Schwarz-Rot wollte weniger streiten als die Ampel. Und auch sonst sollte das Klima innerhalb der Koalition ein anderes sein. Die neue Regierung ist noch nicht mal im Amt, da hat sie schon ihre ersten Meinungsverschiedenheiten, die sie auf offener Bühne austrägt. Es geht vor allem ums Geld. SPD-Chef Lars Klingbeil hatte erklärt, welche Vorhaben unter Finanzierungsvorbehalt stehen –und welche nicht. Die im Vertrag mit „wir werden“ eingeleiteten Vorhaben sollten kommen, für die mit „wir wollen“ eingeleiteten Vorhaben müsse noch eine Finanzierung gefunden werden. Dieser Darstellung hat nun Bundeskanzler in spe Friedrich Merz widersprochen.
Es geht um zwei Maßnahmen. Da ist zunächst die Einkommensteuerentlastung für Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen. „Wir werden die Einkommensteuer für kleine und mittlere Einkommen zur Mitte der Legislatur senken“, heißt es dazu im Koalitionsvertrag. Merz sagte wiederum gestern der Bild am Sonntag, diese sei „nicht fix“. Er verwies darauf, dass die Union die Steuersenkung gerne mit den Sozialdemokraten „von Anfang an“ verabredet hätte, es darüber aber einen Dissens gegeben habe. „Deswegen haben wir es offengelassen“, sagte er. Man senke die Unternehmensbesteuerung – und die Einkommensteuer wolle man senken, wenn es der öffentliche Haushalt hergebe.
Werden oder sollen? Zwar steht im Koalitionsvertrag auch, dass alle Vorhaben unter Finanzierungsvorbehalt stünden. Aber Klingbeil und anschließend auch CDU-Mann Thorsten Frei hatten erläutert, wie die Formulierungen zu verstehen seien. Im Bericht aus Berlin betonte Klingbeil gestern, an den Entlastungen zur Mitte der Legislatur gebe es „kein Wackeln“. Merz präzisierte seine Aussage am Sonntagabend: „Das wollen wir erreichen, aber wir machen keine Versprechungen, die wir nicht erfüllen können“, sagte er bei Caren Miosga.
Einen weiteren Dissens gibt es beim Mindestlohn. „Es wird keinen gesetzlichen Automatismus geben“, sagte Merz der Bild am Sonntag. Der Mindestlohn könne Anfang 2026 bei den genannten 15 Euro liegen – oder auch später. „Das bleibt die Aufgabe der Mindestlohnkommission, das in eigener Autonomie auch festzulegen.“
In der SPD sieht man das anders. In internen Papieren und auf offener Bühne verkaufen sie die Erhöhung als gesetzt. „Der Mindestlohn wird im Jahr 2026 auf die 15 Euro steigen, die wir haben wollen“, hatte Klingbeil am Donnerstag gesagt. „Wir haben im Koalitionsvertrag klar die Orientierung am europäischen Mindestlohnziel, also 60 Prozent des Medianlohns, verankert“, sagte SPD-Fraktionsvize Dagmar Schmidt am Wochenende. Damit sei der Weg geebnet: „Der Mindestlohn wird sich dynamisch bis 2026 in Richtung 15 Euro entwickeln.“
Interpretationsspielraum: Schuld sind in beiden Fällen die vagen Formulierungen im Koalitionsvertrag. Ein Mindestlohn von 15 Euro sei bis 2026 „erreichbar“, heißt es darin. Was den Mindestlohn betrifft, könnten am Ende beide richtig liegen: Die Erhöhung liegt in den Händen der Mindestlohnkommission, dazu hat sich auch die SPD bekannt. „Es gilt das, was im Text steht: Wir halten die 15 Euro für erreichbar“, sagte Klingbeil im Bericht aus Berlin. Wenn sich die Mindestlohnkommission an all die Kriterien halte, die in ihrer Geschäftsordnung drin sind, dann erreiche man 2026 die 15 Euro.