Neue Handelspartnerschaften: Wohin sich die EU wenden könnte
Die Uhr tickt. Trumps 90-tägiges Zollmoratorium neigt sich dem Ende zu. Bald dürfte die US-Regierung wieder mit neuen Zöllen drohen. Und auch wenn bis dahin nicht ganz klar ist, wie heftig Trumps Handelskrieg die europäische Wirtschaft treffen wird – dass es heftig wird, steht fest.
Die Unternehmen versuchen sich, soweit möglich, für diese neue Epoche im internationalen Handel zu wappnen. Wenn die USA wegbrechen, hilft nur, mit dem Rest der Welt stärker zu handeln. Dabei hofft die Wirtschaft auf politischen Rückenwind. Das erhoffte Zauberwort lautet: Freihandelsabkommen.
Die EU startet keineswegs bei null. Laut der Welthandelsorganisation WTO verfügt die Union mit ihren 47 Freihandelsabkommen über ein weltweit einzigartiges Netz von Freihandelsabkommen. Innerhalb der WTO gibt es aktuell rund 380 Freihandelsabkommen, Tendenz steigend. Mehr als die Hälfte des Welthandels wird heute über solche Vereinbarungen abgewickelt.
In Richtung dieser Regionen und Länder orientiert sich die EU derzeit um:
Mercosur: Wie schwierig es ist, ein Handelsabkommen zu zimmern, zeigt das seit 20 Jahren andauernde Gezerre um dieses wichtige Freihandelsabkommen. Es steht kurz vor dem Abschluss – vorausgesetzt, Frankreich funkt nicht dazwischen.
Obwohl das Handelsvolumen mit den Mercosur-Staaten Brasilien, Argentinien, Paraguay und Uruguay gerade mal ein Prozent des gesamten deutschen Handels ausmacht, verspricht sich jedes dritte Unternehmen in Deutschland positive Auswirkungen auf seine Geschäftstätigkeit, zeigt eine DIHK-Umfrage. Das liegt auch daran, dass Lateinamerika bei wichtigen Rohstoffen und erneuerbaren Energien großes Potenzial bietet.
Außerdem erhebt Mercosur derzeit einige der weltweit höchsten Zölle – etwa 35 Prozent auf Autos, 14 bis 20 Prozent auf Maschinen und bis zu 18 Prozent auf Chemikalien. Der Großteil davon würde wegfallen.
Das Problem: Mercosur könnte noch scheitern. Damit das Abkommen ab 2026 umgesetzt werden kann, müssen das EU-Parlament und der Rat der EU-Mitgliedstaaten zustimmen. Zudem müssen es die nationalen Parlamente ratifizieren. Insbesondere die Position Frankreichs gibt da Grund zur Sorge: Die französischen Landwirte laufen Sturm dagegen.
Bernd Lange, Vorsitzender des Ausschusses für internationalen Handel im EU-Parlament, glaubt nicht, dass Paris zustimmen wird. Deshalb sei es das Ziel, dass Frankreich sich enthalte, um dadurch eine Mehrheit der anderen Länder zu ermöglichen, sagte er jüngst auf einer Veranstaltung in Berlin. Anders geht es auch nicht: Mercosur sei „eine geopolitische Notwendigkeit. Wenn wir das nicht hinkriegen, dann gute Nacht, Europa!“, ergänzte EU-Chefverhandler Rupert Schlegelmilch.
Mercosur zeigt, mit welchen zeitraubenden internen Zielkonflikten die EU zu kämpfen hat. Gleichzeitig liefert diese Erfahrung den Anreiz, bei weiteren möglichen Partnerschaften zügig aktiv zu werden:
Indien: Das bevölkerungsreichste Land der Welt wäre ein wichtiger Ausweichmarkt für die exportorientierte deutsche Wirtschaft. Die lange stockenden Verhandlungen laufen seit 2021 wieder. Vor kurzem überraschten die Unterhändler damit, dass sie einen Abschluss noch 2025 in Aussicht stellten.
Asean: Ein Abkommen mit allen Mitgliedern des südostasiatischen Staatenbunds – Brunei, Indonesien, Kambodscha, Laos, Malaysia, Myanmar, Philippinen, Singapur, Thailand und Vietnam – ist der EU im ersten Anlauf nicht gelungen. Mit Singapur (2019) und Vietnam (2020) konnte Brüssel allerdings bilaterale Abkommen schließen; mit Indonesien, den Philippinen, Malaysia und Thailand gab und gibt es Anstrengungen in diese Richtung. Die Region ist ein wichtiger Wachstumsmarkt für Europas Firmen.
CPTPP: Mit der Comprehensive and Progressive Agreement for Trans-Pacific Partnership gibt es noch keine offiziellen Gespräche – auch wenn Wirtschaftsvertreter diese Buchstabenfolge häufiger in den Mund nehmen. Als einziger europäischer Staat ist Großbritannien Ende 2024 dem Abkommen beigetreten, dem Australien, Brunei, Kanada, Chile, Japan, Malaysia, Mexiko, Neuseeland, Peru, Singapur und Vietnam angehören. Die Briten hatten ihre Beitrittsanfrage direkt nach dem Brexit gestellt. Die Giganten USA und China sind nicht dabei.
RCEP: Die 2022 in Kraft getretene Regional Comprehensive Economic Partnership ist die größte Freihandelszone der Welt. RCEP umfasst ein Drittel der Weltbevölkerung und 29 Prozent des globalen Bruttoinlandprodukts. Die EU gehört nicht dazu. Es dauerte fast ein Jahrzehnt, bis die Staats- und Regierungschefs der Asean-Staaten sowie von China, Japan, Südkorea, Australien und Neuseeland es unterschrieben.
Die EU hat mit vier RCEP-Mitgliedsländern bilaterale Freihandelsabkommen: neben Singapur und Vietnam sind das Japan und Südkorea. Derzeit verhandelt sie über Freihandelsabkommen mit den Mitgliedern Indonesien, Australien und Neuseeland.
Die USA sind allerdings nicht zu ersetzen. Der Austausch von Gütern und Dienstleistungen zwischen den Vereinigten Staaten und Europa belief sich 2024 auf rund 1,68 Billionen Euro – ein Rekordwert. Das sind über 4,5 Milliarden jeden Tag. Ausgleichen lässt sich der Verlust dieses Partners also nicht – aber abfedern.
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