Wahlkampf auf Tiktok: Heidi-Hype und Olafs Glatze
Wahlkampf 2025 – das war auch: Friedrich Merz beim Burger essen. Heidi Reichinneks Brandrede. Und Sätze wie: „Olaf, ich küss’ deine Glatze, bester Mann.“ Letzterer gibt einen eindeutigen Hinweis darauf, wo all das zu sehen war: in sozialen Medien, genauer gesagt: auf Tiktok.
Viel war im Vorfeld der Bundestagswahl über die Plattform gerätselt worden: wie stark ist die AfD dort? Haben die anderen Parteien ihr etwas entgegenzusetzen? Und was funktioniert eigentlich auf Tiktok? Eine Studie im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung zieht nun Bilanz. Fünf Tiktok-Takeaways.
Für ihre Analyse haben sich die Autoren Marcus Bösch und Jolan Geusen die Accounts der Spitzenkandidatinnen und -kandidaten und die offiziellen Parteiaccounts von SPD, CDU, Grünen, AfD, BSW, FDP und der Linken angeschaut. Außerdem haben sie ausgewählte Fan-Accounts herangezogen. Untersuchungszeitraum war zwischen dem 1. Januar und dem 23. Februar 2025.
1. Viel hilft nicht unbedingt viel
Eine der Erkenntnisse der beiden Autoren: Quantität ist nicht entscheidend. So wurden etwa die 153 Videos des Accounts @insideCDU zusammen 19 Millionen Mal angesehen. Heidi Reichinnek hingegen erreichte mit gut einem Fünftel der Videos mehr als das Doppelte an Reichweite: Ihre 29 Videos wurden insgesamt 40 Millionen Mal aufgerufen.
An dieser Stelle lohnt ein Blick auf die Funktionsweise der Plattform. Jedes einzelne Video werde zunächst an eine begrenzte Zahl an Nutzerinnen und Nutzer ausgespielt, schreiben Bösch und Geusen. Abhängig davon, wie es dabei abschneidet – ob es kommentiert, geteilt, geliked oder bis zum Ende geschaut wird – wird es an eine größere Gruppe ausgespielt. Dabei wird erneut die Performance getestet. Entscheidend ist also weniger, wie viele Follower ein Kanal hat oder wie viele Videos er veröffentlicht – es geht vielmehr darum, ob die Clips die Aufmerksamkeit des Publikums erreichen.
2. Die AfD ist strategielos, bekommt aber Schützenhilfe
Für die Analyse der AfD mussten Bösch und Geusen neben dem Kanal der Spitzenkandidatin Alice Weidel den Account der Bundestagsfraktion heranziehen, wo kein direkter Wahlkampf geführt werden darf. Der offizielle Parteiaccount ist seit mehreren Jahren gesperrt.
Was die beiden Autoren herausgefunden haben, bestätigt zwar vorangegangene Studien, überrascht aber trotzdem: Die AfD werde als Partei der sozialen Medien überschätzt, von einer Dominanz in der Reichweite könne nicht gesprochen werden, heißt es in der Studie. „Die AfD scheint über keine kohärente Tiktok-Strategie zu verfügen.“ Ihre vermeintliche Stärke habe einen anderen Ursprung: Sie „profitiert von einer dezentralen, schwer zuordenbaren Content-Produktion durch ihr Vorfeld“, also von den Aktivitäten eines engagierten Unterstützernetzwerkes.
3. Das Kanzlerduell
Merz und die CDU hätten zwar viele Videos gepostet, damit aber wenig Erfolg gehabt. „Zu groß scheint die Diskrepanz zwischen dem Kandidaten und der Plattform“, urteilen die Autoren. Dabei sei es Merz und der CDU bisweilen aber auch gelungen, dem Publikum zu gefallen – etwa mit einem Video, in dem sich Merz eine Sonnenbrille aufsetzt. Als Hintergrundmusik hat sein Team eine Sequenz aus einem Rap-Song gewählt. Friedrich Merz als „the one and only D-O-double-G“ hat offenbar funktioniert.
Anders sieht die Bilanz der SPD und von Olaf Scholz aus: Der habe sich redlich bemüht, „die Plattform zielgruppenspezifisch zu bestücken“ – mit Erfolg. In Sachen Likes liegt Scholz mit 5,2 Millionen auf Platz zwei der Rangliste, hinter dem Account der Linken, aber vor Heidi Reichinnek. In den Kategorien Reichweite und „Shares“, also geteilte Beiträge, führt Scholz die Liste sogar an. Es könne aber diskutiert werden, ob das am Amtsbonus liege oder an der „souveränen Accountführung“.
4. Hype um Heidi
Reichinnek benötigte nur 29 Videos, um mehr Reichweite (4,5 Millionen) zu erzielen als alle anderen Spitzenkandidaten – bis auf Olaf Scholz (5,2 Millionen). Noch stärker in Sachen Reichweite war der Parteiaccount der Linken mit 6,3 Millionen. Reichinnek sei es durch direkte Ansprache gelungen, „eine parasoziale Beziehung“ vor allem zu jüngeren Leuten aufzubauen, sie wirke nahbar, schreiben die Autoren, und ungekünstelt – authentisch eben.
5. Tipps fürs nächste Mal
Eigentlich gilt, was auf vielen Kommunikationskanälen gilt: Entscheidend sei es, ein Verständnis der Plattformlogik zu entwickeln, schreiben die Autoren. Und im Fall Tiktok habe man es eben mit einem Ökosystem zu tun, das stark von Sounds, Vibes und Memes geprägt ist. Erfolgreich sei, wer Inhalte spezifisch für die Plattform produziert und sie nicht einfach zweit verwertet.
Neben dem Faktor „Authentizität“ heben die Autoren die besondere Bedeutung des Publikums hervor, Einbindung ist da das Stichwort, nicht Einbahnstraßenkommunikation. Außerdem gelte es die richtigen Trends zu kennen und zum richtigen Zeitpunkt zu bespielen. Auch die Zusammenarbeit mit Influencern könne sich lohnen, weil die bereits über Reichweite und Glaubwürdigkeit und ein Vertrauensverhältnis zu ihren Communitys verfügten. Mal sehen, wer sich die Erkenntnisse zu Herzen nimmt. Tim Frehler