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Tiefgang

Wie die SPD sich vom Bürgergeld abgrenzt

„Nichtstun“, sagt Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), wolle man „nicht mit Steuergeldern unterstützen.“ Das sei der Gesellschaft „nicht vermittelbar“. Er steht im Bundeskanzleramt und verteidigt den „Jobturbo“, der Geflüchtete schneller in Arbeit bringen soll. Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) ist gekommen und Andrea Nahles, die Chefin der Bundesarbeitsagentur, auch von den Jobcentern sind Vertreter da.

Der Druck auf die SPD in der Frage ist hoch. Aus der Opposition, weil zum Beispiel CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt fordert, Ukrainer wieder abzuschieben, wenn sie nicht arbeiten. Doch es geht nicht nur um Geflüchtete. Die Bürgergeldreform der Ampel ist nicht beliebt, im April dieses Jahres sprach sich etwa jeder Zweite laut ARD-Deutschlandtrend für Kürzungen aus. Der Koalitionspartner FDP findet das Bürgergeld generell zu hoch. Heil kündigte Anfang September öffentlichkeitswirksam eine Nullrunde im nächsten Jahr an – obwohl sie sich aus der Berechnungsmethode des Bürgergelds automatisch ergibt.

Vor wenigen Tagen veröffentlichte der konservative Seeheimer Kreis der SPD – zu ihm gehört auch Olaf Scholz – ein Strategiepapier zur Bundestagswahl. Man habe beim Bürgergeld die Qualifizierung von „Menschen mit Vermittlungshemmnissen in den Vordergrund gestellt“, heißt es darin. Die, die sich „komplett verweigern“, müssten mit Sanktionen belegt werden. Sieht der Seeheimer Kreis noch Nachbesserungsbedarf? „Wir müssen das Bürgergeld treffsicherer machen: Mehr Mitwirkungspflichten, Kürzungen bei Arbeitsverweigerung und spürbare Konsequenzen bei Schwarzarbeit“, sagte der Geschäftsführer des Seeheimer Kreises, Martin Heßelbarth, SZ Dossier. Heil drehe an diesen Stellschrauben bereits, dafür habe er „volle Rückendeckung“.

Bei der Veranstaltung im Bundeskanzleramt klingt Heil, übrigens Teil der Netzwerker, nicht der Seeheimer, ebenfalls kritisch in Sachen Bürgergeld. Es sei „keine Option“, wie aus Geflüchteten Langzeitarbeitslose würden. Dafür habe die Gesellschaft „kein Verständnis“.

Die SPD will zeigen, dass sie verstanden hat. Soziale Sicherheit war laut Umfragen von Infratest Dimap bei allen Landtagswahlen in Ostdeutschland das wichtigste Thema für die Wahlentscheidung. Kurz vor seinem Wahlsieg hatte Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke das Bürgergeld für Ukrainerinnen und Ukrainer infrage gestellt. Es soll nicht mehr klingen, als sei die SPD die Partei, die ihr Hartz-IV-Trauma durch ein semi-bedingungsloses Grundeinkommen ersetzt hat. Es gelte „ganz klar“: „Wer arbeitet, der muss auch mehr haben“, sagt Heßelbarth.

Mehr Lohnabstand zwischen Arbeitslosen und Arbeitenden will der Seeheimer Kreis durch Senkung der Lohnnebenkosten für Geringverdiener erreichen. Stattdessen sollen Spitzenverdiener „relativ höhere Beiträge zu den sozialen Sicherungssystemen leisten“. Die Mittelschicht soll durch eine Steuerreform entlastet werden, der Spitzensteuersatz von 42 Prozent erst ab einem Jahresbruttoeinkommen oberhalb von 80.000 Euro greifen, bei Verheirateten ab einem Bruttoeinkommen von 175.000. Der Höchststeuersatz (ab einem Einkommen von 278.000 Euro) soll von 45 auf 48 Prozent erhöht werden.

Für die Infrastruktur müsse mehr privates Kapital mobilisiert werden. „Dabei gilt für uns, dass wer viel hat, der muss sich auch angemessen beteiligen am Erhalt des öffentlichen Lebens. Insofern werden wir auch über die Einkommenssteuer reden müssen“, sagt Heßelbarth.

Ob das der richtige Weg ist? Julia Jirmann vom Netzwerk Steuergerechtigkeit begrüßt die Pläne, die arbeitende Mitte zu entlasten. Sie gibt aber zu Bedenken: „Wenn man die Mitte entlasten will, ist das ziemlich teuer.“ Wenn das Steuersystem Spitzenverdiener mehr belasten soll, bräuchte es laut Jirmann Instrumente wie eine Vermögenssteuer. „Über den Einkommenssteuertarif schafft man das nicht, weil Superreiche vor allem Vermögens- und Kapitaleinkommen erziehen, die nicht dem Einkommensteuertarif unterliegen“, sagt sie.