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Tiefgang

Der neue Geist der Arbeitskoalition

„Wir können das schaffen“, sagte CDU-Chef Friedrich Merz in seiner Rede auf dem Kleinen Parteitag in Berlin. Ein Seufzen ging durch den Saal im Neuköllner Hotel Estrel, als der künftige Bundeskanzler fast seine Vorvorgängerin Angela Merkel zitierte. Wie vor nunmehr sieben Jahren wird es eine schwarz-rote Koalition sein, die Deutschland ab nächster Woche regieren wird. Die geplante Kanzlerwahl fällt auf den 6. Mai, genau sechs Monate nach dem Ampel-Aus.

Was Merz und seine Partei schaffen wollen, ist nicht weniger als den im Wahlkampf versprochenen Politikwechsel umzusetzen. In der CDU gab es zuletzt Kritik wegen des Koalitionsvertrags, die SPD sei zu gut weggekommen, hieß es. Dem wollte Merz gestern etwas entgegensetzen, ohne jedoch zu viel zu versprechen: Man könne ab der nächsten Woche „neu anfangen, die Probleme unseres Landes Schritt für Schritt zu lösen“, sagte er vor den rund 150 Delegierten. Der Politikwechsel, er kommt häppchenweise.

Gleichzeitig betonte er den Charakter der neuen schwarz-roten Gemeinschaft: den der Arbeitskoalition. „Aber es war insgesamt und ist bis heute keine Euphorie, darüber sind Markus Söder und ich uns übrigens einig“, sagte Merz. Diese Koalition sei kein „gesellschaftspolitisches Projekt“ wie etwa die Ampel. Union und SPD hätten sich auch nicht als Partner gesucht. Angesichts der vielen Herausforderungen sei ohnehin nicht die Zeit für Euphorie, betonte Merz: „Um uns herum wanken die Säulen, auf die wir in den letzten Jahren und Jahrzehnten so selbstverständlich vertraut haben.“

Merz trat nicht auf, um eine Vision zu präsentieren. Vielmehr sagte er, die Aufgabe der neuen Regierung sei die „Gestaltung der Zukunft aus nüchterner Betrachtung der Gegenwart“. Der scheidende Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hätte es nicht schöner formulieren können. Deutschlands Wirtschaft falle im internationalen Vergleich immer weiter zurück, Europa sei von innen und außen bedroht. Zudem könne sich Berlin nicht mehr der transatlantischen Freundschaft sicher sein.

Soweit die Ausgangslage. „Die Menschen in Deutschland erwarten zu Recht, dass wir das alles ändern“, sagte Merz zu den Erwartungen im Land. Und alle Verhandlerinnen und Verhandler trauten sich das auch zu, wie er hinzufügte. Anschließend beschrieb er seine Vorstellung der Arbeitskoalition: „Wir tun das nicht mit einem verklärten Blick auf ein Projekt, sondern wir tun das mit der handwerklichen Fähigkeit und Bereitschaft zum Regieren“, sagte Merz. Mit der Entschlossenheit zu „schnellen und sichtbaren“ Veränderungen.

Der Bundeskanzler in spe legte auch eine Prioritätenliste vor für diejenigen Fragen, die ihm besonders wichtig sind. Oben steht die äußere Sicherheit Deutschlands, die sei Grundvoraussetzung für alles, sagte Merz. Er inszenierte sich als der außenpolitische und europäische Kanzler, der er werden will: Der russische Angriffskrieg in der Ukraine sei die „größte Herausforderung“, vor der wir „als offene und freiheitliche Gesellschaften in den letzten 75 Jahren gestanden haben“, sagte Merz.

Für die Ukraine-Politik der zukünftigen Regierung sollen drei Grundsätze gelten: In dem Land werden die Freiheit und die europäischen Werte verteidigt. Die Unterstützung der Ukraine sei eine gemeinsame Anstrengung der Europäer und Amerikaner. Für Kyiv dürfe es keinen Diktatfrieden geben.

„Wir sind nicht Kriegspartei und wir wollen es auch nicht werden, aber wir sind auch nicht unbeteiligte Dritte oder gar Vermittler zwischen den Fronten“, sagte Merz. Deutschland stehe „ohne Wenn und Aber“ an der Seite der Ukraine. Seine Regierung werde dafür werben und hoffe, dass man das gemeinsam so sehe – eine Botschaft an den US-Präsidenten Donald Trump.

Er nannte auch die AfD. Die vergangenen Jahre hätten Deutschland von seinem Ziel entfernt, die AfD eine Randerscheinung werden zu lassen, sagte Merz. „Wir haben in großer Ernsthaftigkeit diese Koalitionsverhandlungen geführt“, betonte er. „Uns eint das Ziel, zu zeigen, dass Deutschland aus der politischen Mitte heraus wieder führungsfähig, wieder handlungsfähig, wieder regierungsfähig ist“, sagte Merz. Um eine Unregierbarkeit in einigen Jahren zu vermeiden, müssten die Menschen wieder mit der Regierung zufrieden sein.

Seit nunmehr zehn Jahren beschäftige sich Deutschland mit irregulärer Migration. „Deutschland ist seit Jahrzehnten ein Einwanderungsland und Deutschland wird über Jahre und Jahrzehnte ein Einwanderungsland bleiben“, sagte Merz. „Wir sind das Land, das Einwanderung willkommen heißt“, ergänzte er. Nach der Passage gab es Szenenapplaus. Gerade deshalb müsse Deutschland die irreguläre Migration in den Griff bekommen.

„Wir haben grundlegende Kurskorrekturen, weitere Kurskorrekturen in der Migrationspolitik, vereinbart“, betonte Merz. Ab dem Tag eins werde Deutschland die Staatsgrenzen „noch besser“ kontrollieren, es werde Zurückweisungen „in größerem Umfang“ geben. Darüber hinaus werde die Regierung in Brüssel einen „sehr viel stärker restriktiveren Kurs“ unterstützen. Auch national. Heißt konkret: kein Familiennachzug mehr bei subsidiär Schutzberechtigten, der Start einer „Rückführungsoffensive“, Abschiebungen nach Afghanistan und Syrien sowie die Abschaffung der Einbürgerung nach drei Jahren.

Als es um die Wirtschaft ging, nutzte Merz die Bühne, um Trump ein Angebot in Sachen Zollpolitik zu machen. „Wir werden auch den Vereinigten Staaten von Amerika anbieten, dass wir am besten auf null gehen bei allen Zollsätzen im gegenseitigen Warenaustausch“, sagte er. Darüber hinaus nannte er die gegenseitige Anerkennung von technologischen Standards, die er verbessern wolle. Doch es ging auch um die Innenpolitik: „Wohlstand ist mein Stichwort“, sagte er. Der Regierung müsse nicht weniger gelingen, als Ludwig Erhards Versprechen vom „Wohlstand für alle“ unter völlig veränderten Bedingungen zu erneuern.

Dabei wird es sicher auch ungemütlich. Die Kritik stimme, sagte Merz, man sei bei einigen Punkten sehr vage geblieben im Koalitionsvertrag. Er nannte etwa die Rente und Pflege. Hier müsse eine neue Balance gefunden werden, die nicht zulasten der jungen Generationen gehe. „Wir müssen aus der Fähigkeit und aus den Ideen unserer Partei heraus weitere Reformen ermöglichen und auch zur Diskussion stellen, die über das hinausgehen, was wir im Koalitionsvertrag aufgeschrieben haben“, forderte Merz.

Damit bereitete er die Delegierten auf den ein oder anderen Konflikt vor, den es noch mit den Sozialdemokraten geben dürfte. Und lobte den Wert von Kompromissen. Diese seien im Falle des Koalitionsvertrags nicht nur verantwortbar. „Es sind Kompromisse, die ich mit gutem Gewissen zur Zustimmung heute empfehlen kann“, sagte er. Mit vereinten Kräften könne es Deutschland aus eigener Kraft schaffen. „Das ist möglich.“