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Tiefgang

Weltpolitik am Sarg

Die Trauerfeier für Papst Franziskus hat gezeigt, was die katholische Kirche zuwege bringt und vielleicht nur sie. Der Moment, auf den Diplomatie und Politik hingearbeitet haben: ein Zwiegespräch zwischen Donald Trump und Wolodimir Selenskij, im Seitenschiff des Petersdoms.

Ein ikonisches Foto ist entstanden. Und vielleicht eine neue Lage, die es ohne die Trauerdiplomatie kaum gegeben hätte – ohne den neutralen Grund und Boden der Kirche. Vielleicht nicht ohne eine Situation, in der Spitzenpolitiker der Welt einmal auf sich und ihre Instinkte gestellt sind, und nicht ohne die Schönheit Roms.

Die Kirche leer, der Sarg von Franziskus um die Ecke. „Man müsste herzlos sein, wenn das nicht einen gewissen Eindruck macht“, sagte ein römischer Diplomat. „Die Atmosphäre und die eindrucksvolle Kulisse darf man nicht unterschätzen.“

Sie saßen auf Stühlen jener Art, auf der zu diesem Zeitpunkt, eine Viertelstunde vor Beginn der Messe, draußen auf dem Petersplatz Kardinäle längst Platz genommen hatten. Der Protokollchef des Vatikans hatte sie herbeigeschafft. Die beiden hörten sich zu, ohne Dolmetscher, Assistenten, ohne Vizes. Trump hörte zu. Der Moment musste orchestriert werden, auch mit Mithilfe der Amerikaner, „die sonst erst eine Minute vorher kommen“, sagte der Diplomat. „Das war keine zufällige Begegnung.“

Vor seinem Rückflug äußerte Trump Zweifel daran, ob Wladimir Putin Frieden wolle, oder „ob er mich nur hinhält“ und drohte mit Sanktionen. Selenskij hatte ihm einen Gegenvorschlag zu seinem eigenen Friedensplan gemacht, einen, der den Ausgang von Gesprächen nicht schon vor ihrem Beginn festlegt. Ein bescheidenes Ziel, entwickelt zusammen mit wichtigen Europäern, nach Angaben aus deren Regierungskreisen, ein immerhin realistisches.

Ein weiteres Foto aus dem Inneren des Petersdoms zeigt Mitwirkende: Frankreichs Präsidenten Emmanuel Macron und den britischen Premier Keir Starmer im Gespräch mit Trump und Selenskij. Italiens Premierministerin Giorgia Meloni war eine weitere derjenigen, die Gelegenheit hatten, länger mit Trump zu sprechen (und Selenskij über Ergebnisse zu informieren).

Andere zogen mit. Das Protokoll platzierte die anwesenden Staatschefs in der ersten Reihe und in der Reihenfolge des französischen Alphabets. Das gab den Präsidenten Alar Karis (Estland) und Alexander Stubb (Finnland) die Gelegenheit, von rechts und links mit Trump (États-Unis) zu sprechen. Es war von den Presseplätzen oben auf den Kolonnaden des Petersplatzes gut zu beobachten, dass beide es taten, sobald die zweistündige Liturgie es erlaubte, etwa während die Menge auf dem Petersplatz – 250 000 feierten den Gottesdienst dort – die Kommunion empfing.

Für Trump gilt die Erfahrung, dass auch Kehrtwenden reversibel sind. Aber erst einmal arbeiteten viele Köpfe in Europa daraufhin, dass er seine harte Haltung gegenüber der Ukraine ändert und sich am Samstag raten ließ, sich von Putin nicht einwickeln zu lassen. Der Moment im Petersdom sollte reparieren, was bei Selenskijs Besuch im Oval Office jüngst kaputtging.

Auf die Frage, ob auch er Gelegenheit zu politischen Gesprächen hatte, antwortete Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier nach der Messe: „Das ist in erster Linie eine Trauerfeier.“ An derlei „kurze Gespräche“ möge man nicht zu viele Erwartungen haben. Das sagt sich umso unbeschwerter, je weniger man eine Rolle spielt.

Weltpolitik am Sarg passierte ohne die Deutschen. Der Rolle des Bundespräsidenten entspricht es vielleicht nicht, dort wirklich Politik zu machen; Bundeskanzler Olaf Scholz hat nur noch eine gute Woche im Amt. Bundestagspräsidentin Julia Klöckner, die neben ihm saß (Prinz William auf der anderen Seite), wurde vom Corriere della Sera für seine Frau Britta Ernst gehalten.

Alles wahr. Dennoch eine verpasste Chance für Friedrich Merz, das Angebot auszuschlagen, in Steinmeiers Delegation zu reisen. Gelegenheiten wie die Trauerfeier gibt es auch für einen nächsten Bundeskanzler nicht viele.

Man braucht die Ziele einer solchen Reise nicht einmal so niedrig zu hängen wie Markus Söder. Er war eigens nach Berlin gereist, um von dort in Steinmeiers Maschine nach Rom mitzufliegen; er brachte ein Selfie mit dem Bundespräsidenten an Bord nach Hause mit und damit eine Erinnerung daran, dass bayerischer Ministerpräsident vielleicht nicht sein letztes Amt sein muss.

Es ist eine Trauerfeier, kein rein politisches Ereignis, das wird schon an der Kleiderordnung deutlich, die meisten tragen schwarz. Der Block der Staatsgäste umfasste Hunderte. Schon eine Dreiviertelstunde vorher wurden die ersten aus dem Petersdom geleitet und platziert; ohne Stab und Mitarbeiter, ansprechbar und auf der Suche nach Kontakt.

Eine gute Gelegenheit, ein Kennenlernen oder Anliegen mit der Erinnerung an einen besonderen Moment zu verbinden, wie ein Teilnehmer im Anschluss sagte. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen rang Trump in einem solchen kurzen Händeschütteln ein Bemühen darum ab, sich bald einmal zu treffen.

Wann hat man so viel Zeit, aufeinander zuzugehen, wann so viel Gelegenheit, sich auf Augenhöhe zu treffen? Das gilt auch für andere Anlässe – die Generalversammlung der Vereinten Nationen und größere Gipfel – aber im Vatikan kommt dazu: Bis alle drin und wieder draußen sind, dauert es nach Auskunft aus Diplomatenkreisen „jeweils 90 bis 120 Minuten“.

Nach Ende der Messe, Trump hatte sich schon aufgemacht, warteten Teilnehmer im Vatikan vor dem Eingang zum Campo Santo auf ihre Autos. Prinz Williams Fahrer stellte den BMW falsch ab und wurde von Sicherheitsleuten zum Umparken gebracht. Frühere italienische Premierminister, von denen es eine ganze Reihe gibt, waren ebenso da wie Kardinäle, die aus der Sakristei kamen, wie Botschafter, die auf ihre Chefs warten.

Manche taten sich leichter als andere, ins Gespräch zu kommen. Philippe, der König der Belgier, und seine Frau Mathilde standen mittendrin. Minutenlang beachtete sie niemand, sprach sie niemand an, es kam auch kein Auto. Menschen, um deren Alltag sich eine Palastbürokratie kümmert, waren auf einmal auf sich selbst zurückgeworfen, auch was die Frage angeht, mit wem sie worüber sprechen wollen.

Wer gar nicht erst dabei ist, vergibt diese Gelegenheit. Florian Eder