ Da gebe es Probleme mit dem Grundsatz der Gleichbehandlung. „Auch mit so einem ‚Modell light‘ würden wir mehr Probleme schaffen als lösen.“

Kampf der Langeweile: Nanni forderte den Generalinspekteur der Bundeswehr auf, nach dem Nato-Gipfel Ende Juni ein Konzept zu liefern, wie die Vergrößerung der Bundeswehr erreicht werden solle. „Da wird nicht drinstehen, dass jedes Jahr zehntausende in Uniform gezwungen werden sollen“, sagte Nanni voraus. Bisher vermeide das Ministerium konsequent, die Ursachen dafür zu hinterfragen, warum so viele Menschen die Bundeswehr schnell wieder verlassen. Nur ein Teil bekomme nach der Grundausbildung interessante Jobs angeboten. Aber ein nicht zu vernachlässigender Teil „wird auf Stube gesetzt“ und langweile sich.

Hohe Abbrecherquote: „Die gehen, weil sich Teile der Truppe nicht verantwortlich fühlen und nicht die Kapazitäten haben, einen Dienst anzubieten, der spannend ist“. Dies sei ein Management-Problem auf oberster Ebene. Auch die bisherige Wehrbeauftragte Eva Högl hatte in ihrem im März präsentierten Jahresbericht die hohe Abbrecherquote als „äußerst problematisch“ bezeichnet. Von den im Jahr 2023 etwa 19 000 neu angetretenen Soldatinnen und Soldaten verließen rund 5 000 die Bundeswehr in den ersten sechs Monaten. Nanni sagte, auch die Reaktivierung früherer Zeitsoldaten könne ein Weg sein.

Alle Geschlechter einbeziehen: Offen zeigte sich Nanni dagegen für eine Grundgesetzänderung, die im Spannungs- oder Verteidigungsfall die Verpflichtung aller Geschlechter ermögliche. Heute schon könne jeder Mann im Verteidigungsfall sofort eingezogen werden. „Ich persönlich finde, dass man darüber nachdenken könnte, das auf alle Geschlechter auszuweiten. Ich möchte, dass der Staat auf mich als Frau potenziell zurückgreifen kann.“ Das würde Vorbereitungsmaßnahmen für die gesamte Bevölkerung ermöglichen – und würde es auch für die Bundeswehr interessanter machen, Frauen für die Grundausbildung zu gewinnen.

Keine Pflicht: Die immer wieder diskutierte allgemeine Wehrpflicht oder eine Dienstpflicht für alle lehnte Nanni dagegen ab. „Das wäre eine Misstrauenserklärung gegen eine Generation, die in eine Welt voller von den Boomern nicht gelöster Probleme kommt.“ Die Bereitschaft, sich zu engagieren, sei so hoch wie lange nicht, aber seit Ende der Wehrpflicht habe keine Regierung genügend Geld zur Verfügung gestellt, um diese Bereitschaft zum Engagement etwa im sozialen Bereich wirklich aufzunehmen.

2.

Wenn heute der Bundesrat zusammenkommt, steht vor allem ein Thema im Mittelpunkt: die Finanzierung des Investitionssofortprogramms von Finanzminister Lars Klingbeil. Auf der Tagesordnung steht zwar nur die erste Lesung des Pakets, im Vorfeld der MPK am Mittwoch dreht sich aus Sicht der Länder aber alles um die Frage, was sich die Regierung nun einfallen lässt. Mindestens sechs Ministerpräsidenten haben angekündigt, dazu im Plenum reden zu wollen.

Die Vorgeschichte: Die Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten sind nicht mit dem Vorgehen der Bundesregierung einverstanden, die bestimmte Steuern senken will – etwa in der Gastronomie oder bei Abschreibungen. Die Einnahmeverluste teilen sich auf Bund, Länder und Kommunen auf, für die Länderhaushalte bedeutet das weniger Einnahmen. Der Finanzausschuss des Bundesrates empfiehlt deshalb, dass die Bundesländer in einer Stellungnahme einen finanziellen Ausgleich vom Bund fordern. Sonst könnten die Länder – und auch die Kommunen – andere Aufgaben möglicherweise nicht mehr finanzieren. Wer bestellt, das kennen wir mittlerweile, soll bitte auch bezahlen (Stichwort Konnexität).

Die Zeit rennt davon: Vor einer Woche haben Bund und Länder eine Arbeitsgruppe eingesetzt, um zu einer Lösung zu kommen. Wie in den Landesvertretungen zu hören ist, scheint vor allem Bayern auszuscheren. Die Regierungschefs der Länder erwarten nach wie vor ein Entgegenkommen der Regierung. Das Sondervermögen oder die Möglichkeit für neue Schulden sieht keiner als Lösung. Bis zur zweiten Lesung bei der Bundesratssitzung am 11. Juli muss aus Sicht der Länder eine Kompensation her, sonst geht es in den Vermittlungsausschuss. „Ihr müsst uns helfen, zu können“, fasste ein Ministerpräsident jüngst zusammen. Denkbar ist wohl auch, die Erhöhung der Pendlerpauschale zu verschieben.

Heute im Bundesrat: In Länderkreisen rechnet man – bis auf die Aufregung um den „Investitionsbooster“ – mit einer kurzen Sitzung. Die Länderkammer wartet darauf, dass die Bundesregierung so richtig loslegt. Erste Vorhaben wurden per Fristverkürzung eingebracht, um noch vor dem Sommer ein politisches Signal ins Land zu senden. Im Ständigen Beirat soll es schon deutliche Appelle gegeben haben, das Instrument künftig nicht mehr so ausgiebig zu nutzen wie die Ampel. Weitere Themen stehen auch auf der Agenda: Robert Roßmann berichtet hier in der SZ über ein hessisches Vorhaben zum Recycling von Matratzen, das aller Voraussicht nach angenommen werden wird.

Bund-Länder-Treffen am Mittwoch: Nächste Woche steht die Besprechung der Länderchefs mit Bundeskanzler Friedrich Merz an. Die Tagesordnung liegt SZ Dossier vor, los geht es um 13:30 Uhr – davor findet eine Ministerpräsidentenkonferenz statt. Der Redebedarf ist groß: Neben „TOP 6.2 Steuerliches Investitionssofortprogramm und verlässliche Finanzpartnerschaft von Bund und Ländern“ geht es etwa um die Umsetzung des Sondervermögens, den Themenblock Bürokratieabbau und Staatsmodernisierung sowie die Migrationspolitik. Berichterstatter in so gut wie all diesen Punkten sind die Länder. Beim gemeinsamen Abendessen vor Merz’ USA-Reise soll die Stimmung jedenfalls gut gewesen sein: „Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne“, berichtete ein Teilnehmer.

3.

Der OECD-Wirtschaftsbericht Deutschland 2025 hält eine gute und eine schlechte Nachricht für die Union bereit: Die Aktivrente kann helfen, den Mangel an Arbeitskraft zumindest teilweise auszugleichen, der die deutsche Wirtschaft momentan bremst. Aber: Aus Sicht der OECD-Fachleute, gestern in Berlin vertreten in Person von OECD-Generalsekretär Mathias Cormann, muss die schwarz-rote Bundesregierung auch mehr tun, um Mehrarbeit (von Frauen) durch neue Steuermodelle zu fördern. Wäre das das Ende des Ehegattensplittings? „Die Abschaffung des Ehegattensplittings ist kein Thema“, stellte Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) bei der Übergabe des Berichts schnell klar.

Klare Worte: Sie sei dankbar, dass es die OECD nicht „an Klarheit vermissen lässt“, wo es in Deutschland hake, um die Wirtschaft wieder voranzubringen. „Wir brauchen wieder Wachstum, nach Jahren der Stagnation. Wir müssen an unserer Wettbewerbsfähigkeit arbeiten“, sagte Reiche und damit wahrlich nichts Neues. Viele der im Bericht angesprochenen Punkte sei die Bundesregierung schon angegangen, etwa mit den geplanten steuerlichen Entlastungen für Unternehmen, dem Investitionsbooster. „Wir nehmen ihre Empfehlungen ernst und arbeiten daran“, sagte sie in Richtung Cormann.

Zum Thema Ehegattensplitting fügte sie hinzu, dass sie nicht sicher sei, ob das Teilzeitthema nur ein Steuerthema sei: Sie habe auch schon vor ihrer Zeit als Ministerin beobachtet, dass die Achtung der Work-Life-Balance an Gewicht zugenommen habe. Also sagt sie zwar etwas weniger deutlich, aber genauso klar wie der Generalsekretär ihrer Partei, Carsten Linnemann, und Kanzler Friedrich Merz, dass zur Ankurbelung der Wirtschaft in Deutschland mehr gearbeitet werden müsse: „Wir müssen schaffen, dass sich Arbeit lohnt, dass länger gearbeitet werden kann und wir sollten Mehrarbeit entsprechend entlohnen.“

Diese Probleme sieht die OECD: In dem Bericht hat die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung vier Themen herausgearbeitet, an denen Deutschland für mehr Wachstum arbeiten soll: In der Fiskalpolitik muss die Ausgabeneffizienz erhöht werden, um tragfähige öffentliche Finanzen zu sichern. Für eine bessere Unternehmensdynamik müssen Bürokratielasten und regulatorische Wettbewerbshemmnisse abgebaut werden. Dem Fachkräftemangel soll durch Arbeitsanreize für Frauen, Geringverdienende und ältere Arbeitskräfte und Weiterbildung begegnet werden. Und die regionale Entwicklung muss durch Industrie-, Infrastruktur- und Innovationsförderung vorangebracht werden.

Die stürmische Nordsee ist der ideale Ort für Europas künftige Energie-Resilienz. Dort planen und bauen die Anrainerstaaten – Deutschland, Großbritannien, Dänemark, Norwegen, die Niederlande und Belgien – riesige, miteinander vernetzte Offshore-Windparks.

Auf dem ersten Nordseegipfel 2022 im dänischen Esbjerg vereinbarten die Regierungschefs von vier Nordseeländern, darunter Deutschland, bis 2050 rund 150 Gigawatt Offshore-Windkraft im Meer zu installieren – das Dreifache der damaligen Weltkapazität. Schon 2022 versteigerten die Nordseeländer Lizenzen zum Bau von 25 GW Offshore-Wind. Die EU-Kommission unterstützt das Vorhaben als Teil ihres Green Deals.

Enorme Ambitionen: Auf den Gipfel in Esbjerg folgte 2023 ein zweiter im belgischen Ostende, an dem bereits neun Länder teilnahmen. „Europa muss allein schon aus Sicherheitsgründen unabhängiger werden beim Thema Energie“, sagt Stig Aagaard, Energieattaché der dänischen Botschaft in Berlin, SZ Dossier. „Der Ukraine-Krieg erzeugte viel Schwung für den Ausbau von Offshore-Windkraft, den wir aufrechterhalten müssen.“

Bei den deutschen Offshore-Wind-Auktionen 2023 und 2024 hatten Konzerne wie EnBW, Total Energies, BP oder RWE Milliarden für Gebiete weit draußen auf dem Meer geboten. 2024 ersteigerten EnBW und Total Energies von der Bundesnetzagentur Meeresgebiete 120 Kilometer nordwestlich von Helgoland für knapp zwei Milliarden Euro. 2023 hatten die Preise noch höher gelegen.

Zuletzt etwas ins Stocken geraten: Dänemark hatte nach den erfolgreichen deutschen Auktionen laut Aagaard sein eigenes Ausschreibungssystem angepasst, „weil wir gesehen haben, dass es gar nicht mehr so viel Förderung braucht.“ Fortan gab es keine Zuschüsse mehr, dafür zusätzliche Bedingungen, und der Staat wollte 20 Prozent an jedem Projekt halten. Das allerdings machte die Lizenzen unattraktiv. Null Gebote gab es bei der dänischen Auktion 2024, sodass Kopenhagen das Verfahren nun abermals nachbessert. Es sei klar geworden, „dass der Staat auch ein Risiko auf sich nehmen muss“, sagt Aagaard.

Parallel war zudem der Markt schwieriger geworden. Der dänische Energiekonzern Ørsted suspendierte im Mai den Bau des gewaltigen 2,4-Gigawatt-Windparks „Hornsea 4“ vor der britischen Küste. Ørsted nannte als Gründe gestiegene Kosten in der Lieferkette, höhere Kreditzinsen und Risiken bezüglich der Bauzeit. Offshore-Windanlagen sind teurer als Anlagen an Land, deren Neubau in Deutschland durch vereinfachte Regeln gerade wieder an Fahrt gewonnen hat.

Zielkonflikte nehmen zu. Ørsted und der norwegische Energiekonzern Equinor warnten kürzlich zudem vor sogenannten Wake-Verlusten – im konkreten Fall durch den geplanten Windpark „Outer Dowsing“ in der Nachbarschaft ihrer eigenen Anlagen in britischem Seegebiet. Wake-Verluste sind Strömungsverluste im Windschatten anderer Anlagen – sie gefährden die Wirtschaftlichkeit betroffener Windparks.

„Zwar setzen EU-Staaten auf ambitionierte Ausbauziele, doch fehlen vielfach klare Regeln zur Raumverteilung auf See“, erklärt das Fachmagazin Blackout News. Unkoordinierte Vorhaben könnten bestehende Projekte gefährden. Dabei könnte überschüssige Windenergie auf künstlichen Inseln in Wasserstoff umgewandelt werden.

Sorge vor chinesischen Komponenten: In Deutschland wiederum kritisieren Sicherheitsexperten, dass im Windpark „Waterkant“ vor Borkum 16 Turbinen des chinesischen Herstellers Ming Yang Smart Energy verbaut werden sollen. Sie warnen: Die Turbinen könnte China nutzen, um militärische Infrastruktur oder Bewegungen in der Nähe auszuspionieren. Ob das Folgen für das Projekt hat, ist unklar. Es ist mit 270 Megawatt eines der kleineren in dem Offshore-Plan.

Neuer Anlauf: Der vierte Nordseegipfel im Januar 2026 in Hamburg soll wieder Schwung in die Pläne bringen, ausgerichtet vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWE). Der Fokus liege darauf, eine „regional abgestimmte, seebeckenweite Planung und Finanzierung“ der geplanten Offshore-Kooperationsprojekte zu etablieren, sagte ein BMWE-Sprecher.

Die Projekte sollten schrittweise zu einem engmaschigen Stromnetz im gesamten Nordseebecken weiterentwickelt werden. „Dabei werden die Offshore-Windparks mit Strom-Interkonnektoren zwischen exportierenden und importierenden Staaten verbunden.“ Ein Interkonnektor ist eine Stromleitung, die über die Grenze zweier benachbarter Länder führt.

Die Ambitionen Dänemarks seien unverändert, betont Aagaard. „Wir wollen deutlich mehr Offshore-Wind bauen, als wir selbst benötigen.“ Das wolle Kopenhagen mit den Nachbarstaaten koordinieren, vor allem mit Deutschland. „Denn es ist für die Investoren in Dänemark nur dann attraktiv, wenn wir wissen, dass es dafür auch Abnehmer gibt.“

Chancen für die Küstenhäfen: Diese werden zu Hubs für die nötige Ausrüstung. Im dänischen Esbjerg hat sich eine ganze Gewerbestruktur um die Offshore-Windkraft gebildet – bis hin zu mit Windenergie betriebenen Datenzentren. Im niedersächsischen Cuxhaven wird derzeit der Hafen erweitert, um Kaianlagen für die nötigen Spezialschiffe und ihre schwere Fracht zu schaffen. 100 Millionen Euro steuert dazu der Bund bei.

Diesen Text konnten Abonnentinnen und Abonnenten des Dossiers Geoökonomie bereits vorab lesen.

von Christiane Kühl

4.

Grünes Mea culpa: Im Fall des früheren Grünen-Abgeordneten Stefan Gelbhaar hat die Partei ihre Aufarbeitung abgeschlossen und dabei Fehler eingeräumt. Die für die Klärung des Falls um mutmaßliche sexuelle Belästigungen zuständigen Stellen seien „ihrer Verantwortung gegenüber allen Beteiligten nicht gerecht geworden“, heißt es in einem am Donnerstag veröffentlichten Text des Bundesvorstands. Die Strukturen seien demnach „überfordert“ gewesen – auch wegen des zeitlichen Drucks kurz vor der Listenaufstellung zur Bundestagswahl. Hinweise auf eine gezielte parteiinterne Intrige gebe es nicht.

Erfundene Vorwürfe: Gelbhaar, damals noch Bundestagsabgeordneter, hatte auf eine erneute Kandidatur auf der Berliner Landesliste verzichtet, nachdem im Dezember Berichte über Belästigungsvorwürfe bekannt geworden waren. Zentrale Anschuldigungen erwiesen sich jedoch als erfunden: Eine angeblich Betroffene soll dem rbb eine gefälschte eidesstattliche Erklärung übermittelt haben. Der Ursprung der Falschmeldungen lag laut Kommission „wohl innerhalb oder im Umfeld der Grünen Jugend Berlin“. Einige weitere Frauen halten an ihren Vorwürfen fest, deren genaue Art aber unklar ist.

Überarbeitung der Strukturen: Die eigenen internen Untersuchungen haben die Grünen jetzt abgeschlossen. Ihr Ergebnis ist laut des Berichts der eigens dafür eingesetzten Kommission sowie einer Einordnung des Parteivorstandes demnach, dass es keine endgültige Klärung in der Sache geben kann. Die Partei will ihre Ombudsstrukturen grundlegend reformieren und künftig in der Satzung verankern. Eine Arbeitsgruppe soll konkrete Vorschläge erarbeiten. Zudem soll eine hauptamtliche Koordinationsstelle eingerichtet werden.

Kein Fortgang des Verfahrens: Das Ombudsverfahren im Fall Gelbhaar wird nicht fortgesetzt. Die Partei sieht sich außerstande, abschließend über Rehabilitierung oder Sanktionen zu entscheiden. Die Kommission betonte, dass Ombudsverfahren keine strafrechtlichen Ermittlungen ersetzen können. Der Fall hat laut Bundesvorstand erheblichen Schaden angerichtet – für Gelbhaar, für das Vertrauen in Ombudsverfahren und für betroffene Frauen, deren Aussagen teils unter Generalverdacht gerieten. Die Hürden, sexualisierte Gewalt zu melden, seien dadurch gestiegen. Kritik übten die Grünen auch an der „falschen und verantwortungslosen“ Berichterstattung des rbb.

5.

Ausgewählte Themen im Fokus: Beim Treffen der G7-Staaten am Montag und Dienstag in Kanada soll es mehrere Erklärungen zu konkreten Themen, aber keine traditionelle Abschlusserklärung geben, wie gestern aus Regierungskreisen bekannt wurde. Die Papiere werden die Themen Künstliche Intelligenz, Quantentechnologie, Waldbrände, Migration und kritische Rohstoffe behandeln.

Knackpunkt USA: Mehr Aufmerksamkeit werden aber sicher die Äußerungen von US-Präsident Trump zum russischen Angriffskrieg in der Ukraine bekommen. Von Seiten der deutschen Regierung sei man froh, wenn die amerikanische Seite wenigstens ein Mindestmaß an Unterstützung zusage, hieß es. Im US-Senat wurden neue Sanktionen vorbereitet, denen Trump aber bisher nicht zugestimmt hat.

Klimaschutz nur Randthema: Gastgeber Kanada will das Thema Waldbrände prominent auf die Tagesordnung setzen – verständlicherweise, da der riesige Staat regelmäßig von verheerenden Feuern betroffen ist. Der Text wird aber absehbar das einzige Papier sein, dass sich mit den Themen Klimawandel und Klimaschutz beschäftigt. Seitdem die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel US-Präsident George W. Bush beim G8-Gipfel in Heiligendamm 2007 dazu brachte, die Ursachen des Klimawandels anzuerkennen und einer Reduzierung der Emissionen zuzustimmen, war Klima fast immer ein zentrales Gipfelthema.

Trump muss die Sanktionen einführen, damit Putin sofort sagt: ,Lass uns über das Ende des Krieges sprechen.’

Wolodimir Selenskij im Interview mit Paul Ronzheimer

Während viele deutsche Städte Vorbereitungen für die gestern begonnene erste kurze Hitzewelle des Jahres treffen und Verhaltenstipps geben, denkt der Chef der CDU im Berliner Abgeordnetenhaus an ganz andere Gefahren. Dirk Stettner forderte den Schutz der Hauptstadt vor möglichen Raketenangriffen durch einen „Iron Dome“ nach israelischem Vorbild. Auch wenn keine aktuelle Gefahr drohe, „müssen wir uns damit auseinandersetzen, müssen wir vorbereitet sein“, sagte Stettner den Kollegen vom Tagesspiegel.

Stettner und andere Abgeordnete reisen nächste Woche nach Israel, um sich vor Ort zu informieren. Der künftige Schutz der Stadt könnte Teil der für 2027 fälligen Neuverhandlung des Hauptstadtvertrages werden, mit dem der Bund der Stadt bestimmte Kosten abnimmt, deutete der CDU-Mann an. Auch wenn der Gedanke an Luftangriffe kurz nach dem Jubiläum des Kriegsendes etwas makabres haben mag – wenn die Nato sich nun tatsächlich für einen möglichen russischen Angriff auf ihr Territorium rüstet, wird auch dieser Teil der Verteidigung eine Rolle spielen. Allerdings wird die Bundesregierung wohl kaum exklusiv nur über den Schutz der Hauptstadt verhandeln können.

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