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Tiefgang

Mehr Geld und „vier Flexibilitäten“ für das Stromnetz

Der Präsident der Bundesnetzagentur, Klaus Müller, hat sich optimistisch zum Ausbau der Stromnetze und zur Flexibilisierung der Strommärkte geäußert. Das von der künftigen Koalition geplante Infrastruktur-Sondervermögen könne dabei helfen, sagte Müller SZ Dossier. „Auf die Frage der Kosten für den Netzausbau könnte das geplante Infrastrukturpaket eine Antwort sein“, sagte Müller.

Nachdem sich Genehmigung und Bau neuer Stromleitungen bereits durch die drei großen Beschleunigungsgesetze der Ampel-Regierung verbessert hätten, lägen die Hemmnisse nun bei Fachkräften und Beschaffung – da könne zusätzliches Geld nützen.

Netzausbau und Flexibilisierung sind wichtig, um Strom komplett klimaneutral zu produzieren und die Klimaneutralität Deutschlands bis 2045 zu erreichen. CDU/CSU und SPD hatten in ihrem am Samstag veröffentlichten Sondierungspapier das Klimaziel und den weiteren Ausbau erneuerbarer Energien bekräftigt. In dem Papier heißt es, neben dem „netzdienlichen Ausbau“ von Sonnen- und Windenergie sollten auch Biomasse, Geothermie, Wasserkraft und Speicherkapazitäten eine Rolle spielen.

Müller sagte, die Ergebnisse der Planungsbeschleunigung könne man beim überregionalen Stromnetz bereits „ernten“. Die Netzagentur hat im vergangenen Jahr 1400 Kilometer genehmigt, mehr als doppelt so viele wie im Jahr davor. „Diese werden gebaut und dann auch freigeschaltet.“ Auch wenn künftig mehr Geld für den Ausbau zur Verfügung stehe, werde seine Behörde auf Effizienz achten. „Jeder Finanz- und Energieminister wird erwarten, dass der Ausbau kosteneffizient passiert, auch wenn Milliarden fließen.“ CDU/CSU und SPD haben angekündigt, die von den Verbrauchern zu zahlenden Entgelte für die Übertragungsnetze zu halbieren, was staatliche Zuschüsse nach sich zieht.

Beim Ausbau der Solarenergie ist Deutschland laut Müller seit 2023 „auf gutem Kurs, sogar über den Zielen.“ Nachdem sich Ende 2024 auch der Ausbau der Windenergie beschleunigt habe, könne das Land den Weg zur Klimaneutralität 2045 fortsetzen. Der Erfolg beim Ausbau insbesondere der Solarenergie könne das Netz allerdings unter „technischen und finanziellen Stress“ setzen. Die Ende Januar vom alten Bundestag verabschiedeten Energiegesetze seien aber ein wichtiger Schritt, um unerwünschte Nebenwirkungen zu vermeiden. Unter anderem wird Solarstrom aus neuen Anlagen nicht mehr vergütet, wenn der Strompreis am Spotmarkt negativ ist.

Im vergangenen Jahr gab es 457 Stunden mit negativen Preisen. Diese auch als „Hellbrise“ bezeichneten Stunden mit viel Sonne und Wind gab es viel häufiger als die im Wahlkampf von Gegnern der Energiewende oft thematisierten „Dunkelflauten“, also Wintertage- und -nächte ohne Wind. „Wir hatten zwölfmal mehr Situationen, wo die Preise dank der Erneuerbaren sehr niedrig waren als solche mit sehr hohen Preisen von 300 Euro“ (pro Megawattstunde), berichtet Müller. Um die Preisschwankungen zu verringern, sei mehr Flexibilität nötig.

Neben dem Netzausbau einschließlich zusätzlicher Verbindungen über die Grenzen hinweg sieht Müller „vier Flexibilitäten“: Erstens könne die Einspeisung aus Biomasse-Kraftwerken stärker an den Strombedarf angepasst werden. Zweitens werden Batterien eine große Rolle spielen. „Bei den Speichern sehen wir eine Kostenentwicklung mit einer tollen Dynamik. Was der Markt hier allein regelt, muss niemand subventionieren.“

Drittens werde das bidirektionale Laden bei Elektroautos wichtig. Die Batterien der E-Autos können so bei Bedarf Strom ins Netz zurückspeisen. Aufgrund einer aktuellen Gesetzesänderung werde es schon ab April möglich sein, „zu attraktiven Bedingungen die Batterie seines E-Autos als Speicher zur Verfügung zu stellen“. Der Autobesitzer muss nur ein Zehntel der Netzentgelte zahlen. „Das wird für viele ein attraktives Angebot werden, sobald die Automobilindustrie die Standards dafür entwickelt hat“, sagte Müller.

Viertens seien viele Industrieunternehmen aus Branchen wie Stahl, Chemie, Glas, Papier oder Keramik bereit, einen kleinen Teil ihres Stromverbrauchs an die Stromproduktion aus Erneuerbaren anzupassen – dies sei aber nach den alten Vorschriften zur sogenannten Bandlast nicht möglich. „Wenn wir alle vier Flexibilitäten an den Start bringen, werden wir sowohl beim Netzausbau, bei den Netzkosten und bei der Stabilität des Stromsystems Gewinner sehen.“

Die Kritik daran, dass Deutschland in den vergangenen zwei Jahren netto Strom importiert hat, wies Müller zurück. Es gebe immer Phasen, in denen Deutschland Importeur und in denen es Exporteur sei. Vom europäischen Binnenmarkt profitierten alle Akteure. Die Netzagentur achte aber darauf, dass sich Deutschland zur Not immer selbst versorgen könne. „Das war auch im Jahr 2024 zu jeder Sekunde gewährleistet, aber es wäre teurer und schmutziger gewesen.“

Hintergrund ist, dass der importierte Strom nur zu einem kleinen Teil aus fossiler Energie stammt, während die Spitzenlast in Deutschland fast ausschließlich aus Gas- und Kohlekraftwerken bedient werden müsste. Peter Ehrlich

Einen weiteren Teil des Interviews – zur Rolle der Netzagentur bei der Kontrolle digitaler Plattformen – können Sie im Dossier Digitalwende lesen.