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Tiefgang

Wann Cyberangriffe den Bündnisfall auslösen können

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Selina Bettendorf

Redakteurin

Können Cyberangriffe den Nato-Bündnisfall auslösen? Darüber wurde im Juli 2022 in Cybersicherheitskreisen diskutiert, als Albanien von iranischen Hackerinnen und Hackern angegriffen wurde. Die Angreifenden veröffentlichten damals albanische Staatsgeheimnisse und Daten von Bürgerinnen und Bürgern. Als Reaktion brach Albanien die diplomatischen Beziehungen zum Aggressor Iran ab.

Albanien ist nicht nur EU-Beitrittskandidat, sondern auch in der Nato. Offiziell heißt es von der Nato, dass auch schwerwiegende kumulierte Cyberangriffe dazu führen können, dass der Bündnisfall nach Artikel 5 ausgerufen wird. Dabei wird ein Angriff auf einen Mitgliedstaat als Angriff auf alle Nato-Mitgliedstaaten gewertet und kollektiv verteidigt – es wäre der Kriegseintritt der Nato. „Artikel fünf ist eine souveräne nationale Entscheidung“, sagte ein hochrangiger Nato-Beamter zu SZ Dossier. Auch wenn die Schwere des Angriffs unter die Definition falle, habe Albanien sich dagegen entschieden, Artikel 5 auszurufen.

Es gebe keine genau definierte rote Linie, ab wann hybride Angriffe auf ein Nato-Land so gravierend seien, dass auf jeden Fall der Bündnisfall aufgerufen werde. Denn was in einem Land oder in einem Jahr als schwerwiegender Cyberangriff gelte, könne schon in einem anderen Jahr nicht mehr als schwerwiegend angesehen werden. Dass offiziell keine rote Linie kommuniziert wird, hat noch einen viel wichtigeren Grund: Sonst würden die Aggressoren und Aggressorinnen mit ihren Angriffen genau bis zu dieser Linie gehen, um den Bündnisfall nicht auszulösen.

Hybride Angriffe nehmen auch in Deutschland immer mehr zu. Mehrfach wurden Unterseedatenkabel manipuliert, die im schlimmsten Fall dafür sorgen könnten, dass kein Zugriff auf das Internet mehr verfügbar ist. Die Sprengung der Nord-Stream-Pipelines hat gezeigt, wie vulnerabel die Gasversorgung ist. Desinformationskampagnen beeinflussen Wahlen und mit sensiblen Daten aus Cyberangriffen werden Unternehmen erpresst.

Gleichzeitig gibt es immer mehr Cyberangriffe auf kritische Infrastrukturen. Beispielsweise hatten im Landkreis Anhalt-Bitterfeld Cyberangriffe zu so vielen Problemen geführt, dass sogar die Bundeswehr Unterstützung dabei leisten musste, die IT-Infrastruktur wieder aufzubauen.

In Deutschland sind viele Angriffe auf Russland zurückzuführen. „Russland und China verschieben das, was im Cyberspace akzeptabel ist“, sagte der hochrangige Nato-Beamte. Die beiden Länder würden dabei immer dreister und aggressiver agieren. Im Vergleich zu einem physischen Schlachtfeld gäbe es im Digitalen keine Friedenszeiten, sondern jeden Tag Reibungen. „Es ist wahrscheinlich der einzige Bereich, in dem wir diesen Ländern täglich von Angesicht zu Angesicht gegenüberstehen.“

Die Nato habe deshalb ein neues, geheimes Konzept für diesen Bereich entwickelt. Denn das Verständnis von Cyberverteidigung habe sich verändert, sagte der Beamte, die Nato müsse dabei proaktiver vorgehen – in Bezug auf die Kooperation der Staaten, auf die Zusammenarbeit mit der Industrie und dem Privatsektor sowie auf politischer Ebene, um den Aggressorinnen und Aggressoren zu signalisieren, was akzeptabel ist und was nicht. Diese müssten in rechtlicher Hinsicht zur Verantwortung gezogen werden.

Albanien wurde jedenfalls 2022 auch ohne die Ausrufung des Bündnisfalls nicht allein gelassen. Wie der Beamte erzählte, habe die albanische Regierung den Nato-Partnern damals klar gesagt, welche Unterstützung sie benötigt. „Dann sind die Verbündeten eingesprungen, haben diese Unterstützung geleistet und repariert, was sie reparieren konnten.“ Hochrangige Vertreterinnen und Vertreter der Nato reisten damals nach Albanien, um ihre Solidarität zu zeigen und um zu signalisieren: Wir nehmen die Angriffe ernst. Selina Bettendorf