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Tiefgang

Das steht im AfD-Gutachten des Verfassungsschutzes

Mehr als 1000 Seiten ist das Gutachten lang, das das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) über die AfD angefertigt hat. Seit Dienstag ist es öffentlich, das Magazin Cicero und rechtsgerichtete Medien stellten es ins Netz.

Mit dem Dokument belegt der Verfassungsschutz, warum er die AfD als „gesichert rechtsextremistische Bestrebung“ eingestuft hatte. Dagegen hat die Partei in der Zwischenzeit geklagt. Bis die Sache vom Verwaltungsgericht in Köln geklärt ist, hat der Verfassungsschutz eine sogenannte Stillhaltezusage abgegeben und die Hochstufung vorläufig ausgesetzt. Die Überwachung der AfD bleibt aber grundsätzlich weiterhin möglich, allerdings mit höheren Hürden.

Was aber steht in dem Gutachten, das nun veröffentlicht wurde? Drei Fragen, drei Antworten.

Wie sind die Verfassungsschützer vorgegangen?


Sie haben Aussagen und Aktivitäten von AfD-Repräsentanten, Funktionsträgern, Gremien, Organisationseinheiten und Teilorganisationen gesammelt. Dabei bezogen sie alle Ebenen der Partei mit ein, der Fokus habe aber auf Funktions- und Mandatsträgern auf Bundes- und Landesebene gelegen, heißt es in dem Gutachten. Insgesamt stützen sie ihre Argumentation auf Belege von 353 Personen und 105 Organisationseinheiten beziehungsweise Teilorganisationen.

Als Nachweise dienten den Verfassungsschützern Schriften, Grundsatzpapiere, Publikationen und Aussagen im öffentlichen Raum oder im Netz. Parlamentsreden wurden wegen des erhöhten Schutzstatus von Abgeordneten nicht berücksichtigt.

In das Gutachten floss auch der Bundestagswahlkampf 2025 ein, ursprünglich sollte der Beobachtungszeitraum nur bis Mitte November 2024 reichen.

Der Verfassungsschutz begründete die Hochstufung der AfD als gesichert rechtsextremistische Bestrebung vor allem mit dem „ethnisch-abstammungsmäßige[n]“ Volksverständnis, das in der AfD vorherrschend sei. Was sagt das Gutachten dazu?

In der AfD werde „weiterhin und nachdrücklich“ ein Volksverständnis vertreten, dem die Annahme zugrunde liegt, „das deutsche Volk bestehe nicht aus der Gesamtheit aller Staatsangehörigen, sondern aus der Gesamtheit der ‚ethnischen‘ Deutschen“, heißt es in dem Gutachten. Von hochrangigen Funktionären gebe es eine Vielzahl von Äußerungen, die ausdrückten, dass Menschen, die nicht den Vorstellungen vom „ethnisch deutschen Volk“ entsprächen, auch dann keine gleichwertigen Mitglieder des deutschen Volkes sein könnten, wenn sie die Staatsangehörigkeit besitzen.

Ihre Argumentationen untermauern die Verfassungsschützer mit einer Fülle an Belegen – vom Kreisvorsitzenden bis zum Bundesvorstand. Und immer wieder mit Aussagen von Björn Höcke. Der sprach etwa im Thüringer Landtagswahlkampf 2024 davon, „unser Volk“ drohe „zur Minderheit im eigenen Land zu werden“. 2022 sagte er bei einer Veranstaltung im brandenburgischen Elsterwerda: „Wenn wir diese millionenfache Zuwanderung aus dem arabischen und afrikanischen Raum nach Europa nicht zum Stillstand bringen, dann wird Europa seine kulturelle Kernschmelze erleben. Dann werden wir einen historischen Kultur- und Zivilisationsbruch in Europa erleben.“ Es komme nicht nur auf die Quantität, sondern auch auf die Qualität der Menschen an.

Der Verfassungsschutz spricht an dieser Stelle von einem biologistischen Kulturverständnis, das nicht mit der Menschenwürde migrantischer Personen vereinbar sei. Außerdem liege ihm die menschenunwürdige Unterscheidung zugrunde, wonach es Bevölkerungsgruppen mit einer höher- und einer geringerwertigen Kultureignung gebe.

Wie schätzt der Verfassungsschutz die Entwicklung der AfD ein?


Die Verfasser des Gutachtens machen drei zentrale Entwicklungslinien der AfD in den vergangenen Jahren aus. Erstens: Die Partei sei ausweislich ihrer Mitgliederzahlen und ihrer Wahlergebnisse populärer geworden. Zweitens habe sie sich professionalisiert – auch was die Art und Weise anbelangt, wie sie innerparteiliche Konflikte austrägt. Für das Gutachten am bedeutendsten ist aber die dritte Beobachtung: Der Prozess der inhaltlichen Homogenisierung, wie ihn die Verfassungsschützer bezeichnen.

Was bedeutet das? Über die Jahre habe sich innerhalb der AfD eine einzelne Strömung durchgesetzt, die mittlerweile in der Partei den Ton angibt: das solidarisch-patriotische Lager. Hierzu zählen die Verfassungsschützer einerseits die Anhänger des inzwischen aufgelösten „Flügels“ um Björn Höcke. Und andererseits das Netzwerk um den Bundestagsabgeordneten und stellvertretenden Fraktionschef Sebastian Münzenmaier. Dessen Netzwerk unterscheide sich weniger auf ideologischer, sondern vielmehr auf strategischer Ebene vom ehemaligen Flügel.

Andere Strömungen, die früher in der Partei um Macht und Einfluss kämpften, wie etwa das liberalkonservative Lager, sehen die Verfassungsschützer an den Rand gedrängt. Prominente Vertreter dieser Strömung wie der frühere Parteichef Jörg Meuthen haben die AfD verlassen.

In ihrer abschließenden Bewertung schlussfolgern die Verfassungsschützer, innerhalb der Partei fehlten vernehmbare Abgrenzungen oder Gegenpositionen gegenüber den menschenwürdewidrigen Positionen. Im Unterschied zum vergangenen Gutachten sei also nicht mehr davon auszugehen, dass gemäßigte Kräfte noch in der Lage wären, die verfassungsfeindliche Prägung der Gesamtpartei umzukehren. Tim Frehler