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Tiefgang

Was hinter dem „Königreich Deutschland“ steckt

Sie schufen sich eine Fantasiewährung, einen Online-Marktplatz und ein eigenes Bank- und Versicherungssystem. Sie gaben sich eine „Verfassung“ und fiktive Ausweise. Und natürlich hatten sie einen König: Peter, den Ersten. Mit pseudostaatlichen Strukturen warb das „Königreich Deutschland“ (KRD) unter seinen Anhängern dafür, aus der Bundesrepublik Deutschland auszusteigen und sich dem KRD anzuschließen.

Gestern hat das Bundesinnenministerium (BMI) den Verein verboten. In sieben Bundesländern durchsuchten Einsatzkräfte Liegenschaften des Vereins und Wohnungen von führenden Mitgliedern. Vier Personen wurden festgenommen. Ein Überblick.

Was ist das „Königreich Deutschland“? Laut BMI handelt es sich beim „Königreich Deutschland“ um die größte Vereinigung in der Szene der sogenannten Reichsbürger und Selbstverwalter in Deutschland. Nach eigenen Angaben hat der Verein bundesweit etwa 6000 Anhänger. Innenminister Alexander Dobrindt (CSU) sagte gestern allerdings, man gehe eher von gut 1000 aus.

Angefangen hat das Ganze 2012: Im Hermelinmantel und begleitet von Richard Strauss‘ „Also sprach Zarathustra“ ließ sich Peter Fitzek in Lutherstadt Wittenberg zum König krönen. Gemeinsam mit seinen Unterstützern gründete er den Fantasiestaat „Königreich Deutschland“. Fitzek wurde dessen „Oberster Souverän“ – Peter, der Erste. Laut „Verfassung“ gewählt auf Lebenszeit.

Laut Bundesanwaltschaft war es das Ziel der Gruppe, das System der Bundesrepublik Deutschland durch ihr eigenes zu ersetzen. Dafür schuf die Gruppe staatsähnliche Strukturen wie eine Kranken- und Rentenkasse oder eine „Staatsbank“. Ihre Mitglieder sollten dadurch von der Steuer- und Sozialabgabenpflicht befreit sein.

Um Gründer Fitzek hat sich dabei ein regelrechter Personenkult entwickelt. Dem Verfassungsschutz zufolge ist es ihm „über eine charismatische Ausstrahlung“ gelungen, eine „sektiererische Gemeinschaft aufzubauen“. Immer wieder hätten Menschen unentgeltlich an Renovierungsarbeiten mitgearbeitet, mehrere Hundert Euro für Seminare bezahlt oder erhebliche Geldbeträge gespendet. Laut Bundesanwaltschaft finanzierte sich der Verein darüber hinaus aus verbotenen Bank- und Versicherungsgeschäften und der Anwerbung von Unternehmen, denen im Gegenzug in Aussicht gestellt wurde, Waren und Dienstleistungen ohne Sozialabgaben und Steuern vertreiben zu können.

Wer sein Geld allerdings dem KRD überließ oder es in seine Währungen „E-Mark“ (für digitale Zahlungen) oder „Neue Deutsche Mark“ (für Barzahlungen) umtauschte, musste mit großen Verlusten rechnen. Einen Rückzahlungsanspruch oder eine Möglichkeit zum Rücktausch der „E-Mark“ räumte das „Königreich“ seinen Anhängern nämlich nicht ein. Bei einem Wechselkurs von einer „E-Mark“ zu 1,10 Euro habe das Ganze der „reinen Geldgewinnung“ gedient, schreibt der Verfassungsschutz.

Wichtig war für das KRD auch der Erwerb von Immobilien, um das vermeintliche Staatsgebiet zu erweitern. Hauptsitz war das sächsische Halsbrücke, dort wurde Fitzek gestern festgenommen.

Warum wurde der Verein verboten? Nach Artikel 9 Absatz 2 Grundgesetz sind Vereinigungen verboten, „deren Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten“. Das sieht Innenminister Dobrindt im Fall des KRD gegeben. Die Vorbereitungen zu der Aktion seien aber bereits seit Wochen gelaufen, sagte der CSU-Politiker, sie haben also noch unter Nancy Faeser (SPD) begonnen.

Ihr Nachfolger warf den Mitgliedern des Vereins gestern vor, sie hätten einen „Gegenstaat“ in Deutschland geschaffen und wirtschaftskriminelle Strukturen aufgebaut. Beharrlich hätten sie die Rechtsordnung und das Gewaltmonopol der Bundesrepublik untergraben und ihren vermeintlichen Herrschaftsanspruch mit antisemitischen Verschwörungserzählungen untermauert. Laut Mitteilung des Bundesinnenministeriums würden staatliche Institutionen Deutschlands und anderer Länder durch das KRD als „satanisch unterwandert bzw. von jüdischen Clans gelenkt portraitiert“. Indem solche Narrative fortwährend propagiert würden, werde die Menschenwürde von Jüdinnen und Juden verletzt und staatliche Institutionen in verfassungswidriger Weise delegitimiert, schreibt das BMI.

Wie gefährlich ist die Gruppe? Laut Verfassungsschutz gehörten im Jahr 2023 deutschlandweit gut 25 000 Menschen zur Reichsbürger- und Selbstverwalterszene. Davon seien gut 1350, also etwa fünf Prozent, dem rechtsextremistischen Spektrum zuzuordnen, etwa zehn Prozent (2500 Personen) seien gewaltorientiert.

Anders als bei der mutmaßlichen Gruppe um Prinz Reuß, die einen gewaltsamen Umsturz der Bundesregierung geplant und Tote in Kauf genommen haben soll, wurden laut Innenminister Dobrindt im Fall des KRD aber keine „relevanten Waffen bisher sichergestellt“. Vielmehr gehe es dieses Mal um Wirtschaftskriminalität.

Die politische Komponente: In Frankfurt steht neben Prinz Reuß auch Birgit Malsack-Winkemann, ehemalige Bundestagsabgeordnete der AfD, vor Gericht. Und auch im jetzigen Fall stellt sich die Frage nach Überschneidungen zwischen der AfD und dem „Königreich Deutschland“.

Dieses Mal geht es um David Kreiselmeier, er war 2024 AfD-Kandidat für die Wahl zum Oberbürgermeister im sächsischen Weißwasser. Nach Recherchen des MDR soll Kreiselmeier Mitglied im KRD sein, das ging aus einer internen Mitgliederliste hervor. Kreiselmeier bestritt das, räumte aber Kontakte zu der Organisation ein. Noch immer sind Posts von ihm in Chatgruppen des KRD Sachsen zu finden. Im Wahlkampf erhielt Kreiselmeier die Unterstützung von AfD-Parteichef Tino Chrupalla. Tim Frehler