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Tiefgang

Frisches Geld mit altem Bundestag: Geht das?

Was die Ankündigungen angeht, sparten die Verhandler gestern nicht mit großen Worten. Friedrich Merz hatte seinen persönlichen Mario-Draghi-Moment und sagte mit Blick auf die Verteidigungsfähigkeit müsse gelten: „Whatever it takes.“ Markus Söder sagte: „Für die Sicherheit – no limit.“ Doch damit diese Versprechen Wirklichkeit werden können, muss gleich mehrfach das Grundgesetz geändert werden. Mit Ausnahme einer möglichen Reform der Schuldenbremse sollen diese Änderungen noch vom alten Bundestag beschlossen werden.

Die Frage ist aber, ob das verfassungsrechtlich möglich und zulässig ist. Im Mittelpunkt stehen dabei zwei Aspekte – ein inhaltlicher und ein verfahrenstechnischer. Darf der alte Bundestag, erstens, Vorhaben wie das Sondervermögen noch beschließen? Und, zweitens, ist die Vorgehensweise rechtlich zulässig – haben die Abgeordneten etwa ausreichend Zeit, um sich mit der Materie zu befassen und sie zu beraten? Schließlich drängt die Zeit.

Zunächst zur ersten Frage. Alexander Thiele ist Professor für Öffentliches Recht an der BSP Business & Law School in Berlin. Er verweist auf Artikel 39 des Grundgesetzes. Demnach ist der Bundestag auf vier Jahre gewählt. Die Wahlperiode endet erst, wenn das neue Parlament zusammentritt. Das Grundgesetz, sagt Thiele, enthalte also zunächst keine Bestimmung, nach der das Parlament im Moment nicht handlungsfähig wäre.

Die Verfassung sehe aber zum Beispiel durch das Demokratieprinzip aus Artikel 20 „implizite Grundsätze“ vor, die sich auf die Auslegung konkreter Normen – wie der des Artikel 39 – auswirken könnten. Und dadurch zu anderen Ergebnissen führen können.

Mit Blick auf den jetzigen Fall, sagt Thiele, könnte die Argumentation wie folgt aussehen: „Eine Wahl dient eigentlich der Sanktion vorherigen Handelns.“ Diese Möglichkeit sei aber in der derzeitigen Phase nicht gegeben. Der neue Bundestag könne sich schließlich nicht für etwas verantworten, was der alte noch entschieden hat. „Daraus kann man schließen, dass das alte Parlament jedenfalls nichts beschließen darf, was das Leben des neuen signifikant erschwert“, sagt Thiele.

Und damit ist man an dem aus seiner Sicht entscheidenden Punkt angelangt: Wenn Union und SPD ein Sondervermögen beschließen, erschwert das nicht die Arbeit der kommenden Bundesregierung. Das Sondervermögen enthielte schließlich nur die Option, Kredite aufzunehmen. Die kann eine neue Regierung nutzen, muss sie aber nicht. Tut sie es aber, „ist sie dafür vollständig rechenschaftspflichtig“, sagt Thiele. Ihr Handlungsrahmen werde aber nicht eingeschränkt, sondern erweitert. Gleiches gelte für die geplanten Anpassungen der Schuldenbremse bei Verteidigungsausgaben und den größeren Spielräumen der Länder, sich zu verschulden.

Das Argument, die Summe der Kredite sei so hoch, dass durch die Zinslast die Handlungsfähigkeit künftiger Regierungen limitiert wird, hält er für „schwammig“. Es sei völlig offen, ab welcher Summe das gelte. Außerdem sei die Schuldenaufnahme über mehrere Jahre möglich. Aus inhaltlicher Sicht, sagt Thiele, habe er also „kein Problem damit“.

Bleibt der zweite, der verfahrensrechtliche Aspekt. Mahnendes Beispiel ist ein Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes aus dem Sommer 2023. Die Richter stoppten damals die Abstimmung über das Gebäudeenergiegesetz. Geklagt hatte der CDU-Politiker Thomas Heilmann. Er sah seine Rechte als Abgeordneter verletzt, weil er sich nicht eingehend genug mit dem Gesetz habe beschäftigen können. Das Gericht folgte damals Heilmanns Argumentation, wonach das Gesetz auch später, etwa in einer Sondersitzung während der Sommerpause, beschlossen werden könnte, weil es erst zum 1. Januar 2024 in Kraft treten sollte.

Jetzt droht erneut eine Hauruckaktion. Die entscheidende Frage sei nun: „Wie komplex sind die Veränderungen und ist der Zeitraum für die Abgeordneten ausreichend?“, sagt Thiele. Seine Antwort: Das reicht. Die Vorschläge kämen nicht aus dem Nichts, die Abgeordneten könnten sich bereits Gedanken machen. „Und wir wollen ja einen Bundestag, der in wichtigen Situationen schnell handeln kann“, sagt er.

Hinzu kommt ein Punkt, der zwar kein „Rechtsargument, aber ein Legitimitätsargument“ sei. „Wenn eine Verfassungsänderung mit Zweidrittelmehrheit durch den Bundestag geht und von einem großen Teil der Bevölkerung getragen wird, dann ist es schwer vorstellbar, dass ein Gericht dagegen stimmt.“ Dafür müssten die Richterinnen und Richter gute, eindeutige Gründe haben, „einen knallharten Verfassungsverstoß“ etwa, sagt Thiele.

Im vorliegenden Fall sei die Materie aber schwammig und bestenfalls umstritten – vor allem im Vergleich dazu, was auf dem Spiel steht: „die Verteidigungsfähigkeit Deutschlands“, sagt Thiele. „Das kann ein Gericht nicht kippen, ohne zu riskieren, dass es seine Legitimität für die Zukunft verliert.“ Die Sache müsse politisch entschieden werden. „Sonst haben wir eine Verfassungskrise von gigantischem Ausmaß.“