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Briefing

Platz der Republik,

Krisendiplomatie in Kanada

Guten Morgen. Friedrich Merz hat es noch recht diplomatisch formuliert. „Ich sehe diesen Gipfel als eine Gelegenheit für wichtige Gespräche in einer Zeit großer Herausforderungen“, sagte der Bundeskanzler gestern vor seinem Abflug zum G7-Gipfel in Kanada. Diese Herausforderungen wachsen von Tag zu Tag – der Außenkanzler ist geforderter denn je.

In Kananaskis dürfte heute und morgen vor allem die Lage im Nahen Osten im Mittelpunkt stehen: Washington und die europäischen Hauptstädte haben Israel zwar ihre Solidarität versichert, ohne aber die Militäroffensive gegen Teheran aktiv zu unterstützen. Weitere „Herausforderungen“ sind nicht zuletzt der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine und der Zustand des Welthandels.

Der schwerste Brocken aber ist US-Präsident Donald Trump. Im Zentrum steht die Frage, ob der Westen zu einer gemeinsamen Linie findet. „Das wichtigste Ziel ist, dass die sieben größten Industrienationen der Welt sich einig sind und handlungsfähig werden“, sagte Merz. Unter Freunden, betonte er auch mit Blick auf Trump, „kann man und muss man offen reden“. Der US-Präsident zeigte sich derweil offen für Wladimir Putin als Vermittler zwischen Israel und Iran.

Willkommen am Platz der Republik.

1.

„Deutschland sollte sich klar an der Seite Israels positionieren, da eine Einschränkung ballistischer und nuklearer Fähigkeiten Iran auch uns schützt“, sagte CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter SZ Dossier. Bundeskanzler Friedrich Merz betonte gestern vor seinem Abflug nach Kanada, da das iranische Atomprogramm eine „existenzielle Bedrohung für den Staat Israel“ darstelle, habe das Land das Recht, „seine Existenz und die Sicherheit seiner Bürger zu verteidigen“. Er forderte Teheran auf, die Angriffe auf zivile Ziele in Israel einzustellen. „Es darf jetzt keine Ausweitung des Konflikts geben“, sagte Merz.

Eskalation im Nahen Osten: Israel und Iran haben ihre gegenseitigen Angriffe am Wochenende und in der Nacht zum Montag fortgesetzt. Nach israelischen Luftschlägen auf Atomanlagen und weitere Ziele reagierte Teheran erneut mit massiven Raketenangriffen. Dabei kam es wieder zu Toten und Verletzten. Die aktuellen Entwicklungen gibt es hier bei den Kolleginnen und Kollegen der SZ. Kiesewetter forderte ein klares Bekenntnis von der Bundesregierung: „Deutschland sollte auch kommunikativ klarmachen, dass es Israels Vorgehen gezielt gegen militärische Ziele unterstützt und nicht von ‚beide Seiten‘ sprechen.“

Chance für iranische Opposition: Wie der Außen- und Sicherheitspolitiker ausführte, müsse zudem klar sein, dass Iran den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine unterstütze – und eine Schwächung des iranischen Regimes daher auch in Deutschlands Interesse sei. „Ferner kann dies die Chance für die iranische Zivilbevölkerung und Opposition sein, sich von diesem Terrorregime zu befreien. Deshalb sollte Deutschland weiter die Opposition im Iran stärken und den Druck auf die Mullahs erhöhen“, führte Kiesewetter aus.

Konsequenzen für Deutschland: Teheran verbreite weltweit Terrorismus mit den Revolutionsgarden und seinen Proxies Hamas, Houthi und Hisbollah. „Dabei nutzt auch der Iran mittlerweile kriminelle Netzwerke und Rechtsextremisten auch in Deutschland“, sagte Kiesewetter. Es sei selbstverständlich, jüdische und israelische Einrichtungen in Deutschland weiterhin besonders zu schützen, wie auch Exil-Iranern den Aufenthalt zu verlängern. Merz sagte gestern: „Wir wappnen uns auch in Deutschland für den Fall, dass Iran israelische oder jüdische Ziele in Deutschland ins Visier nehmen sollte.“

Aus Sicht Israels stellt Iran eine existenzielle Bedrohung dar. „Ein Mullah-Regime mit Nuklearfähigkeiten gilt es unter allen Umständen zu verhindern“, sagte Kiesewetter. Deshalb sei „Israels gezielter Angriff auf iranische Nuklearanlagen und militärische Hochwertziele“ nötig und diene der Sicherheit der gesamten Region, sagte Kiesewetter. Wie der CDU-Politiker betonte, habe der Westen „viel zu lange auf Appeasement gesetzt“ und „an Schein-Verhandlungen festgehalten“, die Teheran zur Täuschung genutzt habe.

2.

Die Vereinigten Staaten blicken auf ein angespanntes Wochenende zurück: Während sich US-Präsident Donald Trump bei einer Militärparade feiern ließ, demonstrierten Millionen Menschen gegen seine Politik. Eine demokratische Politikerin und ihr Mann wurden bei einem Attentat in ihrem Wohnhaus getötet. „Die großen Proteste in zahlreichen Städten der USA reflektieren die tiefe politische Spaltung in den USA. Aber auch tiefe politische Gegensätze dürfen nicht gewaltsam ausgetragen werden“, sagte Metin Hakverdi, Transatlantik-Koordinator der Bundesregierung, SZ Dossier.

Größte Proteste gegen Trump: Bei den landesweiten „No Kings“-Protesten haben laut den Veranstaltern mehr als fünf Millionen Menschen in mehr als 2 000 Städten teilgenommen. Sie werfen Trump vor, wie ein König herrschen zu wollen. Die Parade, die Trump zum 250. Gründungstag der US-Streitkräfte veranstalten ließ, fand an seinem 79. Geburtstag statt. Der Andrang in Washington war eher überschaubar. Dafür fand parallel der bislang größte Protest gegen Trump statt. An einigen Orten kam es zu Festnahmen – so fuhren etwa in San Francisco und Culpeper zwei Männer ihre Fahrzeuge in die Menge. In Salt Lake City wurde ein Demonstrant angeschossen und lebensgefährlich verletzt. Der 39-jährige Mann starb am Sonntag im Krankenhaus.

Die Stimmung ist angespannt: Bereits am Samstag war es in Minnesota zu Attentaten auf demokratische Politiker gekommen: Ein bewaffneter Mann hatte die demokratische Abgeordnete Melissa Hortman, die dem Parlament von Minnesota angehörte, und ihren Ehemann Mark getötet. Wie Hakverdi ausführte, sei die Gewalt in diesem Zusammenhang erschreckend – schockiert habe ihn besonders der „offenbar politisch motivierte tödliche Angriff“ auf Abgeordnete der Demokratischen Partei, sagte der SPD-Abgeordnete. „Diese Tat erinnert mich an den Mordfall Walter Lübcke in Deutschland vor wenigen Jahren“, sagte er.

3.

Ex-Gesundheitsminister und Unions-Fraktionschef Jens Spahn (CDU) hat sich für eine Veröffentlichung des umstrittenen Sudhof-Berichts zur Corona-Maskenaffäre ausgesprochen. „Für mich wäre es aktuell sicher leichter, der Bericht wäre öffentlich“, sagte Spahn gestern Abend im Bericht aus Berlin. Der bislang unter Verschluss gehaltene Bericht der Sonderermittlerin Margaretha Sudhof befasst sich mit dem Vorwurf zu teurer Maskenkäufe in der Anfangszeit der Coronapandemie.

Rolle vorwärts: Noch am Donnerstag kursierte in der Unionsfraktion eine Sprachregelung zu dieser Angelegenheit, die SZ Dossier vorliegt. Die Vorwürfe mutwilliger Überbeschaffung seien „haltlos“. Wörtlich heißt es in dem vierseitigen Papier: „Der ‚Bericht‘ von Frau Sudhof ist parteipolitisch motiviert: Er wurde zu Ampel-Zeiten von einem Ampel-Minister an die politische Beamtin und ehemalige SPD-Staatssekretärin Frau Sudhof vergeben mit dem klaren Ziel, der Union und Jens Spahn im Wahlkampf zu schaden.“ Es liege zudem kein neuer Sachstand vor. Die Union betont, es finde „keine Geheimhaltung“ statt.

Spahn kennt den Text nicht: Das Gesundheitsministerium wolle das Ergebnis vor einer Herausgabe bewerten, heißt es in dem Papier, um aktuell laufende Rechtsstreite nicht zu gefährden. Er habe den Text bisher nicht lesen können, sagte Spahn: „Ich bin dazu auch nie befragt worden in irgendeiner Art und Weise.“ Er forderte eine Aufarbeitung der Pandemie weit über das Thema Masken hinaus – durch eine Enquete-Kommission im Bundestag. Gesundheitsministerin Nina Warken (CDU) will dem Bundestag nicht den kompletten Bericht übermitteln, sondern dem Haushaltsausschuss über Erkenntnisse zu den Maskenkäufen berichten und die Ergebnisse des Berichts dabei heranziehen.

Neue Vorwürfe: Wie SZ, NDR und WDR in einer neuen Recherche berichten, hat Spahn dem Bericht zufolge während der Pandemie in vielerlei Hinsicht eigenmächtig und „nachweislich gegen den Rat seiner Fachabteilungen“ gehandelt. Diese hätten sich dafür ausgesprochen, die Maskenbeschaffung vom Innenministerium koordinieren zu lassen – so wie es auch der Corona-Krisenstab am 5. März 2020 beschlossen hatte. Spahn habe den dortigen Beschaffungsbehörden „ungeachtet der dort vorgehaltenen Fachkompetenz“ nicht vertraut.

Ich statt Staat: Stattdessen habe der damalige Gesundheitsminister beschlossen, „die Beschaffung allein meistern zu wollen“ – und entschieden, mit dem von ihm geführten BMG selbst in die Maskenbeschaffung einzusteigen. „Fehlendes ökonomisches Verständnis“ und „politischer Ehrgeiz“ hätten am Ende dazu geführt, dass nicht als Team „Staat“, sondern als Team „Ich“ gehandelt worden sei, konstatiert Sudhof demzufolge. „So begann das Drama in Milliarden-Höhe“, heißt es weiter, an dessen Ende Spahn Masken im Wert von knapp sechs Milliarden Euro kaufen ließ, von denen rund zwei Drittel nie gebraucht wurden. Das ziehe bis heute „erhebliche Kosten und Risiken nach sich“.

Schwierige Aktenführung: Zudem hätten sich die Unterlagen nicht in einem „der Aktenführung einer Obersten Bundesbehörde entsprechenden Zustand“ befunden. So seien Mails des Ministeriums bei der Beratungsfirma EY ausgelagert sowie viel „per sms und messenger (im Wesentlichen wohl whatsapp)“ kommuniziert und nicht archiviert worden. Zudem „intervenierte [Spahn] immer wieder persönlich“. „Dies geschah, soweit dokumentiert, häufig von dem MdB-Account beim Deutschen Bundestag aus“, heißt es. Spahn betonte im Bericht aus Berlin, es sei eine Entscheidung des Kabinetts gewesen, dass das Gesundheitsministerium beschaffe: „Es wäre ja auch komisch, wenn in der Jahrhundert-Gesundheitskrise der Gesundheitsminister und das Gesundheitsministerium dann nicht aktiv werden würden.“

Die Uhr tickt. Trumps 90-tägiges Zollmoratorium neigt sich dem Ende zu. Bald dürfte die US-Regierung wieder mit neuen Zöllen drohen. Und auch wenn bis dahin nicht ganz klar ist, wie heftig Trumps Handelskrieg die europäische Wirtschaft treffen wird – dass es heftig wird, steht fest.

Die Unternehmen versuchen sich, soweit möglich, für diese neue Epoche im internationalen Handel zu wappnen. Wenn die USA wegbrechen, hilft nur, mit dem Rest der Welt stärker zu handeln. Dabei hofft die Wirtschaft auf politischen Rückenwind. Das erhoffte Zauberwort lautet: Freihandelsabkommen.

Die EU startet keineswegs bei null. Laut der Welthandelsorganisation WTO verfügt die Union mit ihren 47 Freihandelsabkommen über ein weltweit einzigartiges Netz von Freihandelsabkommen. Innerhalb der WTO gibt es aktuell rund 380 Freihandelsabkommen, Tendenz steigend. Mehr als die Hälfte des Welthandels wird heute über solche Vereinbarungen abgewickelt.

In Richtung dieser Regionen und Länder orientiert sich die EU derzeit um:

Mercosur: Wie schwierig es ist, ein Handelsabkommen zu zimmern, zeigt das seit 20 Jahren andauernde Gezerre um dieses wichtige Freihandelsabkommen. Es steht kurz vor dem Abschluss – vorausgesetzt, Frankreich funkt nicht dazwischen.

Obwohl das Handelsvolumen mit den Mercosur-Staaten Brasilien, Argentinien, Paraguay und Uruguay gerade mal ein Prozent des gesamten deutschen Handels ausmacht, verspricht sich jedes dritte Unternehmen in Deutschland positive Auswirkungen auf seine Geschäftstätigkeit, zeigt eine DIHK-Umfrage. Das liegt auch daran, dass Lateinamerika bei wichtigen Rohstoffen und erneuerbaren Energien großes Potenzial bietet.

Außerdem erhebt Mercosur derzeit einige der weltweit höchsten Zölle – etwa 35 Prozent auf Autos, 14 bis 20 Prozent auf Maschinen und bis zu 18 Prozent auf Chemikalien. Der Großteil davon würde wegfallen.

Das Problem: Mercosur könnte noch scheitern. Damit das Abkommen ab 2026 umgesetzt werden kann, müssen das EU-Parlament und der Rat der EU-Mitgliedstaaten zustimmen. Zudem müssen es die nationalen Parlamente ratifizieren. Insbesondere die Position Frankreichs gibt da Grund zur Sorge: Die französischen Landwirte laufen Sturm dagegen.

Bernd Lange, Vorsitzender des Ausschusses für internationalen Handel im EU-Parlament, glaubt nicht, dass Paris zustimmen wird. Deshalb sei es das Ziel, dass Frankreich sich enthalte, um dadurch eine Mehrheit der anderen Länder zu ermöglichen, sagte er jüngst auf einer Veranstaltung in Berlin. Anders geht es auch nicht: Mercosur sei „eine geopolitische Notwendigkeit. Wenn wir das nicht hinkriegen, dann gute Nacht, Europa!“, ergänzte EU-Chefverhandler Rupert Schlegelmilch.

Mercosur zeigt, mit welchen zeitraubenden internen Zielkonflikten die EU zu kämpfen hat. Gleichzeitig liefert diese Erfahrung den Anreiz, bei weiteren möglichen Partnerschaften zügig aktiv zu werden:

Indien: Das bevölkerungsreichste Land der Welt wäre ein wichtiger Ausweichmarkt für die exportorientierte deutsche Wirtschaft. Die lange stockenden Verhandlungen laufen seit 2021 wieder. Vor kurzem überraschten die Unterhändler damit, dass sie einen Abschluss noch 2025 in Aussicht stellten.

Asean: Ein Abkommen mit allen Mitgliedern des südostasiatischen Staatenbunds – Brunei, Indonesien, Kambodscha, Laos, Malaysia, Myanmar, Philippinen, Singapur, Thailand und Vietnam – ist der EU im ersten Anlauf nicht gelungen. Mit Singapur (2019) und Vietnam (2020) konnte Brüssel allerdings bilaterale Abkommen schließen; mit Indonesien, den Philippinen, Malaysia und Thailand gab und gibt es Anstrengungen in diese Richtung. Die Region ist ein wichtiger Wachstumsmarkt für Europas Firmen.

CPTPP: Mit der Comprehensive and Progressive Agreement for Trans-Pacific Partnership gibt es noch keine offiziellen Gespräche – auch wenn Wirtschaftsvertreter diese Buchstabenfolge häufiger in den Mund nehmen. Als einziger europäischer Staat ist Großbritannien Ende 2024 dem Abkommen beigetreten, dem Australien, Brunei, Kanada, Chile, Japan, Malaysia, Mexiko, Neuseeland, Peru, Singapur und Vietnam angehören. Die Briten hatten ihre Beitrittsanfrage direkt nach dem Brexit gestellt. Die Giganten USA und China sind nicht dabei.

RCEP: Die 2022 in Kraft getretene Regional Comprehensive Economic Partnership ist die größte Freihandelszone der Welt. RCEP umfasst ein Drittel der Weltbevölkerung und 29 Prozent des globalen Bruttoinlandprodukts. Die EU gehört nicht dazu. Es dauerte fast ein Jahrzehnt, bis die Staats- und Regierungschefs der Asean-Staaten sowie von China, Japan, Südkorea, Australien und Neuseeland es unterschrieben.

Die EU hat mit vier RCEP-Mitgliedsländern bilaterale Freihandelsabkommen: neben Singapur und Vietnam sind das Japan und Südkorea. Derzeit verhandelt sie über Freihandelsabkommen mit den Mitgliedern Indonesien, Australien und Neuseeland.

Die USA sind allerdings nicht zu ersetzen. Der Austausch von Gütern und Dienstleistungen zwischen den Vereinigten Staaten und Europa belief sich 2024 auf rund 1,68 Billionen Euro – ein Rekordwert. Das sind über 4,5 Milliarden jeden Tag. Ausgleichen lässt sich der Verlust dieses Partners also nicht – aber abfedern.

Diesen Text konnten Abonnentinnen und Abonnenten des Dossiers Geoökonomie bereits vorab lesen.

von Carolyn Braun

4.

Rentenpunkte für junge Wehrdienstleistende? Pünktlich zum ersten nationalen Veteranentag nimmt die Debatte um den Wehrdienst weiter an Fahrt auf. Der Wehrbeauftragte Henning Otte (CDU) brachte nun im Interview mit dem RND Erleichterungen beim Studiengang oder zusätzliche Rentenpunkte ins Spiel: „Das Wichtigste ist die gesellschaftspolitische Anerkennung. Es muss honoriert werden, dass Menschen bereit sind, für den Dienst in der Bundeswehr einzustehen“, sagte Otte. Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) hat den jüngst aktualisierten zusätzlichen Bedarf auf 50 000 bis 60 000 beziffert.

Zunächst freiwillig: Die Bundesregierung will neue Soldatinnen und Soldaten zunächst auf freiwilliger Basis gewinnen. „Wenn das jedoch nicht ausreicht, müssen verpflichtende Anteile eingebaut werden“, sagte Otte. Falls auf freiwilliger Basis nicht genug Soldatinnen und Soldaten gewonnen werden könnten, müsse das Verteidigungsministerium die Karten auf den Tisch legen und sagen, wie der Auftrag der Bundeswehr erfüllt werden könne. Otte begrüßte die Debatte um eine allgemeine Dienstpflicht: „Das stärkt die jungen Staatsbürger und Staatsbürgerinnen, aber vor allem die Gesellschaft insgesamt.“

Veteranentag: Gestern fand zum ersten Mal der nationale Veteranentag statt, den der Bundestag vor einem Jahr auf den 15. Juni gelegt hatte. „Ihr Platz ist in der Mitte unserer Gesellschaft“, sagte Pistorius über die Angehörigen der Bundeswehr. Als Veteranin oder Veteran gilt in Deutschland jede Soldatin und jeder Soldat. Sowohl aktive als auch ehrenhaft aus dem Dienst ausgeschiedene. Etwa zehn Millionen Deutsche haben Wehrdienst geleistet oder waren Berufs- oder Zeitsoldaten, etwa eine halbe Million von ihnen war im Auslandseinsatz. Besonders lesenswert: Sina-Maria Schweikle hat hier für die SZ mit einem Soldaten gesprochen, der mehrere Monate in Afghanistan stationiert war.

5.

Bauen soll günstiger werden: Bauministerin Verena Hubertz (SPD) will die Kosten für den Bau neuer Wohngebäude halbieren. „Die Hälfte können wir uns durchaus auf die Schippe nehmen als sehr ambitioniertes Ziel“, sagte Hubertz der Bild am Sonntag. Unter anderem sollen mehr serielle Vorprodukte helfen, das Ziel zu erreichen. Heißt konkret: Gebäudewände sollen in einer Fabrik vorgefertigt werden. „Da kann man 30 bis 40 Prozent ganz leicht reinholen“, sagte Hubertz.

Kein Bauziel, kein Problem: Die Ministerin kündigte zudem an, den Anstieg der Bodenkosten bremsen zu wollen. „Da arbeiten wir zum Beispiel am Thema Erbpacht. Es ist nicht der eine Knopf, den wir drücken – wir müssen uns die komplette Lebensphase eines Gebäudes und der Kostentreiber anschauen“, sagte sie. Auf ein Bauziel wie etwa zu Ampel-Zeiten will sie sich aber nicht festlegen: „Man kann nicht ein Ziel vier Jahre in Stein meißeln, wenn sich die Welt um uns herum radikal ändert.“ Gleichzeitig betonte sie, dass die Zahl von rund 250 000 im vergangenen Jahr fertiggestellten Wohnungen eine Vollkatastrophe gewesen sei.

6.

Der SPD steht ein diskussionsfreudiger Parteitag bevor. Es geht Ende Juni um den künftigen Kurs der Regierungspartei – und um die Aufarbeitung der Ampel. So manche Arbeitsgruppe hat da bereits ihre Schlüsse gezogen, wie aus dem Antragsbuch hervorgeht, das SZ Dossier vorliegt. Die Arbeitsgemeinschaft für Arbeit (AfA), die nach eigenen Angaben größte und mitgliederstärkste AG in der Partei, rechnet vor allem mit der Parteiführung ab, aber auch mit den Grünen.

Back to the roots: Wenig überraschend fordert sie in ihrem Antrag, die SPD wieder als Partei der Arbeit aufzubauen. „Kern der Wähler- und Mitgliedschaft der SPD müssen wieder die abhängig Beschäftigten werden“, heißt es. Im Rückblick auf die vergangene Legislatur schreibt die AG, die Zuwächse für AfD und Union seien „nicht auf deren Stärken und Leistungen, sondern auf das politisch-inhaltliche wie kommunikative Desaster vor allem der SPD (und der Grünen) zurückzuführen“. Wie schon bei vorausgegangenen Wahlen hätten die Defizite vorwiegend in den „wahlentscheidenden Themen der Wirtschafts- und Sozialpolitik“ sowie bei der staatlichen Handlungsfähigkeit gelegen.

Augen auf bei der Partnerwahl: Das Bild der Ampel sei nicht von der Kanzlerpartei SPD geprägt gewesen, sondern von den „permanenten Querschüssen vor allem aus den Reihen der FDP“. Die „sozialdemokratischen Teile des Koalitionsvertrages“ seien durch die Arbeitgeberverbände und „mächtige Sonderinteressen“ torpediert worden. Andere Projekte seien durch die FDP verzögert und blockiert worden – zudem fiel ein dritter Teil „der Inkompetenz in den grünen Ministerien zum Opfer, wie das ‚Heizungsgesetz‘ und die Kindergrundsicherung“. Das Fazit: „Im Gesamtbild wirkten Kanzler und SPD zumeist nicht als führend und handlungsfähig, sondern als Getriebene eines konservativ-liberalen medialen Mainstreams, gleich ob es um Panzer, Bürgergeld oder Zuwanderung ging.“

Gerade ist zu beobachten, dass es mehrere Kandidaten für den ersten Platz bei Regelverstößen gibt. Das sollte nicht als Auszeichnung verstanden werden.

Bundestagspräsidentin Julia Klöckner beklagt im Interview mit dem RND eine Art Wettlauf um Ordnungsrufe zwischen AfD und Linkspartei

Die Grünen versuchen, ihre neue Rolle in der Opposition zu finden. Eine Art Kursbestimmung haben die Vorsitzenden Felix Banaszak und Franziska Brantner nun in einem Gastbeitrag in der FAS vorgenommen. Sie schreiben sinngemäß, dass der Partei der Blick für die Lebensrealität abhandengekommen sei. Ein Befund ausgerechnet von denjenigen, die diese Realität in den vergangenen Jahren maßgeblich mitgestaltet haben.

„Der Fluch des Administrierens, in dem jedes Alltagsproblem mit einem Gesetzestext oder einem Haushaltstitel beantwortet werden will – er überfällt jede Regierung“, schreiben die Vorsitzenden. Die Aufgabe der Partei sei jetzt, aus den vielen politischen Herausforderungen die „richtige Sprache zu finden, zwischen Alarmismus und Ignoranz, und von der Gesellschaft akzeptierte Handlungen daraus abzuleiten“. Der eigentliche Konflikt zwischen Anspruch und Machbarkeit in der Ampelzeit wird in Sprachbilder ausgelagert, strukturelle Kritik ersetzt personelle Verantwortung.

Die soziale, wirtschaftliche und demokratische Schlüsselfrage sei freilich der Umgang mit dem Klima- und Naturschutz. Überzeugen wollen Banaszak und Brantner mit dem Begriffspaar Ehrlichkeit und Empathie, ihr Küchentisch sei die Eckkneipe, der Marktplatz. „Politischer Erfolg heißt nicht, die anderen scheitern zu lassen – sondern das Leben der Leute konkret zu verbessern.“ Politik sei glaubwürdig, wenn sie den Alltag der Menschen nicht nur verwaltet, sondern zum Ausgangspunkt ihres Handelns macht. Der politische Weg zurück zu den Menschen beginnt oft mit großen Worten – und endet nicht selten in der Komfortzone der eigenen Erzählung.

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