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Tiefgang

Die wichtigsten Erkenntnisse aus dem Verfassungsschutzbericht

Die Zahl der Extremisten steigt, der Nahostkonflikt wirkt sich auch auf die Sicherheitslage in Deutschland aus und der russische Angriffskrieg auf die Ukraine fordert die deutsche Cyber- und Spionageabwehr heraus. Viel zu tun also für Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU), der gestern mit dem Vizepräsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Sinan Selen, den Verfassungsschutzbericht für das Jahr 2024 vorgestellt hat. Die wichtigsten Erkenntnisse:

Das Personenpotenzial im Bereich Rechtsextremismus hat im vergangenen Jahr die Marke von 50 000 überschritten, der Inlandsgeheimdienst rechnet diesem Bereich nun 50 250 Menschen zu, gut 10 000 mehr als im Jahr 2023. In den vergangenen zehn Jahren habe sich die Zahl mehr als verdoppelt, sagte Innenminister Dobrindt. Mehr als 15 000 Rechtsextremisten gelten als gewaltorientiert. Auch die Zahl rechtsextremistischer Straftaten stieg deutlich – um 47,4 Prozent im Vergleich zu 2023.

Eine besondere Herausforderung sehen die Verfassungsschützer in Tätern, die sich selbst und verstärkt im Internet radikalisieren und „ohne erkennbare Anbindung an bereits bekannte rechtsextremistische Strukturen agieren“. Bei der Radikalisierung im Internet spielten nicht nur Plattformen wie Instagram und Tiktok eine Rolle, sondern vor allem „eine weitverzweigte, oft internationale Vernetzung mit Gleichgesinnten“. Auf Telegram oder Discord würden „Gewaltfantasien bis hin zu Mordaufrufen“ geteilt. Bei den Akteuren handele es sich laut Verfassungsschutzbericht teilweise sogar um Minderjährige, die die Schwelle zur Strafmündigkeit noch nicht überschritten hätten.

Von den 50 250 Menschen, die der Verfassungsschutz zum rechtsextremistischen Personenpotenzial zählt, rechnet er 20 000 der AfD zu – auch das ein deutlicher Anstieg: 2023 waren es noch 11 300. Das gestiegene Personenpotenzial im Bereich Rechtsextremismus hängt also auch mit den steigenden Mitgliederzahlen der AfD zusammen. Die Partei meldete im November, sie werde das 50 000. Parteimitglied aufnehmen, laut einem Bericht der Welt waren es Anfang Mai dieses Jahres etwa 60 000.

Das war kurz nachdem der Verfassungsschutz die AfD als „gesichert rechtsextremistische Bestrebung“ eingestuft hatte. Dagegen hat die AfD geklagt, bis zur Entscheidung des Kölner Verwaltungsgerichts ist die Höherstufung ausgesetzt. Innenminister Dobrindt sagte gestern, seiner Ansicht nach sei die AfD „gesichert rechtsextrem“. Das Gutachten, mit dem der Verfassungsschutz die Partei in diese Kategorie eingestuft hatte, reiche als Grundlage für ein Verbotsverfahren aber nicht aus, sagte Dobrindt.

Gestiegen ist im vergangenen Jahr auch der Personenkreis mit Islamismuspotenzial. 2024 zählt der Verfassungsschutz 28 280 potenzielle Islamisten, 9540 davon gelten als gewaltbereit. Laut der Behörde geht dabei die bei Weitem größte Gefahr in und für Deutschland vom Dschihadismus des sogenannten Islamischen Staates (IS) aus. Eines der Elemente, die ein hohes „Emotionalisierungs- und Mobilisierungspotenzial“ beitragen, sei der Nahostkonflikt, sagte Dobrindt.

Der spielt auch in einem anderen Bereich eine Rolle – im Linksextremismus: Laut Verfassungsschutzbericht sei die Szene in der Sache „gespalten“. Autonome Linksextremisten äußerten sich „überwiegend proisraelisch“. Wohingegen die Mehrheit der Szene aber fast ausschließlich propalästinensische Positionen vertrete. Beide Seiten fungierten aber „als Scharfmacher und Mobilisierungstreiber“, schreibt der Verfassungsschutz. Und auch die Zahl potenzieller Linksextremisten ist gestiegen. Der Verfassungsschutz zählte im vergangenen Jahr 38 000 Personen zu ihrem Kreis, 1000 mehr als 2023. Die Zahl der gewaltorientierten Linksextremisten blieb mit 11 200 aber auf dem Niveau von 2023.

Bedrohungen gehen allerdings nicht nur aus dem Inland, sondern auch von fremden Mächten aus. Als Hauptakteure der gegen Deutschland gerichteten Spionage, Sabotage, nachrichtendienstlichen Cyberangriffen und Einflussnahme sehen die Verfassungsschützer unverändert Russland, China, Iran und die Türkei.

Mit Blick auf Russland hob Innenminister Dobrindt die Aktivitäten sogenannter Low-Level-Agenten hervor. Das sind ungeschulte Einzeltäter, die ausländische Nachrichtendienste niedrigschwellig anwerben und sie für vergleichsweise einfache Operationen einsetzen. Ihre Enttarnung wird dabei billigend in Kauf genommen.

Verfassungsschutz-Vizepräsident Selen mahnte, der Fokus dürfe sich in diesem Bereich nicht allein auf Russland reduzieren, China etwa sei nach wie vor aktiv – sowohl im Bereich der Cyber-Operationen als auch in der Wirtschaftsspionage und der Einflussnahme.

Und was folgt nun daraus? Dobrindt kündigte an, den Verfassungsschutz sowohl finanziell als auch mit Blick auf die Fähigkeiten besser auszustatten. So soll etwa der Bereich der Cyberabwehr gestärkt werden, dazu brauche es auch Fähigkeiten der Cyberanalyse und den Einsatz neuer Technologien. Daher fördere der Bund den Einsatz von Künstlicher Intelligenz, sagte Dobrindt. Detaillierte Aussagen zu Finanzen und Personal machte Dobrindt allerdings nicht.