Aus der Hollandkrise können alle lernen
Geert Wilders war nie als großer Verehrer der deutschen Politik bekannt. Jetzt nahm er von ihr Anleihen – in der Migrationsfrage. Das Ergebnis: ein Regierungskrach, der nicht nur Den Haag erschüttert, sondern zeigt, wie eng europäische Innenpolitik mittlerweile verzahnt ist. Fünf Beobachtungen.
Erstens: Wilders und seine Migrationsministerin Marjolein Faber bezogen sich vergangene Woche ausdrücklich auf Berlin: Die migrationspolitischen Forderungen waren direkt von der Bundesregierung abgeschaut. Zurückweisungen, eine Einschränkung des Familiennachzugs, die Schließung von Asylzentren – und die Ausrufung einer „nationalen Notlage“ als rechtliche Grundlage kam in den Niederlanden erst auf, nachdem Berlin darauf abhob, um die neuen Grenzkontrollen zu begründen.
Zweitens: Seine Koalitionspartner zeigten sich bereit, einiges davon mitzutragen. Wilders legte aber noch etwas drauf, das sie nicht akzeptieren konnten. Seine Bereitschaft, im Zweifel Gerichtsurteile bis hin zum Europäischen Gerichtshof zu ignorieren, war der eine Schritt zu weit.
Wilders müht sich nach Kräften, seit er die Regierung am Dienstag platzen ließ, dies mit fehlender Bereitschaft seiner Partner zu harten Schnitten zu begründen. Eine schärfere Migrationspolitik war aber ein geteiltes Ziel der Regierung – sie hätte mit ihm nach Hause gehen können. Seit der Parlamentswahl 2023 hat die PVV ihren deutlichen Vorsprung in den Umfragen nach und nach verloren.
Der unerwartete Rückzug aus der Koalition wird vielerorts als mangelnde Verantwortungsbereitschaft gewertet. In aktuellen Umfragen liegt Wilders nur noch gleichauf mit der liberalen VVD, mit weiter fallender Tendenz.
Drittens: Die PVV ist ein Ein-Mann-Unternehmen. Wilders ist nicht nur Parteichef, sondern auch einziges Mitglied seiner eigenen Partei. Dass er nun die Regierung sprengte, verweist auch auf strukturelle Schwächen. Wilders ist ein begabter Rechtspopulist – aber er hat kein funktionierendes Partei- und Personalnetzwerk, musste nie Programmarbeit auf einem Parteitag machen, hatte niemanden, der, neu im Amt, die Mittel und Ressourcen einer Ministerialverwaltung wirkungsvoll einsetzen konnte. Die PVV kann Empörung, aber sie hat nun bewiesen, dass sie kein Regieren kann.
Die Geschichte ist insofern eine Bestätigung für jene, die argumentieren, man solle extreme Parteien wie auch die AfD eben einmal ranlassen, dann würden sie sich schon entzaubern. Das gilt – auch in den Niederlanden – freilich kaum für die Wähler, denen die Geste, es dem Establishment zu zeigen, Grund genug ist für Fan-Tum und Verehrung.
Viertens: Dass Migration aktuell nicht die alles überlagernde Rolle spielt wie in früheren Wahlkämpfen, liegt wiederum auch an der Bundesregierung. Ihre jüngsten Maßnahmen – und der insgesamt nachlassende Migrationsdruck – haben die politische Lage beruhigt. Gut möglich, dass sich Wilders auch hier verkalkuliert hat.
Die neue Lage lädt nun dazu ein, das dichte Feld etwas zu entzerren, auf dem die niederländischen Parteien um Vertrauen bei Wählerinnen und Wählern kämpfen. Die PVV bleibt, was sie ist: eine Partei, die einen starken Sozialstaat verspricht – aber nur für Inländer. Selbst dieses Versprechen hat sie bislang nicht eingelöst.
Die VVD, die Partei des früheren Premiers Mark Rutte, nimmt klassische und harte liberale Positionen ein, was Wirtschaft und Sicherheitspolitik angeht. Die sozialdemokratische PvdA zieht ihre Allianz mit den Grünen nach links. Frans Timmermans, ihr starker Mann, nach sichtbarer äußerer Verwandlung kaum wiederzuerkennen, bleibt ein Gesicht für linke Klimapolitik mit EU-Erfahrung.
Fünftens: Und die Christdemokraten? Die CDA hat bei der Wahl 2023 in den Abgrund geblickt – und dort andere EVP-Parteien liegen sehen, etwa aus Frankreich. Seither geht es in den Umfragen aufwärts, sodass sie heute fast schon wieder die drei größten Parteien im Blick hat. Neue Formationen wie die Bauern-Bürger-Bewegung (BBB) und die NSC von Pieter Omtzigt – eine CDA-Abspaltung – räumen den Platz. Omtzigts Partei ist von 13 auf 1,5 Prozent abgestürzt: Das politische Zentrum öffnet sich wieder. Der Wahltermin läuft auf den 29. Oktober hinaus.