Die FDP kämpft um alles
Ausgerechnet im Filmpark Babelsberg haben sich die Freien Demokraten zum außerordentlichen Parteitag zwei Wochen vor der Bundestagswahl getroffen. In unmittelbarer Nachbarschaft zu den Filmstudios also, in denen schon so mancher Krimi gedreht wurde. Dort, in der Metropolis-Halle, hat Parteichef und Spitzenkandidat Christian Lindner sein Drehbuch für den Endspurt des Wahlkampfs vorgestellt.
„Wenn die Freien Demokraten den nächsten Deutschen Bundestag nicht erreichen, wird die Partei des Liberalismus in Deutschland über kurz oder lang aufhören zu existieren“, hatte FDP-Vize Wolfgang Kubicki der Welt am Sonntag gesagt. Damit war der Ton gesetzt.
Kubickis Aussage wollte zwar nicht jeder bei den Liberalen unterschreiben, sie beschreibt die aktuelle Situation der Partei aber treffend: Regungslos lag die FDP zuletzt in Umfragen unter fünf Prozent, ein deutliches Zeichen musste also her. Der einstimmig beschlossene Wahlaufruf der Liberalen enthielt gleich drei zentrale Botschaften.
Erstens: Die FDP sieht sich als die Mitte. „Die Freien Demokraten sind die einzige liberale Partei in Deutschland“, heißt es im Wahlaufruf. „Wenn wir die Probleme kleiner machen, die die Ränder wachsen lassen, dann stärken wir die politische Mitte und den liberalen Charakter unserer Demokratie“, heißt es im Wahlaufruf. Es gehe um mehr als Wirtschaft und Migration, es gehe um alles. „Ändern wir die Politik, bevor es 2029 die Falschen tun“, stand auf einem überdimensionalen schwarz-gelben Banner in der Halle.
Lindner brachte es in seiner Rede plastischer auf den Punkt: Die Mitte dürfe sich nicht einschüchtern lassen, sie gerate unter Druck von links und von rechts. „Die Mitte darf nicht weichen, denn wenn die Mitte weicht, dann ändert sich das Land“, sagte Lindner. Die AfD mache man nicht mit Lichterketten klein, sondern indem man die Probleme kleinmache, die sie einst groß gemacht haben.
Zweitens: Economy first. Das Thema Migration spielte gestern eine untergeordnete Rolle. Dafür keilte Lindner gegen Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz: „Er hat dafür gesorgt, dass das Thema Wirtschaftswende nicht mehr ganz oben in diesem Wahlkampf steht“, sagte Lindner. Merz habe mit seinen Anträgen im Bundestag Rot und Grün ermöglicht, einen Wahlkampf über die Brandmauer zu führen und damit abzulenken von der „eigenen Hilflosigkeit sowohl in der Migrationspolitik als auch in der Wirtschaftspolitik“.
Er habe das Land gespalten. Und das, obwohl derlei Fragen ohnehin erst von einer nächsten Bundesregierung und vom nächsten Bundestag entschieden werden könnten: „Welche Berater hat Friedrich Merz? Er wird möglicherweise auch im Falle seiner Kanzlerschaft ein Fall für betreutes Regieren sein“, sagte Lindner.
Inhaltlich setzen die Liberalen auf die Wirtschaftswende: Im Papier listen sie neun „Prüfsteine für jede Regierungsbeteiligung“ auf. Darunter etwa eine umfassende Steuerreform, mehr Wettbewerbsfähigkeit dank eines 100-Tage-Sofortprogramms, eine „absolute Technologieoffenheit“ und mehr „Realismus“ in der Klima- und Energiepolitik, die Wahrung der Schuldenbremse sowie „substanzielle Schritte“ in Richtung einer Aktienrente. Lindner selbst brachte zahlreiche Klassiker aus seinen Wahlkampfreden mit: den Baggerfahrer zum Beispiel, der mehr arbeiten möchte, die überbordende Bürokratie oder den deutschen Sonderweg beim Klimaschutz.
Drittens: Wahlkampf gegen die Grünen. Merz werde mit „an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ ins Kanzleramt einziehen, sagte Lindner in seiner Rede. Dafür sei der CDU-Mann aber bereit, den Politikwechsel zu opfern. Entscheidend sei deshalb die Koalition. Die FDP strebt offiziell Schwarz-Gelb an, hinter den Kulissen freundet man sich aber mit einer Deutschlandkoalition an, in der die Liberalen dann das Korrektiv spielen würden.
Lindner will jene Wählerinnen und Wähler der Union erreichen, die eine Regierungsbeteiligung der Grünen verhindern wollen. Der Parteitag beschloss einstimmig, eine Zusammenarbeit mit den Grünen nach „dieser Bundestagswahl“ auszuschließen. Prinzipiell sei eine Kooperation möglich, derzeit aber nicht. Argumentiert wird mit den Ampel-Jahren und dem gescheiterten Migrationspakt.
Die Kernbotschaft, die von Babelsberg ausgehen sollte, verpackte Lindner ins letzte Drittel seiner knapp einstündigen Rede. Mit der FDP im Bundestag, sagte Lindner, werde es kein Schwarz-Grün geben. Wahr ist: Ein Automatismus wäre das nicht, aber zieht die FDP in den Bundestag ein, würden die Chancen für dieses Bündnis sinken. Die entscheidende Frage der nächsten 14 Tage sei nicht mehr die nach der Kanzlerschaft. Sondern: „Wachstum oder Stagnation?“, „Freiheit oder Staat?“, und: „Lindner oder Habeck im Kabinett?“
Dafür gab es langen Applaus und stehende Ovationen, sogar während der Rede – eine Seltenheit bei der FDP, wie mancher im Anschluss betonte. Die Freien Demokraten gaben sich Mühe, Geschlossenheit zu demonstrieren. Bei den Jungliberalen hieß es in einer Ansprache vor dem Gebäude gar, bei abweichender Meinung „den Johannes Vogel zu machen“, also der Abstimmung fernzubleiben: „Nein“-Stimmen könne sich die Partei nicht leisten.
Und so stand am Ende im Filmpark der lange Applaus. Man gab sich optimistisch, der Parteitag habe die Ausgangslage wesentlich verbessert. „Ich bin noch nicht fertig“, sagte Lindner, während die rund 660 Delegierten johlten und Plakate hochhielten. Damit meinte er nicht nur seine Rede. Gabriel Rinaldi