Wenn sich Brasilia und Brüssel einig sind
Brasilien will sich auf dem G20-Gipfel in Rio als unabhängiger Akteur der Weltpolitik präsentieren. Doch die Spannungen zwischen den USA und China machen dieses Unterfangen schwierig. Washington wie auch Peking versuchen, das Land auf seine Seite zu ziehen: Die USA drohen andernfalls mit möglichen Zöllen, während China auf eine Mitgliedschaft in seiner Belt-and-Road-Initiative (BRI) drängt.
Europas Chance namens Mercosur. Die sich verschärfende Blockbildung eröffnet einem dritten Akteur unverhofft eine Chance: Die Europäische Union kann in Rio das Freihandelsabkommen mit dem gemeinsamen südamerikanischen Markt – Mercosur – wieder auf den Tisch legen. Der Vorteil: Brasilien und die EU würden damit wirtschaftlich punkten und zugleich ihr geopolitisches Gewicht erhöhen.
Das Abkommen würde zwischen der EU und den Mercosur-Staaten Brasilien, Argentinien, Paraguay und Uruguay geschlossen. Die wichtigsten Vorteile benennt das BMWK so:
1. Abbau von Zöllen: Durch das Handelsabkommen würden Zölle auf 91 Prozent des Warenhandels, die bislang seitens Mercosur mit hohen Zöllen belegt sind, abgeschafft. Ein Beispiel: Beim Autokauf werden derzeit 35 Prozent Zoll fällig. Europäische Unternehmen würden Zölle im Wert von vier Milliarden Euro pro Jahr sparen.
2. Vereinfachung von Zoll- und Konformitätsverfahren: Hier geht es vor allem um die Abschaffung von doppelten Zertifizierungen.
3. Marktzugang bei Dienstleistungen, Investitionen und öffentlicher Beschaffung sowie die Unterstützung von kleinen und mittleren Unternehmen: Bei öffentlichen Aufträgen würden EU-Unternehmen in nicht unerheblichem Umfang gleichwertigen Zugang wie lokale Unternehmen zu den öffentlichen Ausschreibungen in den Mercosur-Ländern erhalten. Die Infrastrukturpläne der Mercosur-Länder sind riesig: Allein in Brasilien sind Investitionen von rund 150 Milliarden Euro geplant.
Allerdings durchläuft das Mercosur-Abkommen eine ungewöhnlich schwere Geburt. Seit September 1999 laufen die Verhandlungen über das Assoziierungsabkommen. Die Vorzeichen haben sich in dieser Zeitspanne drastisch geändert. Die Auseinandersetzung zwischen den USA und China hat sich verschärft, und das wirkt sich auch auf die Handelspartner aus. Die vor kurzem noch so offene Weltwirtschaft zerfällt in Blöcke.
Trumps Außenminister droht Lula. Auf der einen Seite stehen die USA mit ihrem designierten Präsidenten Donald Trump. Dessen Außenminister in spe teilt Lateinamerika in ein klares Freund-Feind-Schema ein – und Brasilien unter Lula schneidet bei Marco Rubio nicht allzu gut ab: Man müsse Lula zur Rechenschaft ziehen, unter anderem für seine Freundlichkeit gegenüber der KP China, forderte Rubio im vergangenen Jahr.
Trumps Zollpläne für Europa. Europa wäre derweil vor allem von Trumps Zöllen betroffen – von 10 bis 20 Prozent auf Importe aus Europa ist die Rede. Bundesbank-Präsident Joachim Nagel spricht auf einer Veranstaltung in Tokio schon von einer „geoökonomischen Fragmentierung“ und warnt vor Verwerfungen im Welthandel.
Vor allem die exportorientierte deutsche Wirtschaft würde Schaden nehmen, wie eine neue Studie der Unternehmensberatung Deloitte zeigt. „Neue Zölle von zehn Prozent oder mehr würden das ohnehin geringe Exportwachstum in die USA nahezu halbieren“, sagte Oliver Bendig, Partner und Leiter der Industrieberatung dort. Ökonomen fürchten, dass Deutschlands Wirtschaft ein Prozent seiner Leistungskraft verlieren könnte.
Auf der anderen Seite steht China. Dort leidet der heimische Markt unter einer Wirtschaftsflaute. Die bisherige Rezeptur aus steigenden Immobilienpreisen und riesigen Investitionen in die Infrastruktur wirkt nicht mehr. Deshalb sucht Peking neue Absatzmöglichkeiten: Günstige Waren überschwemmen die Märkte. Zudem will man mit der Belt-and-Road-Initiative neue Märkte an sich binden – nicht zuletzt auch Brasilien.
Unmittelbar nach dem G20-Gipfel feiern Lula und Xi in Brasilia 50 Jahre brasilianisch-chinesische Beziehungen. Die Unterzeichnung eines großen BRI-Abkommens sollte der Höhepunkt des Staatsbesuchs werden. Doch Lulas außenpolitischer Berater, Celso Amorim, erteilte dem nun eine Absage. Sein Land soll sich eigenständiger zwischen China und den USA positionieren und nicht klar an einen Machtblock binden.
Lösung Mercosur. Genau deshalb stehen die Chancen für das Mercosur-Abkommen unverhofft gut. Sowohl in Brasilia als auch in Brüssel heißt es, das Abkommen sei ausverhandelt. Auf dem G20-Gipfel sind mit Brasilien und Argentinien die beiden großen Mercosur-Staaten wie auch die EU anwesend. Wird man sich in Rio einig, könnte das Abkommen unterschrieben werden. Es wäre ein wichtiges Zeichen für Eigenständigkeit, Multilateralismus und Freihandel – für beide Seiten. Michael Radunski