In der SPD hat das Buhlen um die Basis begonnen
Dialogforen mit der Parteispitze, Onlinekonferenzen, Präsentationen, Argumentationshilfen: Die Parteiführung der SPD legt sich ganz schön ins Zeug, damit die Basis beim heute beginnenden Mitgliedervotum dem Koalitionsvertrag mit der Union zustimmt. Klingbeil, Esken und Co. haben allerdings auch allen Grund, sich anzustrengen: Die Kritik der Basis ist laut und es steht viel auf dem Spiel: Sollte die avisierte Koalition platzen, gerät Deutschlands politische Stabilität gehörig ins Wanken.
Unzufrieden sind viele Mitglieder mit dem, was zum Thema Migration im Koalitionsvertrag steht. Außerdem fehlen ihnen beim Mindestlohn und bei der Vermögensteuer feste Zusagen. Auch mit der Ausweitung der Arbeitszeithöchstgrenze hadern sie.
Parteichef Lars Klingbeil wird daher seit der Vorstellung des Koalitionsvertrags vergangene Woche nicht müde zu betonen, dass die SPD nun Verantwortung übernehmen müsse. So auch gestern beim Dialogforum in Hannover: Eine stabile Regierung in Deutschland, das sei die Aufgabe der Zeit, das sei eine „verdammt hohe Verantwortung“, sagte Klingbeil. „Das ist die Verantwortung, die ihr jetzt tragt.“
Er appellierte an das sozialdemokratische Gewissen der Mitglieder: „Ich wünsche mir, dass ihr sagt: Wir ducken uns nicht weg.“ Gut, der Koalitionsvertrag sei nicht „SPD pur“. Aber er finde, man habe gute Kompromisse gemacht. Dass noch nicht alle in der SPD restlos überzeugt sind, war während der Rede von Co-Parteichefin Saskia Esken zu spüren. Als sie sagte, das Ergebnis könne sich sehen lassen, lachte ein Zuhörer im Publikum laut auf.
Neben Klingbeil und Esken war am Montagabend die geballte Parteiprominenz in die niedersächsische Hauptstadt gereist, um die Genossinnen und Genossen vom Koalitionsvertrag zu überzeugen. Auf dem Podium stellten sich neben den beiden Parteivorsitzenden auch Generalsekretär Matthias Miersch, Arbeitsminister Hubertus Heil, Verteidigungsminister Boris Pistorius und Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig den Fragen der Genossinnen und Genossen.
Rund 400 Mitglieder waren laut Parteivorstand zum ersten Dialogforum gekommen. Ein zweites soll am 26. April im hessischen Baunatal stattfinden. Die Reihen füllten sich zwar noch bis kurz vor Beginn, brechend voll war der Saal aber nicht. Fragt sich bloß, was das bedeutet: Ist die Mühe, die sich die Parteispitze gibt, gar verschwendet, weil die Mehrheit ohnehin zustimmt?
Die Vehemenz, mit der Heil, Schwesig und Pistorius das Ergebnis der Verhandlungen verteidigten, deutet eher auf das Gegenteil hin. In der Parteiführung scheint man sich durchaus Sorgen zu machen, dass das Ganze scheitern könnte.
Anlass dazu gab auch das vergangene Wochenende voller Kommunikationspannen: Bald-Kanzler Friedrich Merz sagte der Bild am Sonntag, der Mindestlohn sei keineswegs beschlossen. Tatsächlich steht im Koalitionsvertrag nichts von einer festen Zusage. Klingbeil relativierte im Bericht aus Berlin und mehrere Juso-Landesverbände kündigten unter anderem deshalb ihr Nein zum Vertrag an, am Montag dann auch Juso-Chef Philipp Türmer für den Bundesverband.
Deshalb galt in Hannover: Zweckoptimismus verbreiten, ein bisschen Aufbruchsstimmung hier und da und ganz oft die Frage: Was wäre denn die Alternative? Immerhin einig war man sich darin, dass diese auf gar keinen Fall „Alternative für Deutschland“ heißen darf.
„Ihr dürft nicht Opfer der CDU-Propaganda werden“, rief Noch-Arbeitsminister Heil in den Saal. Wenn die SPD nicht in die Regierung gehe, dann werde es auf keinen Fall eine Mindestlohnerhöhung geben, sagte Heil. Er appellierte: „Lasst uns die Mindestlohngeschichte nicht kaputt reden.“
Damit das Mitgliedervotum erfolgreich wird, muss mindestens die Hälfte der knapp 360 000 Mitglieder zustimmen. In Hannover zeigten sich viele vor dem Dialogforum eher skeptisch, viele wollten die Entscheidung davon abhängig machen, wie gut die Parteispitze sie überzeugen kann. Per online eingereichter Frage wollte ein Mitglied wissen, was passiert, wenn das Mitgliedervotum scheitert. „Ich habe das früher als Juso immer gehasst, wenn man mir gesagt hat, es gebe keine Alternativen“, antwortete Klingbeil. Doch die jüngsten Debatten in der Union über eine Öffnung hin zur AfD hätten gezeigt: Es gebe Alternativen, aber keine davon sei gut für Deutschland.
„Am Ende wird es wohl darauf hinauslaufen, Idealismus gegen Pragmatismus abzuwägen“, sagte Simion Tersek nach dem Ende der Veranstaltung. Der 19-jährige Student aus Osnabrück war bis zum Schluss skeptisch, ob seine Partei die Absprachen, die sie im Vertrag mit der Union getroffen hat, auch einhalten kann.
Die Geschwister Sina (43) und Sven (48) Hoppe aus Uelzen treibt der Gedanke um, was ihre Partei dem weiteren Erstarken der AfD entgegenhalten kann. „Wenn der Koalitionsvertrag abgelehnt wird und nachverhandelt oder neu gewählt werden muss, ist das sicher zum Schaden der Demokratie“, sagte Sina Hoppe. Ob sie dem Koalitionsvertrag am Ende zustimmen werden, darauf wollte sich keiner der drei am Abend festlegen. Elena Müller