(K)eine Strategie gegen Rechtsextremismus?
Ein kurzer Überblick über die Nachrichten der vergangenen Tage: Vier Neuntklässler aus Görlitz zeigten im März in Auschwitz-Birkenau eine rechtsextreme Geste. Ein Foto davon landete in den sozialen Medien.
In Oelsnitz im Erzgebirge ließ sich eine Lehrerin vorzeitig versetzen, nachdem ihr im Januar drei Vermummte auf einem Parkplatz aufgelauert, sie mit einer Taschenlampe geblendet und die Reichskriegsflagge gezeigt hatten. Zeit Online sagte die Lehrerin, die Vermummten hätten „Sieg Heil“ und „Wir schicken dich ins KZ“ gerufen.
Die Oberbürgermeisterin von Zwickau, Constance Arndt, erhielt eine Morddrohung per Mail. Der Verfasser nannte sich „Adolf Hitler“ und wählte „nsu@gmail.com“ als Absenderadresse.
Bereits im Februar offenbarte die Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Bundestagsabgeordneten Petra Pau (Die Linke) einen bundesweit neuen Höchststand rechtsextremer Straftaten im Jahr 2024.
Die künftige Bundesregierung übernimmt also ein Land, in dem die Hemmschwelle offenbar gesunken ist, in dem der Rechtsextremismus auf dem Vormarsch ist. Wie aber wollen Union und SPD diesem Problem begegnen?
Im Koalitionsvertrag blieben die Verhandlerinnen und Verhandler vage. Dort finden sich zwar Sätze wie dieser: „Wir bekämpfen die Ausbreitung rechtsextremistischen Gedankenguts und rechtsextremistischer Strukturen in unserer Gesellschaft systematisch und mit aller Entschlossenheit.“ Wie CDU, CSU und SPD das umsetzen wollen, sagen sie allerdings nicht.
Konkret wird es nur an wenigen Stellen. Das Bundesprogramm „Demokratie leben!“ will die Koalition in spe zum Beispiel fortsetzen, es aber „in Bezug auf Zielerreichung und Wirkung“ überprüfen. Auch die Arbeit der Antidiskriminierungsstelle soll weitergehen. Den nationalen Aktionsplan gegen Rassismus will Schwarz-Rot „aufbauend auf einer wissenschaftsbasierten Rassismus-Definition neu auflegen, um Rassismus in seinen verschiedenen Erscheinungsformen zu bekämpfen“.
Um unter anderem den Schutz von Mandatsträgerinnen und Mandatsträgern zu verbessern, soll das Melderecht überarbeitet werden. Für Kommunalpolitiker soll ein erweiterter Schutz im Strafrecht geprüft werden. Geeinigt haben sich CDU, CSU und SPD auf ein NSU-Dokumentationszentrum in Nürnberg. Das war in der Arbeitsgruppe Innen, Recht, Migration und Integration noch strittig.
Geregelt werden soll zudem der Entzug des passiven Wahlrechts bei mehrfacher Volksverhetzung, der Tatbestand Volksverhetzung selbst soll verschärft werden. Außerdem wollen Union und SPD prüfen, inwiefern man eine Strafbarkeit für den Fall einführen kann, dass Amtsträger und Soldaten im Zusammenhang mit ihrer Dienstausübung in geschlossenen Chatgruppen antisemitische oder extremistische Hetze teilen.
Kritikerinnen und Kritikern geht das alles nicht weit genug. Die Geschäftsführerin des Bundesverbands der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt, Heike Kleffner, sagte der taz kürzlich, es gebe im Koalitionsvertrag keine politische Strategie zur Bekämpfung des Rechtsextremismus, keinen Nationalen Aktionsplan und keine Bund-Länder-Task-Force.
Clara Bünger, Bundestagsabgeordnete der Linken, sagte SZ Dossier: „Was SPD und Union in Sachen Rechtsextremismus-Bekämpfung in ihrem Koalitionsvertrag festgehalten haben, ist angesichts der zunehmenden Gewalt von rechts besorgniserregend – vor allem im Bereich der Präventionsarbeit.“
Bünger befürchtet, die Lage könnte sich sogar noch verschlechtern. Je nach Ausgang der Überprüfung des Programms „Demokratie leben!“ könnten zivilgesellschaftlichen Projekten, mobilen Beratungsteams gegen Rechtsextremismus oder Opferberatungsstellen nämlich Ressourcen entzogen werden. „Von einem Demokratiefördergesetz, das dringend benötigt würde, um Demokratieprojekte verlässlich und langfristig zu finanzieren, ist in den Vereinbarungen von Union und SPD überhaupt keine Rede“, sagte Bünger.
So entsteht der Eindruck, die künftige Koalition dreht allenfalls an ein paar kleinen Schräubchen, wirklich neue Ideen im Kampf gegen Rechtsextremismus hat sie kaum. Problematisch ist das auch vor dem Hintergrund, dass die Akteure im rechtsextremen Spektrum sehr wohl neue Ideen haben.
Aufgefallen sind Verfassungsschützern etwa die Demonstrationen gegen CSD-Veranstaltungen im vergangenen Jahr. Zu solchen Aktionen sei innerhalb der Neonaziszene eine starke Mobilisierung zu beobachten gewesen, heißt es etwa im Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen. Bemerkenswert sei das, weil die Neonaziszene in den vergangenen Jahren eigentlich an einer deutlichen Mobilisierungsschwäche gelitten habe. Nun würden aber vor allem Jugendliche und junge Erwachsene im virtuellen Raum rekrutiert.
Das beobachteten auch die Kollegen in Sachsen: Sowohl parteigebundene als auch parteiungebundene Gruppen hätten „vom verstärkten Zulauf junger Menschen profitiert, den die rechtsextremistische Szene seit 2024 erfahren hat“, teilt das Landesamt für Verfassungsschutz in Sachsen auf Anfrage mit. Der Zulauf sei vor allem mit den Protesten gegen CSD-Veranstaltungen verknüpft gewesen.
Es sei zwar fraglich, ob das Thema Queerfeindlichkeit die jungen Akteure dauerhaft mobilisiere, schreiben die Verfassungsschützer aus NRW. Denkbar sei aber, dass die Gruppen einfach andere Themenfelder besetzen. In jedem Fall sei festzustellen, dass sich die Neonaziszene entgegen dem Trend verjünge. Das aggressive Auftreten bei den CSD-Veranstaltungen sowie der gewaltbefürwortende Diskurs in Social-Media-Gruppen deuteten darauf hin, „dass mit dieser Verjüngung auch das Gewaltpotenzial der Szene nochmal zunimmt“. Der Handlungsdruck nimmt also nicht ab. Tim Frehler