Mark Rutte oder die Kunst, sich klein zu machen
Es gibt Momente in der internationalen Politik, in denen Würde verhandelbar wird. Wenn das Ziel groß genug ist, dann darf die persönliche Haltung auch mal unter das diplomatische Parkett rutschen. Mark Rutte hat damit nie ein Problem gehabt.
Diese Woche hat der Nato-Generalsekretär eine Meisterleistung vollbracht: Er lobte Donald Trump so unverhohlen, dass es schon unangenehm war. Und war damit erfolgreich, nach seinen eigenen Kriterien.
„Donald, Sie haben uns zu einem wirklich, wirklich wichtigen Moment für die USA und Europa, für die ganze Welt geführt“, schrieb Rutte in einer Nachricht an Trump. „Sie werden etwas erreichen, was KEIN amerikanischer Präsident seit Jahrzehnten geschafft hat. Europa wird in GROSSEM Stil zahlen, so wie es sich gehört – und es wird Ihr Sieg sein.“
Erste Frage: Ist das echt? War es. Zweite Frage: Machte sich Rutte lustig über den US-Präsidenten und seine Neigung, sich schmeicheln zu lassen? Nein. Es ist so schlicht wie wahr: Er hat sich eingeschleimt. Dass Trump die Nachricht öffentlich machte, wurde nur von anderen als demütigend empfunden.
Ob das nicht erniedrigend gewesen sei? „Eine Frage des Geschmacks“, sagte Rutte. „Aber er ist ein guter Freund.“
Weitere Zutaten dieser Strategie: Trump eine Nacht bei den niederländischen Royals verschaffen – im Huis ten Bosch, dem Wohnpalast des Königspaars. Eine seltene Ehre, und sie wirkte. Rutte weiß, dass Symbole zählen – besonders bei Trump.
Und er weiß, wie man Trump eine Rolle anbietet, die diesem nützt – oder schmeichelt. Als der Präsident den Krieg zwischen Iran und Israel mit einer Prügelei zwischen zwei Schulhof-Rowdys verglich („Sie kämpfen wie die Wilden, man kann sie nicht aufhalten. Lassen Sie sie zwei, drei Minuten lang kämpfen. Dann ist es einfacher, sie zu stoppen“), sprang Rutte ihm nicht nur bei, sondern adelte ihn mit einem pädagogischen Bild: „Und dann muss Papa manchmal harte Worte verwenden“, sagte er.
Trump als durchgreifender Daddy: Eine Variante der Taktik, die kürzlich auch Friedrich Merz bei seinem Besuch im Weißen Haus angewandt hat: Trump eine Rolle zuzuschreiben, die dieser selbst gar nicht unbedingt einnehmen würde – aber schmeichelhaft genug ist, um zu wirken.
Rutte hat die Kunst der politischen Demut perfektioniert. Im niederländischen Parlament war es fast sein Markenzeichen: Runterschlucken, relativieren, entschärfen. „Sag einfach, dass es dir leid tut, dann bist du fertig damit“ – das war sein Rat an jüngere Minister, wie sich ein Weggefährte erinnert. Nicht aus Schwäche, sondern aus Effizienz. Im Europäischen Rat war es ähnlich: Wer sich über seine Schmeicheleien wunderte, verstand nicht, wie sehr Rutte das Ergebnis über das Ego stellt.
Dass ihm egal ist, was andere von ihm denken, solange das Resultat stimmt, ist kein Geheimnis. Sich herabzulassen – öffentlich, sichtbar, auch unangenehm – ist in seinen Augen ein kleiner Preis. Jedenfalls im Vergleich zu dem, was andere zahlen müssten, wenn das Bündnis scheitert.
„Es war nicht einfach, aber wir haben sie alle dazu gebracht, sich zu 5 Prozent zu bekennen“, vermeldete Rutte noch. Stolz auf das Ergebnis – nicht auf den Weg dorthin.
Nicht alle sehen das so nüchtern. Der frühere litauische Außenminister Gabrielius Landsbergis sprach aus, was viele in Europa dachten: Die Wortwahl sei „geschmacklos“ gewesen, habe Europa „zum Bettler“ gemacht – „erbärmlich vor unseren transatlantischen Freunden und unseren östlichen Gegnern zugleich“.
Doch es gibt auch andere Stimmen. „Außergewöhnliche Zeiten erfordern außergewöhnliche Maßnahmen“, sagt Thomas Erndl, verteidigungspolitischer Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag. Der Zusammenhalt der Nato sei von existenzieller Bedeutung für Europas Sicherheit, und der Gipfel in Den Haag ein Erfolg – nicht trotz, sondern wegen Ruttes eigenem Stil. „Am Ende wird man eben am Ergebnis gemessen – und das gilt schon jetzt als historisch. Die fünf Prozent sind keine Trump-Gefälligkeit, sondern in unserem ureigenen Interesse und die Grundlage für eine glaubwürdige Abschreckung.“
Die großen drei der Nato in Europa – der Bundeskanzler, Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und der britische Premier Keir Starmer – sahen keinen Grund, Rutte zu kritisieren. Sie selbst, so war zu hören, sahen den Message-Vorfall als Warnung, in der Kommunikation mit Trump mit allem zu rechnen und demnach doppelt vorsichtig zu sein. Sie wollen weiter ein gewisses Selbstbewusstsein zeigen und Trump durch stetige Wiederholung beeinflussen, etwa in der Frage der Sanktionen gegen Russland.
Rutte glaubt wirklich, dass es Trumps Druck war, der Europa wachgerüttelt hat – und dass ein neuer Anlauf nur mit einem Respekt vor diesem Mann gelingt. Er vergaß vielleicht, dass es im hohen Amt des Nato-Generalsekretärs nicht mehr nur um seinen Ruf geht. Auch der Stolz der übrigen Verbündeten steht auf dem Spiel. Doch auch das ist ihm nachrangig – wenn es hilft, das Bündnis zusammenzuhalten. Oder Europa wenigstens etwas Zeit zu verschaffen, seine eigene Verteidigung robuster aufzustellen.