So will sich die SPD neu erfinden
Den „Fortschritt“ aus der Ampel-Zeit konnte die SPD nicht in die schwarz-rote Regierung hinüberretten, die nennt sich jetzt ja Arbeitskoalition. Deshalb beansprucht die SPD den Fortschritt nun für die eigene Neuausrichtung: Die Partei soll „mit ihrem Fortschrittsversprechen als treibende Kraft für eine freie, gerechte, solidarische und nachhaltige Zukunft erkennbar sein“.
So steht es im Leitantrag, der beim Bundesparteitag in Berlin in rund vier Wochen verabschiedet werden soll. Jenes Wochenende Ende Juni ist zugleich der Startschuss für eine programmatische Überarbeitung der Partei, an deren Ende nach zwei Jahren ein neues Grundsatzprogramm stehen soll.
Der Leitantrag unter dem Claim „Veränderung beginnt mit uns“ verspricht, dass die SPD auch als Juniorpartnerin in einer Koalition mit der Union „endlich strukturelle Ungerechtigkeiten und lange bestehende Probleme“ angehen könne – ein hehres Ziel, angesichts der Tatsache, dass sie zuletzt die größte der drei Ampelparteien war und den Bundeskanzler stellte. In dieser Zeit konnte sie die Wählerinnen und Wähler aber offensichtlich nicht von sich überzeugen und fuhr mit 16,4 Prozent ein niederschmetterndes Ergebnis ein.
Nach dem Wahldebakel sollte eine Kommission aufarbeiten, was schiefgegangen war. „Wir haben schonungslos aufgeschrieben, dass wir nicht zufrieden sind“, sagte der designierte Generalsekretär Tim Klüssendorf nach der gestrigen Sitzung des SPD-Parteivorstands.
Das Gremium hat mit der Verabschiedung des Leitantrags das offizielle Go für die Neuausrichtung gegeben. Es bedürfe einer grundsätzlichen programmatischen Klärung, wofür die SPD steht und für wen sie Politik macht, sagte Klüssendorf: „Nach der katastrophalen Wahlniederlage darf kein Stein mehr auf dem anderen bleiben.“
Man habe viel Vertrauen verspielt. Auch deshalb gibt das Papier vor, dass sich die programmatische Arbeit der SPD nicht in der „konstruktiven Begleitung von Regierungspolitik erschöpfen“ dürfe. Die Zeit in der Verlegenheitskoalition mit der Union will die SPD nutzen, um sich zur Vorwärtspartei zu mausern, deren Kern die soziale Gerechtigkeit ist. Doch auch wenn Co-Parteichef Lars Klingbeil unentwegt von den „hart arbeitenden Menschen“ spricht, will sich die SPD nicht mehr nur auf das Erbe der Arbeiterpartei, die sie einmal war, verengen lassen.
Im Papier sind insbesondere „Arbeitnehmende, junge Menschen und von sozialer Verunsicherung betroffene Gruppen“ genannt, die sich von der SPD abgewandt hätten. Die SPD stehe weiterhin für das Versprechen, „dass Herkunft nicht über Zukunft entscheidet.“ Klüssendorf formulierte es am Montag so: „Wir wollen ein Gesellschaftsbild entwickeln, dass sich nicht nur auf eine Gruppe fokussiert.“
Doch nicht nur beim Fokus auf die Wählerschaft soll es einen Shift geben, auch die Akteure in der Partei sollen andere werden. Klüssendorf selbst ist bereits Teil der personellen Veränderung, die Klingbeil seit dem Wahldebakel vorantreibt. Klüssendorf ist jung, motiviert, links, unverbraucht und unvorbelastet, das macht ihn zum Pars pro Toto für die angestrebte personelle Neuaufstellung.
Die hat Klingbeil seit der Wahl bei sich selbst beginnend und mithilfe seines Getreuen Matthias Miersch in der Fraktion bereits vollzogen – und das nicht ohne Opfer: Noch-Co-Parteichefin Saskia Esken muss ihren Platz räumen, zu wenig Rückhalt hat sie in der neuen Konstellation. Auf dem Parteitag Ende Juni sollen dann die Personalia festgeklopft werden: Klüssendorf wird vom designierten zum „richtigen“ Generalsekretär, Klingbeil will sich im Amt bestätigen lassen und Arbeitsministerin Bärbel Bas soll neben ihm für die Parität die Doppelspitze komplettieren.
Neben einer neuen Verortung im Wählerspektrum und der programmatischen Neuausrichtung soll auch die Sprache der SPD eine andere werden. Die Partei sei nicht davon befreit, zu viele Floskeln zu benutzen, sagte Klüssendorf am Montag. Es gehe darum, offen und transparent zu kommunizieren, die SPD wolle jetzt „Klartext reden“ und einen „Dialog auf Augenhöhe“.
Unter Punkt vier im Leitantrag heißt es: „Wer Orientierung geben will, muss Haltung zeigen und sie nach außen tragen – durch werteorientierte Kommunikation.“ Bei so vielen Floskeln kann man gespannt bleiben, ob es die mit dem Rebranding der SPD beauftragten Spindoktoren in Zukunft besser machen.