Eine Verpflichtung junger Männer zum Wehrdienst würde die Personalprobleme der Bundeswehr nach Ansicht der Grünen-Politikerin Sara Nanni eher verschärfen als lösen. „60 000 zusätzliche Soldat:innen wird man nicht mit Wehrdienstleistenden erreichen, egal ob diese freiwillig kommen oder verpflichtet werden“, sagte die verteidigungspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion SZ Dossier. Es sei wichtiger, die Zahl der Abgänge aus der Bundeswehr zu reduzieren, indem der Dienst attraktiver werde. „Die sicherheitspolitische Lage ist so akut, dass sich die Bundeswehr auf das konzentrieren sollte, was frühzeitig einen Effekt hätte“, so Nanni.
Frage der Gleichbehandlung: Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) will zunächst die Wehrerfassung wieder einführen und den freiwilligen Wehrdienst fördern, um auf 15 000 bis 20 000 Freiwillige pro Jahr zu kommen. „Diese Verdoppelung der Kapazität wird schon aufwendig genug“, sagte Nanni. Pistorius’ Idee, auch eine Rechtsgrundlage für eine Verpflichtung junger Männer zu schaffen, klinge zwar erst einmal sinnvoll, so die Politikerin. Aber das in der Verfassung verankerte Recht auf Kriegsdienstverweigerung bleibe bestehen: „Würden Verweigerer dann einen Ersatzdienst machen müssen – und was heißt das für die Zehntausenden, die gar nicht erst verpflichtet wurden?“ Da gebe es Probleme mit dem Grundsatz der Gleichbehandlung. „Auch mit so einem ‚Modell light‘ würden wir mehr Probleme schaffen als lösen.“
Kampf der Langeweile: Nanni forderte den Generalinspekteur der Bundeswehr auf, nach dem Nato-Gipfel Ende Juni ein Konzept zu liefern, wie die Vergrößerung der Bundeswehr erreicht werden solle. „Da wird nicht drinstehen, dass jedes Jahr zehntausende in Uniform gezwungen werden sollen“, sagte Nanni voraus. Bisher vermeide das Ministerium konsequent, die Ursachen dafür zu hinterfragen, warum so viele Menschen die Bundeswehr schnell wieder verlassen. Nur ein Teil bekomme nach der Grundausbildung interessante Jobs angeboten. Aber ein nicht zu vernachlässigender Teil „wird auf Stube gesetzt“ und langweile sich.
Hohe Abbrecherquote: „Die gehen, weil sich Teile der Truppe nicht verantwortlich fühlen und nicht die Kapazitäten haben, einen Dienst anzubieten, der spannend ist“. Dies sei ein Management-Problem auf oberster Ebene. Auch die bisherige Wehrbeauftragte Eva Högl hatte in ihrem im März präsentierten Jahresbericht die hohe Abbrecherquote als „äußerst problematisch“ bezeichnet. Von den im Jahr 2023 etwa 19 000 neu angetretenen Soldatinnen und Soldaten verließen rund 5 000 die Bundeswehr in den ersten sechs Monaten. Nanni sagte, auch die Reaktivierung früherer Zeitsoldaten könne ein Weg sein.
Alle Geschlechter einbeziehen: Offen zeigte sich Nanni dagegen für eine Grundgesetzänderung, die im Spannungs- oder Verteidigungsfall die Verpflichtung aller Geschlechter ermögliche. Heute schon könne jeder Mann im Verteidigungsfall sofort eingezogen werden. „Ich persönlich finde, dass man darüber nachdenken könnte, das auf alle Geschlechter auszuweiten. Ich möchte, dass der Staat auf mich als Frau potenziell zurückgreifen kann.“ Das würde Vorbereitungsmaßnahmen für die gesamte Bevölkerung ermöglichen – und würde es auch für die Bundeswehr interessanter machen, Frauen für die Grundausbildung zu gewinnen.
Keine Pflicht: Die immer wieder diskutierte allgemeine Wehrpflicht oder eine Dienstpflicht für alle lehnte Nanni dagegen ab. „Das wäre eine Misstrauenserklärung gegen eine Generation, die in eine Welt voller von den Boomern nicht gelöster Probleme kommt.“ Die Bereitschaft, sich zu engagieren, sei so hoch wie lange nicht, aber seit Ende der Wehrpflicht habe keine Regierung genügend Geld zur Verfügung gestellt, um diese Bereitschaft zum Engagement etwa im sozialen Bereich wirklich aufzunehmen.