Wie Gespräche die politische Spaltung verringern
Wie umgehen mit der massiv zugenommenen gesellschaftlichen Polarisierung? Diese Frage beschäftigt derzeit viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in westlichen Demokratien. „Unsere Studie zeigt, dass sachliche Diskussionen dazu beitragen können, Feindseligkeiten abzubauen und Raum für einen friedlichen Dialog zu schaffen“, erläutert Egon Tripodi im Gespräch mit SZ Dossier. Der Ökonom, der an der Hertie School forscht und lehrt, hat sich in einer vom Centre for Economic Policy Research (CEPR) veröffentlichten Studie mit der gesellschaftlichen Polarisierung beschäftigt.
Tripodi hat gemeinsam mit Luca Braghieri von der Università Bocconi und Peter Schwardmann von der Carnegie Mellon University untersucht, wie faktenbasierte Gespräche dazu beitragen könnten, politische Spaltungen zu überbrücken. In den Worten von Tripodi geben die Forschungsergebnisse Hoffnung, das „gegenseitige Verständnis in einer zunehmend zerklüfteten politischen Landschaft zu fördern“.
Die Forscher haben mithilfe einer Videotelefonie-Plattform fast 1 000 Amerikanerinnen und Amerikaner zusammengebracht, um Sachfragen zu diskutieren. Die Teilnehmenden beantworteten vor und nach achtminütigen Gesprächen, die sie mit einem politischen Gleichgesinnten oder Andersdenkenden führten, Fragen zu 14 politischen Fakten. Die Plattform ermöglichte einen unstrukturierten und unmoderierten Austausch zu diesen Fragen – anschließend konnten sie diese erneut beantworten. Zudem gab es 100 Tage später eine Nachbefragung, um langfristige Auswirkungen zu untersuchen.
Gerade die vergangenen US-Wahlen hätten den Trend zu ideologischen Echokammern aufgezeigt, in denen sich Menschen mit Gleichgesinnten umgeben, sagt Tripodi. Es gebe Hinweise dafür, dass auch Freundschaften zunehmend nach politischen Präferenzen entstehen. Diese Beobachtung sei der Startpunkt für das Projekt gewesen. „Um diese Blasen zu durchbrechen, muss man den Wert unterschiedlicher Perspektiven anerkennen“, sagt Tripodi.
Und da kommen die Gespräche ins Spiel. Wie die Forscher herausgefunden haben, ziehen es Menschen vor, mit Gleichgesinnten zu sprechen, da sie erwarten, dass Gespräche mit Andersdenkenden unproduktiver und unangenehmer sind. Gleichzeitig waren die Dialoge aus Sicht der Teilnehmenden über Parteigrenzen hinweg angenehmer als gedacht und verringerten signifikant die Feindseligkeit gegenüber der Gegenseite.
So manche Annahme konnten die Forscher bestätigen. So waren Teilnehmende bereit, Geld zu zahlen, um Gespräche mit Andersdenkenden zu vermeiden, da sie diese als frustrierend und wenig hilfreich erwarteten. Wer das Gespräch dann doch geführt hat, wurde positiv überrascht: „Diejenigen, die an Gesprächen mit der Gegenseite teilnahmen, empfanden diese als genauso angenehm wie Gespräche mit Gleichgesinnten“, sagt Tripodi.
Obwohl Teilnehmende erwarteten, weniger von der Gegenseite zu lernen, lag das eigentliche Problem nicht in Fehlinformationen, sondern vielmehr in der Schwierigkeit, wertvolle Einsichten zu erkennen – und für sich zu nutzen. Die Gespräche reduzierten signifikant die Feindseligkeit gegenüber der Gegenseite und damit die Polarisierung – dieser Effekt hielt bis 100 Tage nach dem Experiment an. Das Lernen von neuen Informationen war hingegen begrenzt.
Tripodi zufolge hat die Konzentration auf sachliche Diskussionen die Polarisierung deutlich reduziert – selbst bei strittigen Themen wie der Einwanderung. „Die Teilnehmenden gewannen Einsichten und entwickelten ein besseres Verständnis für gegensätzliche Sichtweisen“, sagt er.
Eine Herausforderung: Es gab die Tendenz, dass die eigene Seite in allen Fragen besser informiert ist. Das Wissen zwischen Demokraten und Republikanern ist je nach Thema anders verteilt, aber beide Seiten sind in etwa gleich informiert. „Wenn man nicht weiß, wer Experte für was ist, wird es schwierig zu wissen, wann man ihm vertrauen kann. Das liegt vermutlich daran, dass sie nicht genug Interaktionen mit der anderen Seite haben, um zu wissen, worin sie sich auskennt“, sagt Tripodi.
Was ihm besonders auffällt: Die Forschung beobachtet derzeit ein noch nie dagewesenes Ausmaß an Einsamkeit unter jungen Menschen. „Wir sehen, dass die soziale Isolation unter Menschen, die die extreme Rechte in vielen Ländern unterstützen, sehr wichtig ist“, sagt Tripodi. Dieser Gedanke, nicht zu interagieren, nicht Teil zu sein einer Gemeinschaft, könne zu einem System von Vorurteilen gegen Menschen beitragen. „Wir sehen in unserer Studie, dass die Gespräche dazu beitragen, dieses Vertrauen wiederherzustellen und Vorurteile abzubauen.“
In Deutschland gibt es ein ähnliches Format: Die Initiative „Deutschland spricht“ – ursprünglich von Zeit Online ins Leben gerufen – bringt Menschen mit unterschiedlichen Standpunkten zusammen, die sich zu einem Thema unterhalten. „Wir können aus diesen Erkenntnissen lernen, dass wir Dinge tun können, die viel leichter und kostengünstiger sind, etwa die Gestaltung einer Online-Plattform“, sagt Tripodi. „Es ist also eine gute Nachricht, dass wir Dinge wie ‚Deutschland spricht‘ auf eine Art und Weise skalieren können, die durch moderne Technologien möglich ist.“
Ob die Ergebnisse seiner Studie auch für Deutschland wertvoll sein können? Ja, sagt Tripodi. Denn auch hierzulande gebe es ähnliche Strukturen. „Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass die europäische Politik oft komplexer ist: Wir haben kein Zweiparteiensystem wie in den USA“, sagt er. Es gebe aber einen Wettbewerb zwischen der extremen Rechten und den Parteien der Mitte. Und auch soziologische Ähnlichkeiten zu den USA, was die politischen Präferenzen angeht: etwa ein Stadt-Land-Gefälle. „Ich denke daher, dass die Studie in diesem Sinne nützlich ist“, sagt Tripodi.