Die großen deutschen Sozialverbände sind gegen eine allgemeine Dienstpflicht, wie sie für den Fall einer möglichen Wiedereinführung der Wehrpflicht diskutiert wird. „Aus unserer Sicht ist ein Pflichtdienst die falsche Antwort“, sagte der Präsident der Arbeiterwohlfahrt (AWO), Michael Groß, SZ Dossier. Der Präsident der Diakonie Deutschland, Rüdiger Schuch, hält eine Dienstpflicht für „nicht nötig“, wenn die Freiwilligendienste gestärkt würden. Derzeit leisten etwa 100 000 junge Menschen Dienste – etwa im Bundesfreiwilligendienst oder in Form eines Freiwilligen Ökologischen Jahres.
Verdoppelung möglich: Die Anbieter der freiwilligen Stellen fordern unter anderem ein Freiwilligengeld auf dem Niveau der Ausbildungsförderung (BAföG). Außerdem sollen junge Menschen eingeladen und zu den Möglichkeiten des Freiwilligendienstes beraten werden. In diesem Fall sähen sich „die zivilgesellschaftlichen Zentralstellen einschließlich der Diakonie in der Lage, die Zahl der Freiwilligendienste bis 2030 auf mindestens 200 000 pro Jahr zu verdoppeln“, sagte Schuch SZ Dossier. Ein „Jahr für die Gesellschaft“ fordert die Präsidentin des Deutschen Roten Kreuzes (DRK), Gerda Hasselfeldt: „Es soll freiwillig, pragmatisch und für alle Jugendlichen offen sein.“
Zivildienst ist Geschichte: Die Wehrpflichtdebatte war erneut aufgeflammt, weil zur Erfüllung der Nato-Vorgaben bald mehr als 250 000 statt der derzeit aktiven 180 000 Bundeswehrsoldaten benötigt werden. Die Koalition hatte vereinbart, dass auch nachdem junge Männer wieder verpflichtend erfasst werden, der Bundeswehrdienst „zunächst“ freiwillig sein soll. Vor allem Unionspolitiker bezweifeln aber, dass sich genug Freiwillige finden und wollen eine Verpflichtung zumindest vorbereiten.
Mehr öffentliche Förderung: Die Debatte um eine allgemeine Dienstpflicht hält Diakonie-Präsident Schuch für „durchaus nachvollziehbar“ – „angesichts der großen gesellschaftlichen Voraussetzungen“. Schuch ist aber wie seine Kollegen aus anderen Verbänden dafür, bestehende Formate zu stärken. „Es ist eine hartnäckige Fehleinschätzung, dass junge Menschen zum Engagement gezwungen werden müssen“ meint AWO-Chef Groß. Allerdings brauche es dafür mehr öffentliche Förderung und nicht Haushaltskürzungen wie zuletzt. Kürzungen „zwingen unsere Träger, Plätze und pädagogisches Personal abzubauen“, sagte Groß. Es sei gut, dass zumindest im Koalitionsvertrag hier eine Wende angekündigt worden sei. „Die Politik sollte die Rahmenbedingungen verbessern, statt über Zwang nachzudenken“, sagte Groß. Die frühere CSU-Ministerin Hasselfeldt ergänzte, man müsse weg von den jährlichen Debatten über Haushaltsmittel hin zu einem verlässlichen Angebot.
Freiwillig günstiger als Pflicht: Die Träger der Freiwilligendienste forderten bereits im vergangenen Jahr in einem inzwischen von mehr als 30 Verbänden unterschriebenen Papier einen Rechtsanspruch auf Förderung aller Freiwilligenstellen und ein staatlich finanziertes Freiwilligengeld. Die derzeitige, offiziell als „Taschengeld“ bezeichnete Entschädigung von bis zu 644 Euro im Monat führe dazu, dass sich wenig junge Erwachsene aus ärmeren Familien meldeten, heißt es bei den Verbänden. Eine Verdoppelung der Aufwendungen im Bundeshaushalt um 2,7 Milliarden Euro sei deutlich billiger als ein Pflichtdienst. „Freiwilligendienste sind ein Motor für die Demokratie“, sagte Schuch. DRK-Präsidentin Hasselfeldt sagte, mit dem Vorschlag werde der Gedanke von Verteidigungsminister Boris Pistorius zum Wehrdienst aufgegriffen, aber erweitert. „Die jungen Menschen sollten neben der Bundeswehr auch Informationen der Freiwilligendienstträger erhalten, die sie gleichermaßen annehmen können.“