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Tiefgang

Umfrage-Plattform lässt sich nicht austricksen

Wahlkampf hat bekanntlich nicht nur mit Fakten und Forderungen zu tun, sondern auch mit Psychologie. Im Rennen um die Fünf-Prozent-Hürde ist die besonders bei den Umfragen wichtig: Wenn diese das Signal geben, dass eine Partei dort die kritische Marke für den Einzug ins Parlament erreicht, kann das unentschlossene oder taktische Wählerinnen und Wähler durchaus beeinflussen.

„Dass die fünf Prozent in den Umfragen eine psychologische Wirkung auf strategisch wählende Menschen haben könnte, kann ich mir gut vorstellen“, sagte dazu die Marburger Professorin für politikwissenschaftliche Methoden und Demokratie im digitalen Wandel, Isabelle Borucki. Denn dann sei deren Stimme nicht „verschwendet“.

Das denken sie sich wohl auch bei der FDP. In einem Berliner Wahlbezirk rief die Bezirksvorsitzende deshalb ihre Parteifreundinnen und -freunde dazu auf, auf der Umfrageplattform Civey bei der Umfrage „Wen würden Sie wählen, wenn am Sonntag Bundestagswahl wäre?“ für die FDP zu stimmen: „Bei der Umfrageplattform Civey können wir aktiv dazu beitragen, die Ergebnisse zugunsten der FDP zu beeinflussen, indem wir unsere Stimme abgeben“, schrieb die Bezirksvorständin in einer E-Mail, die SZ Dossier vorliegt.

Die Orts-, Kreis- und Landesverbände anderer Parteien nutzten diese Methode auch, um Stimmen hinzuzugewinnen, hieß es in der Mail weiter. „Auch für die FDP ergibt sich daraus die Notwendigkeit, nachzuziehen, da solche Umfragen mit Blick auf die Fünf-Prozent-Hürde auch psychologisch eine große Auswirkung auf den Wahlausgang haben können.“

Aber bringt das massenhafte Abstimmen in eigener Sache tatsächlich was? Plattformbetreiber Civey sagt: Nein. Man biete zwar allen Nutzerinnen und Nutzern an, sich an Umfragen zu beteiligen, doch zähle dabei „längst nicht jeder Klick“. Nicht die Nutzerinnen und Nutzer entscheiden, ob ihre Stimme berücksichtigt wird, teilte ein Civey-Sprecher mit.

„Stattdessen zieht ein Algorithmus automatisiert aus den Antworten unserer über einer Million deutschlandweit verifizierten Panelisten eine quotierte Stichprobe“. Diese würden dann nach offiziellen Zahlen, zum Beispiel vom Statistischen Bundesamt, gewichtet.

Es gibt noch weiteren Schutz vor Missbrauch: Im Hintergrund liefen „laufend technische, statistische und inhaltliche Plausibilitätschecks“. Civey prüft nach eigenen Angaben das Klickverhalten der Teilnehmenden und die Geschwindigkeit der Teilnahme sowie Widersprüche in gegebenen Antworten.

Ein plötzlich geballtes Abstimmungsverhalten würde der Technologie auffallen: Es wird dann nicht gewertet. „Unterm Strich: Bei Aufrufen zum gezielten Abstimmen handelt es sich um wirkungslose Versuche, die durch die üblichen Sicherheitsvorkehrungen erkannt und eliminiert werden“, so der Civey-Sprecher.

Das klingt auch für die Wahlforscherin Borucki plausibel: „Ich vermute, dass die algorithmische Überprüfung nochmal von Menschen überwacht wird. Normalerweise sind in solchen Prozessen mehrere Kontrollschleifen eingebaut.“ Die Umfragen ließen sich so laut der Expertin nicht „künstlich beeinflussen“, auch wenn die Parteien das gerne so hätten.

Zu den Umfrageergebnissen für die FDP teilt die Plattform zudem mit: „Grundsätzlich misst Civey für die FDP seit November fast unveränderte Werte – Tendenz aktuell eher leicht nach unten.“ Das ist bei Civey nicht anders als bei allen anderen Umfrageinstituten wie Forsa, Forschungsgruppe Wahlen oder YouGov: Auch dort liegen die Liberalen bei vier Prozent (Insa: 4,5 Prozent). Elena Müller