Auch nach der Entscheidung von US-Präsident Joe Biden, reichweitenstarke Waffen für die Ukraine freizugeben und ihren Einsatz auf russischem Staatsgebiet zu erlauben, sieht der Bundeskanzler keinen Anlass, seine Haltung zu überdenken. Deutschland müsste sich an der Zielsteuerung beteiligen. „Das ist aber etwas, was ich nicht verantworten kann und auch nicht will“, sagte Olaf Scholz in Rio de Janeiro. Ein Regierungssprecher erläuterte, man sei vorab von Washington D.C. informiert worden. Eigene Schritte geht man aber nicht: Scholz habe sich in der Frage „klar festgelegt“ und gesagt, er werde seine Haltung „nicht mehr ändern“.
Aus der Union kam Kritik. Scholz hinke der neuen Entwicklung wieder einmal hinterher. „In der Logik der bisherigen Argumentation des Kanzlers müsste er Biden jetzt durch eine entsprechende Freigabe deutscher Waffen folgen“, sagte CDU-Außenpolitiker Johann Wadephul der FAZ. Eigentlich, wäre da nicht der Wahlkampf, soll es heißen. Im Kanzleramt gilt: Friedenskanzler-Image vor Taurus-Lieferungen. Auch Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) sah aus der US-Entscheidung heraus „keine neue Lage in der Taurus-Frage“.
Das sehen nicht alle so. Die Grünen würden selbstverständlich einer solchen Lieferung zustimmen. „Genauso wie unsere osteuropäischen Partner, wie die Briten, wie die Franzosen und auch wie die Amerikaner“, sagte Außenministerin Annalena Baerbock. Wohl auch, um Scholz daran zu erinnern, dass es immer einsamer wird um seine Position. Habeck teilte unlängst mit, er würde als Kanzler „sofort“ liefern. Das Putin-Telefonat des Kanzlers am Freitag, das kommt dazu, hat ebenfalls nicht viel gebracht. Im Gegenteil: Russland hat gestern wieder die zivile Infrastruktur in Odessa angegriffen.
Der Druck auf Scholz steigt. Auch in der Union wollen sie, spätestens mit der Biden-Entscheidung, aber unter Bedingungen auch schon länger, eine Lieferung von Marschflugkörpern. Die FDP regte sogar eine Abstimmung im Bundestag an. Sie wäre symbolischer Natur, da über eine solche Lieferung der Bundessicherheitsrat und in letzter Instanz Scholz entscheiden würde. Kritik kommt aber auch aus der SPD: „Die Entscheidung der USA kommt sehr spät. Warum – verdammt nochmal – können die Alliierten der Ukraine ihre Unterstützung der [Ukraine] nicht besser abstimmen und koordinieren?“, twitterte Außenpolitiker Michael Roth.
Frieden schaffen ohne Taurus: Scholz weilt in Brasilien, beim G20-Gipfel, wo er auch auf Biden treffen wird. Seine Linie für den Wahlkampf skizzierte er auch dort, in einer brasilianischen Zeitung. „Frieden in der Ukraine können wir nur auf Basis des Völkerrechts erreichen“, sagte Scholz der Folha de Sao Paulo. „Das wird noch enorme Anstrengungen erfordern.“ Litauens Außenminister Gabrielius Landsbergis kritisierte Scholz prompt, für sein Telefonat und sein Nein. „Ein Frieden durch Deeskalation ist eine fehlgeschlagene und gescheiterte Strategie“, sagte Landsbergis. „Wir brauchen eine neue.“