Die Meinungsfreiheit, der DSA und Raum für Verbesserung
Der Digital Services Act (DSA) ist nicht zuletzt dank Tech-Milliardär Elon Musk und US-Vizepräsident J.D. Vance weltberühmt geworden. Musk und Vance stellen ihren Gefolgsleuten die Verordnung gern als Zensurinstrument der EU-Kommission vor: Europa solle sich ein Beispiel an den USA nehmen, wo es noch das Recht auf freie Meinungsäußerung gebe. Doch an der Stelle wird der DSA vermutlich vorsätzlich missverstanden – wobei das Spannungsfeld zwischen Meinungsfreiheit und Plattformregulierung tatsächlich heikel sein kann. Daniel Holznagel, Richter und Experte für Plattformregulierung, hat mit SZ Dossier über die Unwegsamkeit des Gebiets gesprochen.
„Mitunter wird formuliert, der DSA zwinge dazu, Desinformation und Fake News zu beseitigen oder er könnte dazu eingesetzt werden“, sagte Holznagel. Tatsächlich sei dem nicht so, sondern vielmehr stelle der DSA Sorgfaltsanforderungen struktureller Art auf, die sich mittelbar auswirken können. „Zum Beispiel die Vorgabe, dass Plattformen achtgeben müssen, dass Algorithmen nicht durch unauthentische Nutzung manipuliert werden.“ Das könne mittelbar dazu führen, dass die Effektivität von Desinformationskampagnen zurückgeht. „Es ist kein Zensurinstrument, erst recht kein politisches.“
Dennoch habe Vance einen Punkt, auch wenn er vieles verzerrt darstelle. „Zum Beispiel, dass die Staatsanwaltschaft eine Hausdurchsuchung wegen einer Beleidigung macht, das kann bei uns ja vorkommen“, sagte Holznagel. „Das gäbe es in den USA nicht, obgleich es dort natürlich ganz andere Sachen gibt, die unverhältnismäßig erscheinen.“ Es sei aber unstrittig, dass das Äußerungsstrafrecht hierzulande strenger ist als in den USA. „Allerdings macht Vance daraus den Spin, dass es bei uns um die Unterdrückung politischer Meinungen ginge – das ist meines Erachtens nicht der Fall.“
Meinung, Lüge, Verleumdung – die Debatte kommt nicht zur Ruhe. „Die bewusste Verbreitung falscher Tatsachenbehauptungen ist durch die Meinungsfreiheit nicht gedeckt“, schrieben etwa die Verhandelnden von Union und SPD der Arbeitsgruppe „Kultur und Medien“ vergangene Woche in ihr Papier (SZ Dossier berichtete). Ein anderer umstrittener Bereich von Äußerung und Ahndung sind Beleidigungen, wie sie etwa in den Fällen von Renate Künast und Robert Habeck für lautes Medienecho gesorgt haben.
Der Beleidigungstatbestand sei „relativ unbestimmt und weit“, sagte Holznagel. Man könne überlegen, ob nicht einfache Beleidigungen zum Beispiel zu einer Ordnungswidrigkeit abgestuft werden sollen. Im Plattform-Kontext sei es aber „verharmlosend, Hate-Speech-Phänomene anhand einfacher Beleidigungen zu diskutieren.“ Das habe mit der traditionellen Beleidigung gar nichts zu tun: „Es geht um anonyme Bedrohungskampagnen und Mob-Dynamiken, Stalking, Nachstellen, Verleumdungen, und so weiter.“
Ähnlich wie das deutsche Strafrecht ist auch der DSA nicht unveränderlich und könnte verbessert werden: „Die ersten Evaluierungen stehen schon 2025 an und dann abschließend 2027 die erste Runde“, sagte Holznagel. Da hätten die EU-Mitgliedstaaten einen großen Hebel. „Gerade so einflussreiche Länder wie Deutschland durch Stellungnahmen und Abfragen der Stakeholder und mehr.“ Aus Holznagels Sicht sollte beim DSA und auch bei anderen Digitalgesetzen dabei auf „Verschlankung und Entbürokratisierung“ hingewirkt werden.
Neben solchen Fragen gebe es auch den Bedarf für ein „modernes Zustellungsrecht auf EU-Ebene“, sagte Holznagel. Die wachsende Bedeutung der Plattformen führe dazu, dass auch die gerichtliche Klärung von Streitigkeiten in diesem Verhältnis immer wichtiger wird. Die Klärung setze aber voraus, dass man erstmal ein Verfahren eröffnen kann. Das wiederum setze die förmliche Übermittlung der verfahrenseinleitenden Dokumente voraus. „Und das ist tatsächlich nicht mehr zeitgemäß im Jahr 2025 – es ist grundsätzlich noch per Post erforderlich oder im Ausland mit einem Umweg über die Behörden im jeweiligen Sitz-Land.“
Ziel müsse ein einheitlicher europäischer Rechtsstaat sein, wo gerichtliche Klärungen funktionieren. „Also brauchen wir ein modernes Zustellungsrecht, das natürlich digital funktioniert“, sagte Holznagel. Es sei „mysteriös“, dass keinen politischen Willen für eine richtige „große Lösung“ gebe. „Alle Praktikerinnen werden Ihnen sagen, dass das auf jeden Fall verbessert werden muss.“ Das müsse nicht „furchtbar viel Geld kosten“, gehöre aber auf die Agenda. „Das sollten die Koalitionäre meines Erachtens als europäischen Punkt aufnehmen, man braucht hier eine Lösung auf EU-Ebene.“
Ein weiterer wichtiger Punkt sei der Gerichtsstand: „Wenn ich es schaffe, gegen eine Plattform im Gerichtsverfahren einzuleiten, an welchem Gericht wird diese Klage dann verhandelt?“ Wer sich mit einer Plattform streite, müsse das oft an deren Sitz klären, „also vielleicht an einem irischen Gericht“, sagte Holznagel. „Üblicherweise muss ich einen Anwalt vor Ort haben, der sich dort auskennt.“ Wenn man aber überlege, ob es gerecht sei, dass man nach Irland gehen muss, obwohl die Plattform in Deutschland um Nutzerinnen und Nutzer wirbt, „käme man wahrscheinlich zu dem Ergebnis, dass es nicht gerecht ist.“ Laurenz Gehrke
Die Abonnentinnen und Abonnenten unseres Dossiers Digitalwende haben diesen Text in einer längeren Fassung zuerst gelesen.