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Tiefgang

Der Weg zum AfD-Verbot

Es sei eine „historische Aufgabe“, die AfD wieder aus dem Parlament herauszukriegen, sagte SPD-Chef Lars Klingbeil in seiner Rede auf dem Parteitag am Sonntag. Wenig später stimmten die Delegierten dafür, ein AfD-Verbotsverfahren vorzubereiten. Kern des entsprechenden Antrages ist die Einsetzung einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe, die das Material für den Antrag vor dem Bundesverfassungsgericht zusammentragen soll.

Angesichts des mehr als 1000 Seiten langen Gutachtens des Bundesverfassungsschutzes stellt sich allerdings die Frage, was diese AG sammeln – und wie mit dem Material weiter umgegangen werden soll.

„Die AG soll alle Materialien, die es gibt, zusammenführen“, sagt die SPD-Bundestagsabgeordnete Carmen Wegge. „Das heißt: die Unterlagen des Bundesverfassungsschutzes und der 16 Landesämter.“ Außerdem gebe es ja noch Material, das unter Verschluss sei. Gesetzesentwürfe der AfD seien auch noch nicht herangezogen worden. Gleiches gelte für Erkenntnisse, die gesellschaftliche Gruppen über die AfD angehäuft haben. „Wenn Herr Dobrindt also sagt, das derzeitige Material reiche nicht für ein Verbotsverfahren, muss man fragen, woher er das wissen will“, sagt Wegge. Schließlich gebe es keine vollständige Sammlung.

Der Zeitplan, den sie für das Verbotsverfahren im Kopf hat, ist straff: Sie strebe eine Entscheidung des Verfassungsgerichtes vor der nächsten Bundestagswahl an, sagt Wegge. Doch dafür drängt die Zeit: Die SPD-Politikerin rechnet damit, dass die AG allein sechs Monate brauche, um die Unterlagen zusammenzuführen – danach dauere es schätzungsweise weitere neun Monate, um den Schriftsatz zu erstellen. Für das Verfahren des Gerichts rechnet Wegge mit zwölf bis 24 Monaten. Viel Zeit bleibt also nicht mehr, 2029 wird wieder gewählt. „Deswegen muss die Union sich jetzt bewegen“, sagt Wegge.

Danach sieht es aber im Moment nicht aus: Bundeskanzler Friedrich Merz sagte im Mai in einem Interview mit der Zeit, er sei bei Verbotsverfahren „sehr skeptisch“. Innenminister Alexander Dobrindt (CSU) gab sich zuletzt äußerst unbeeindruckt vom Parteitagsbeschluss der SPD. Die Entscheidung der Sozialdemokraten sei für ihn „noch kein Auftrag“, sagte er im Gespräch mit Table Briefings. Er verwies stattdessen auf eine Arbeitsgruppe, die Bund und Länder einrichten wollen, die sich aber nicht mit der Vorbereitung eines Verbots beschäftigen soll. Vielmehr soll es dort darum gehen, einen einheitlichen Umgang mit der Partei nach der Hochstufung zur gesichert rechtsextremistischen Bestrebung zu finden. Das betrifft etwa mögliche Auswirkungen auf den öffentlichen Dienst oder den Waffenbesitz.

Offen ist aber, wann die AG anfängt zu arbeiten. Die AfD klagt gerade gegen die Hochstufung durch den Verfassungsschutz. Innenminister Dobrindt sagte nach einer Konferenz mit seinen Länderkollegen Mitte Juni, die Arbeitsgruppe solle erst eingerichtet werden, wenn das Verwaltungsgericht Köln die Hochstufung der AfD bestätigt hat. Einzelne Länder hingegen wollen früher loslegen.

Gleichwohl kommen aus der Union auch andere Töne als die skeptischen von Merz und Dobrindt. NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) zum Beispiel zeigte sich kürzlich offen für ein Verbotsverfahren, „wenn die Voraussetzungen zweifelsfrei vorliegen“.

Gegenwind erhalten die SPD-Unterstützer des Verbotsverfahrens derweil aus den eigenen Reihen und von prominenter Stelle. Der frühere Parteichef Sigmar Gabriel bezeichnete die Verbotspläne seiner Partei als „dumm“. Die SPD solle sich lieber fragen, warum hunderttausende ihrer ehemaligen Wählerinnen und Wähler zur AfD gewechselt seien, schrieb er in einer Mail an die Partei, über die der Tagesspiegel berichtet hat.

Gabriel riet seiner Partei: Statt Ersatzhandlungen wie einem Parteiverbot „wäre es besser, endlich die politischen Themen zu bearbeiten, die die deutschen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer scharenweise von der SPD zur AfD treiben“.

Carmen Wegge hat im Gegenzug aber auch einen Rat an den Ex-Parteichef parat: „Kluge Politik bedeutet, sich mit den Sachthemen auseinanderzusetzen. Offensichtlich hat Herr Gabriel das noch nicht getan. Er ist aber herzlich eingeladen, bei mir vorbeizukommen, dann erkläre ich ihm das.“ Die Vorbereitung eines Verbotsantrages schließe nicht aus, sich damit zu beschäftigen, wie man AfD-Wählerinnen und -Wähler zurückgewinnen könne. Das sei ja auch Teil des Parteitagsbeschlusses.

Darin wird etwa der Parteivorstand beauftragt, innerhalb der SPD „eine dauerhafte Struktur zu schaffen, die die Ursachen des AfD-Zuspruchs sowie deren politische Methoden systematisch analysiert“. Dafür soll ebenfalls eine Arbeitsgruppe eingerichtet werden.

Ob das nicht ein bisschen spät ist, schließlich gibt es die AfD schon seit mehr als zehn Jahren? Wegge verweist darauf, dass es auch die Arbeitsgruppe schon mehrere Jahre gebe. Der Beschluss diene dazu, ihre Arbeit weiterzuführen.