Warum wählen junge Menschen AfD?
Dass sie die jungen Leute nicht wirklich von sich überzeugen können, bekamen Union, SPD, Grüne und FDP zuletzt im Februar vor Augen geführt. Bei der Bundestagswahl gab ein Viertel der 18- bis 24-Jährigen ihre Stimme der Linken, gut ein Fünftel stimmte für die AfD. Das zeigen Daten von Infratest dimap.
Warum junge Menschen bei der vergangenen Wahl erstmalig die AfD gewählt haben, haben Fachleute des Thinktanks Rechtsextremismus, Campact und des Progressiven Zentrums untersucht. Ihre Studie wurde am Montag veröffentlicht.
Die große Frage ist nun, was das für die kommenden Wahlen bedeutet. Und ob die anderen Parteien, die jungen Leute noch erreichen können.
Interessant ist zunächst aber, wie die Experten vorgegangen sind. Es handelt sich bei der Studie nämlich nicht um eine quantitative Umfrage. Stattdessen setzte das Team um Autorin Paulina Fröhlich, stellvertretende Geschäftsführerin des Progressiven Zentrums, auf Fokusgruppeninterviews. Das erschien ihr bei dieser Frage am sinnvollsten, sagt Fröhlich. „Weil es darum ging, ein wirklich tiefgreifendes Verständnis davon zu erlangen, was diese jüngeren Menschen umtreibt – und nicht Ja-Nein-Antworten.“
Die Agentur für Wahl- und Meinungsforschung pollytix hat daher 26 Menschen im Alter zwischen 18 und 30 Jahren in vier Gruppen befragt – alle haben bei der vergangenen Bundestagswahl zum ersten Mal die AfD gewählt, davor hätten sie laut der Studie gar nicht oder eine andere Partei gewählt. Personen aus Ostdeutschland waren dabei bewusst überrepräsentiert, um dem dortigen AfD-Wähleranteil Rechnung zu tragen, heißt es in der Studie.
Die Interviews fanden am 11. und 12. März dieses Jahres statt. Also noch bevor der Verfassungsschutz die gesamte AfD als gesichert rechtsextrem eingestuft hat. Nach einem Eilantrag der Partei hat der Verfassungsschutz die Einstufung vorerst ausgesetzt. Die Jungwähler wüssten aber um die faschistoiden Aussagen und extremistischen Tendenzen der AfD, sie scheinen ihnen unangenehm zu sein, schreibt Autorin Fröhlich. Daher relativierten sie diese – als singuläres Problem oder als hinzunehmendes Übel gegenüber anderen Vorteilen. Weil sie Angst hätten um ihr eigenes Image, wünschten sich die Befragten teilweise, die Partei würde gemäßigter auftreten. Positiv wahrnehmen würden sie die lokale Präsenz der AfD, auch deswegen fänden sie, die Partei sei aktiver und näher dran an den Bürgerinnen und Bürger als die anderen.
In den Interviews trafen die Forscher auf eine Gruppe von Menschen, die ein tiefer Pessimismus verbindet, die nichts nennen können, „was derzeit gut liefe im Land“. Vielmehr sei der Zustand der Bundesrepublik ihrer Ansicht nach „durch und durch negativ“. Als negativer Wendepunkt „in Bezug auf Sicherheit, finanzielle Stabilität und ein allgemeines Sicherheitsgefühl“ sei häufig die Corona-Pandemie genannt worden.
Der Lebensentwurf der jungen Menschen sei zumeist „klassich-konservativ“, heißt es in der Studie. Ihre Idee von einer Gesellschaft baue auf dem Leistungsprinzip auf, sagt Autorin Fröhlich, auf der Vorstellung: „Wenn man arbeitet und Steuern zahlt, dann ist man auch ein wertstiftender Teil der Gesellschaft.“
Das mit Abstand wichtigste Thema für die Befragten ist laut der Untersuchung aber das Thema Migration, hier ist die Gruppe deutlich restriktiver eingestellt, „insbesondere in Bezug auf Zuwanderung und Integration“.
Für Union und SPD ist die Lage verzwickt: Die jungen Menschen betrachten sie in zentralen Themen wie Migration, dem sozialen Aufstieg, Rente und Sicherheit als „Versprechensbrecher“. Hinzu kommt: Wählerinnen und Wähler der AfD gelten als besonders gefestigt und können sich seltener als Wählerinnen und Wähler anderer Partei vorstellen, die Konkurrenz zu wählen.
Was bedeuten die Ergebnisse also für die kommenden Wahlen? Wie lässt sich die Gruppe junger AfD-Anhänger noch von anderen Parteien erreichen? Paulina Fröhlich weist in diesem Zusammenhang auf die hohe Volatilität in dieser Altersgruppe hin, junge Menschen entschieden sich eben gerne noch einmal um, sagt sie.
Entscheidend seien also die kommenden Jahre. Und da wiederum komme es darauf an, dass sich diese Altersgruppe mit ihren Bedürfnissen und Themen gesehen fühle, sagt Fröhlich. „Im Zentrum steht dabei das Gefühl der Unsicherheit.“ Der AfD gelinge es, Sicherheit als migrationspolitisches Thema zu framen – „egal, worum es geht“. Selbst in Fragen von Wohnraum und Gesundheit konstruiere die AfD aus dem Migrationsthema eine Bedrohung.
Die demokratischen Parteien, sagt Fröhlich, müssten also deutlich machen, „dass sie auch ein sicherheitspolitisches Angebot haben, das sich aber von Migrationsfragen abhebt“. Von einem positiven Zukunftsentwurf ist in der Studie die Rede, „der dem aktuellen Pessimismus entgegenwirkt“. Über Migration zu sprechen, sei dabei nicht per se falsch, die Frage sei eben, wie man es tue, sagt Fröhlich. „Eine Politik, die Versprechen macht, die sich innerhalb des demokratischen Spektrums bewegen und diese dann auch einlöst, das würde den jungen Menschen imponieren“, sagt sie.
Und noch etwas ist ihr aufgefallen: „Wir haben da eine Gruppe angetroffen, die in Teilen sehr progressive Meinungen hat – gerade bei Themen wie Frauenrechten, Abtreibung, Energiepolitik oder erneuerbare Wirtschaft“, sagt Fröhlich. „Das war für die alles völlig normal.“ Das sei also auch ein Ansatzpunkt.