„Klimaneutralität bis 2045“ ist weder Staatsziel noch Grund zur Klage
Klimaschutz ist auch nach der gestern vom Bundestag beschlossenen Reform des Grundgesetzes weiterhin kein Staatsziel. In der deutschen Verfassung steht nun in Artikel 143h, dass das Sondervermögen in Höhe von 500 Milliarden Euro „für zusätzliche Investitionen in die Infrastruktur und für zusätzliche Investitionen zur Erreichung der Klimaneutralität bis 2045“ genutzt werden soll.
Mit der Formulierung geht der Gesetzgeber weiter den Weg, den das Bundesverfassungsgericht mit einem wegweisenden Urteil von 2021 bereits aufgezeigt hat. Auf das Datum hatten sich Bundestag und Bundesrat bereits im Klimaschutzgesetz Mitte 2024 geeinigt. In der EU gilt laut dem Green Deal das Jahr 2050 als Zielmarke für Klimaneutralität. Das bedeutet, dass Wirtschaft und Bevölkerung nicht mehr Treibhausgase ausstoßen dürfen, als wieder neutralisiert oder zum Beispiel unter der Erde verpresst werden können.
Das Ziel 2045 sei zu ehrgeizig, findet jedoch die Wirtschaft und fürchtet, dass Infrastrukturprojekte jetzt immer wieder dem Klimaschutz untergeordnet werden müssten und anderenfalls Klagen drohten.
Doch die zum Thema befragten Staatsrechtler scheinen sich einig zu sein: Bei der Formulierung handele es sich lediglich um eine neue „finanzverfassungrechtliche Vorschrift“; wie es Christian Calliess, Professor für Verfassungs- und Umweltrecht an der FU Berlin, im Handelsblatt nennt: „Die geplante Ergänzung unserer Verfassung führt nicht zu einem neuen Staatsziel Klimaschutz mit Verpflichtung auf Klimaneutralität bis 2045.“
Die Union, die mit der Aufnahme der Formulierung eine Bedingung der Grünen für deren Zustimmung zum Finanzpaket erfüllt hat, sah sich jedoch in den Tagen nach der Einigung dazu gedrängt, immer wieder auf genaue Formulierung und ihre Bedeutung hinzuweisen.
So schrieb Philipp Amthor, Mitglied des CDU-Bundesvorstands und Teil der Koalitionsverhandlungsgruppe, in einem Gastbeitrag für die Welt: „Durch eine Grundgesetzänderung soll am Dienstag eine Richtungsentscheidung für die Zukunft der Staatsfinanzen getroffen werden.“
Er beantwortet die rhetorische Frage „Verbindet sich mit diesem Kompromiss auch eine grundlegende Neubestimmung der Klimaneutralität im Grundgesetz?“ daraufhin gleich selbst: Dies sei „mitnichten“ so; geregelt werde keine neue Staatszielbestimmung, sondern lediglich eine Zweckbestimmung für den Staatshaushalt, so Amthor.
Groß ist wohl die Sorge, die Anhängerinnen und Anhänger der Konservativen könnten glauben, die Union habe für die Zustimmung zum Schuldendeal einen zu hohen Preis bezahlt. Und die Kernklientel aus Unternehmerinnen und Unternehmern hat Angst vor Klimaklagen.
Deshalb verneinte CDU-Chef Friedrich Merz beim Bild-Interview unter dem Titel „Klagt die Klima-Lobby unsere Wirtschaft kaputt?“ die Frage: „Die jetzt vorgesehene Verfassungsänderung macht den Weg frei für zusätzliche Investitionen in den Klimaschutz, aber keineswegs für neue Klagemöglichkeiten.“ Das Jahr 2045 stehe allein im Zusammenhang mit dem Verwendungsnachweis der zusätzlichen Investitionen aus dem Sondervermögen – nicht als neues Staatsziel im Grundgesetz, machte Merz deutlich.
Im Kontext der Entscheidung von gestern wurde auch auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2021 verwiesen. Damals hatten die Richterinnen und Richter Artikel 20a GG („Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere…“) bereits den Umweltschutz als Aufgabe des Staates und Verantwortung gegenüber kommenden Generationen konkretisiert.
Der Rechtsexperte Helmut Philipp Aust, Professor für Öffentliches Recht an der Freien Universität Berlin, schrieb für den Verfassungsblog zum Urteil, dass das Gericht den Verfassungsauftrag zum Klimaschutz so verstehe, „dass er zwangsläufig zur Klimaneutralität führen muss“. Auf der Grundlage der naturwissenschaftlichen Studien, zitiert Aust Karlsruhe, sei ein anderer Schluss nicht möglich. Somit ist die Klimaneutralität selbst als Staatsziel nicht ein Druckmittel der Grünen, sondern letztlich nur die Konsequenz aus den Vorgaben des Verfassungsgerichts. Elena Müller