So wollen sich die Grünen neu aufstellen
Das Grundgesetz ist geändert, der neue Bundestag hat sich konstituiert. Und Annalena Baerbock soll Präsidentin der UN-Generalversammlung werden. Für die Grünen brechen endgültig neue Zeiten an. Am Sonntag trifft sich die Partei zum kleinen Parteitag in Berlin, dem sogenannten Länderrat. Ein Überblick über Baustellen und Ideen.
Die Analyse: Der Leitantrag des Bundesvorstandes für den Länderrat beginnt nicht mit einem Eingeständnis, sondern mit Eigenlob. Trotz der verstolperten Debatte um Sozialabgaben auf Kapitalerträge, der Affäre Gelbhaar und einem Wahlergebnis von 11,6 Prozent konstatieren die Grünen: „Wir haben einen starken Wahlkampf geführt.“
Woran hat es gelegen? Der Analyse zufolge sei aufgrund einer Koalition „mit einer meist destruktiven FDP“, der „mangelnden Führung von Olaf Scholz“ und „eigenen Fehlern“ viel Vertrauen in verschiedene Richtungen verloren gegangen. Außerdem habe die Partei bei ihren klimapolitischen Vorhaben „nicht immer rechtzeitig für die soziale und wirtschaftliche Absicherung“ sorgen können, die Umsetzung sei zu kleinteilig gewesen. Im Wahlkampf hätten die Grünen entscheidende Debatten wie die zur Migrationspolitik oder zur Zukunft der sozialen Sicherungssysteme nicht für sich gewinnen können. Schuld daran sei „eine kommunikative und strategische Unklarheit gewesen“.
Und letztendlich habe nach der gemeinsamen Abstimmung der Union mit der AfD im Bundestag – und mangels Alternativen – eine Machtperspektive gefehlt.
Die Baustellen: Ihre inhaltliche Stärke, so schreiben die Grünen, sei ihre Antriebskraft. Gleichwohl gestehen sie sich ein, dass sie bei einigen Themen „auseinanderlaufende Positionen“ gehabt hätten, die mit Formelkompromissen verbunden worden seien. Hier ist also Klärung nötig. Konkret will die Partei in sämtlichen Bereichen neue Konzepte ausbuchstabieren – von der Wirtschafts- bis zur Außenpolitik.
Zum heiklen Thema Migration, bei dem die Grünen eigene Unklarheiten ausgemacht haben, heißt es: „Wir stehen für eine faktenbasierte Migrationspolitik, die Integration ermöglicht, konkrete Verbesserungen vor Ort schafft und Herausforderungen angeht, die Migration auch mit sich bringt.“
Das klingt dann doch wieder nach Formelkompromiss – vor allem vor dem Hintergrund der Aussagen einiger Grünen-Politiker in der jüngeren Vergangenheit. So sagte etwa Baden-Württembergs Finanzminister Danyal Bayaz SZ Dossier vor kurzem, man müsse die „irreguläre Migration spürbar zurückdrängen“. Ende Januar sagte Cem Özdemir dem Spiegel, der grüne Grundsatz von Humanität und Ordnung sei zwar richtig, aber: „Wir müssen die Wörter Begrenzung und Machbarkeit hinzufügen.“
Stellt sich noch die Frage nach der Machtperspektive, beziehungsweise danach, mit wem die Grünen in Zukunft zusammenarbeiten wollen – und wie. Sie wollen eine „klare, gestaltende und empathische Opposition“ sein, steht im Leitantrag. Und immer wieder taucht darin ein Wort auf, das man vor allem mit dem grünen Kanzlerkandidaten Robert Habeck verbindet. Der sah sich im Wahlkampf als „Bündniskanzler“, seine Partei sieht sich als „Bündnispartei für morgen“.
Schon im Wahlkampf standen die Grünen allerdings vor dem Problem, dass einige gar kein Bündnis mit ihnen eingehen wollten: Markus Söder zum Beispiel. Die Strategie, Brücken zu bauen, sei zwar erfolgreich gewesen – funktioniere aber heute nicht mehr, sagte die ehemalige Parteichefin Ricarda Lang am vergangenen Freitag in einem Interview mit der taz. „Inzwischen steht auf der anderen Seite der Brücke häufig jemand, der sie abfackelt“, sagte Lang. Ihre Partei brauche daher ein neues Politikmodell, das sich einerseits um neue Allianzen bemühe, aber andererseits viel konfliktfähiger sei. „Bündnispartei“ klingt dagegen eher nach dem bisherigen Politikmodell.
Neuorganisation: Laut Leitantrag zählen die Grünen mittlerweile 160 000 Mitglieder, die politische Geschäftsführerin, Pegah Edalatian, sprach im Handelsblatt Ende Februar sogar von mehr als 168 000 Mitgliedern. Zum Vergleich: Im März 2024 meldeten die Grünen 130 000 Mitglieder. Die Partei setzt auf die Unterstützung der zahlreichen neuen Helferinnen und Helfer. Eine Satzungskommission soll Vorschläge dafür erarbeiten, welche Änderungen am Statut notwendig sind, „um den gewachsenen Anforderungen und der gestiegenen Mitgliederzahl“ gerecht zu werden.
Zusätzlich will der Vorstand mit der Initiative „Mitglieder treiben Innovation“ selbst „Formate, Strukturen und Instrumente“ entwickeln, um die PS der Mitglieder auf die Straße zu bringen. Die Ansätze klingen aber noch nach Parteisprech: Beteiligungsformate sollen gestärkt werden, neue Kommunikationsformate entstehen, „digitale Tools, Plattformen“ und Projekte aus der Mitgliedschaft will man identifizieren, weiterentwickeln und in die Parteiarbeit integrieren.
Neuer Fokus: Konkreter wird es an anderer Stelle. Die Grünen wollen sich verstärkt um Ostdeutschland kümmern. Sie selbst wollen dort stärker präsent und vernetzt sein, Ostperspektiven sollen wiederum in der Arbeit der Grünen sichtbarer werden. Unter anderem will der Bundesvorstand im Herbst dieses Jahres ein „grünes Festival“ im Osten veranstalten – „jenseits von Ostalgie und Folklore“. Außer in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz finden im kommenden Jahr auch in Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern Landtagswahlen statt. In Berlin wird das Abgeordnetenhaus gewählt.