Richtungsstreit bei der Verwaltungsdigitalisierung
Bund und Länder tragen heute einen Richtungsstreit aus. Im gemeinhin unbekannten, aber wirkungsmächtigen Gremium IT-Planungsrat diskutieren die Digitalbeauftragten von Bund und Ländern, welcher Weg bei der Vernetzung der veralteten Registerlandschaft in der Verwaltung eingeschlagen wird.
Eigentlich sollte es weitergehen wie immer schon: Bund und Länder teilen sich die Verantwortung und die Finanzierung, inklusive komplexer Abstimmungen. Bremen und Sachsen-Anhalt wollen nun aber einen radikalen Neuanfang, wie das Dossier Digitalwende die vergangenen zwei Tage berichtete (hier und hier). Ein Überblick über die wichtigsten Punkte der Debatte.
Im Fokus steht das Nationale Once-Only-Technical-System (Noots). Es ist „die Autobahn, die die Verwaltungsregister miteinander verbindet“, sagte Martin Hagen (Grüne), Finanz- und Digitalstaatsrat in Bremen. „Die muss jetzt schnell gebaut werden, der Handlungsdruck ist groß.“ Denn: „Wir müssen das politische Versprechen einlösen, dass Bürger und Unternehmen nur einmal ihre Daten bei der Verwaltung angeben“, sagte Bernd Schlömer (FDP), Digitalstaatssekretär und IT-Landesbeauftragter in Sachsen-Anhalt.
Das Problem: Es fehlt nämlich immer noch eine Infrastruktur, mit der Verwaltungen von Bund, Ländern und Kommunen Daten und Nachweise austauschen können. „Es kann nicht sein, dass man seinen Namen, sein Geburtsdatum und seine Adresse immer wieder neu eintragen muss, obwohl alles bereits vorliegt.“ Stattdessen brauche es automatisierte Abläufe mit den bereits vorhandenen Daten. Auch die Wirtschaft erwarte dringend, „dass wir endlich einen großen Schritt nach vorne gehen“, so Schlömer.
Was für Bürgerinnen und Bürger nervig und zeitraubend ist, kann für die Wirtschaft zur Standortfrage werden. Die Ministerpräsidentenkonferenz (MPK) hat vor dem Sommer den IT-Planungsrat, in dem Hagen und Schlömer sitzen, mit der Ausarbeitung eines Staatsvertrags beauftragt. Er regelt, wer das Noots entwickelt, betreibt und finanziert.
„Deutschland kommt aus einer Kultur, in der Bund, Länder und Kommunen freiwillig bei IT zusammenarbeiten“, sagte Hagen. Geregelt waren die Kooperationen durch Staatsverträge und Verwaltungsvereinbarungen. „Wir stehen jetzt vor der Entscheidung, ob wir das beim Noots wieder so kompliziert realisieren“, so Hagen. „Oder ob wir jetzt zwei Schritte weiter gehen und ein System aus einer Hand und einer Finanzierungsquelle schaffen.“ Der radikale Vorschlag: „Der Bund soll allein entscheiden, aber auch allein finanzieren.“
Singapur, Estland, Dänemark und andere Vorreiter seien genau diesen Weg gegangen, so Hagen. Deutschland müsse sich fragen, warum hierzulande alles so viel langsamer läuft. „Wir sind ja nicht dümmer, wir hatten genau die gleichen Ideen.“ In Deutschland fehlen aber zentrale Entscheidungs- und Finanzierungsstrukturen. Der gemeinsame Vorschlag folge im Grundsatz dem Beispiel der erfolgreichen X-Road in Estland. Jetzt gebe es gerade die Chance, das auch hierzulande so umzusetzen. „Also müssen wir es tun.“
Erfolgreiche Digitalisierung gelinge nur, „wenn wir ebenenübergreifend denken und handeln“, sagte Schlömer. „Mit der Digitalisierung wird nicht die kommunale Selbstverwaltung oder der Föderalismus ausgehebelt.“ Vielmehr gehe es um Verknüpfungen, damit die staatlichen Ebenen besser miteinander kommunizieren.
Kritik ließ nicht lange auf sich warten: Die entsprechenden Länder hätten „seit mehreren Jahren die Möglichkeit gehabt, ihre Ideen in die Diskussion einzubringen“, sagte Kay Ruge, Beigeordneter beim Deutschen Landkreistag. Kurz vor der Frist der Ministerpräsidentenkonferenz „nicht ausgereifte Alternativen“ zu einem Entwurf einzubringen, der gemeinschaftlich ausgearbeitet wurde, sei „nicht konstruktiv“. Ruge sagte, dass er skeptisch sei, ob eine „zukünftige wirkmächtige Basisinfrastruktur wie das Noots“ beim Bund zentralisiert werden sollte und „somit als politischer Spielball missbraucht“ werden könnte.
In der Wirtschaft fehlt mittlerweile jegliches Verständnis für lange Debatten: „Die stockende Verwaltungsdigitalisierung und das Verantwortungs-Ping-Pong zwischen Bund, Ländern und Kommunen mindern zunehmend die Attraktivität von Deutschland als Investitionsstandort“, sagte Steven Heckler, stellvertretender Abteilungsleiter Digitalisierung und Innovation beim Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI). Matthias Punz